© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

„Viele wissen nicht, was auf uns zukommt“
Der endgültige Euro-Rettungsschirm ESM soll nun im Juli ratifiziert werden. Immer mehr Bürger gehen dagegen auf die Straße oder engagieren sich in Internet-Initiativen. Eine davon, das „Bündnis Bürgerwille“, hat der Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke gegründet.
Moritz Schwarz

Herr Professor Lucke, unter allen ESM-kritischen Initiativen versammelt Ihr „Bündnis Bürgerwille“ die prominentesten Unterstützer, etwa Ex-Ministerpräsident Georg Milbradt, FDP-Urgestein Burkhard Hirsch oder CDU-Mittelstandschef Josef Schlarmann.

Lucke: Aber vergessen Sie nicht, daß wir auch Leute aus dem linken Spektrum dabeihaben wie den früheren wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD, Uwe Jens, oder den Foodwatch- und früheren Greenpeace-Chef Thilo Bode.

Überparteilichkeit ist Teil Ihrer Strategie?

Lucke: Ja, denn die Rettungsschirmpolitik droht so verhängnisvoll zu werden, daß andere politische Differenzen in den Hintergrund treten. Bei uns ist jeder willkommen, außer politischen Extremisten und Ausländerfeinden. Wir betonen den gemeinsamen Nenner aller, die verantwortungsbewußt über Deutschland und Europa nachdenken.

Warum ist es so wichtig, die Unterzeichnung des ESM-Vertrags zu verhindern?

Lucke: Der ESM ist die permanente Ausprägung der Rettungsschirmpolitik. Aus dem ESM gibt es kein Austrittsrecht, genausowenig wie aus dem Euro. Diese Politik soll unumkehrbar verdauert werden, als eine neue europäische Mega-Institution. Das bisher bewilligte Kapital ist bereits mehr als fünfmal so groß wie der gesamte EU-Haushalt – also als alles, was wir bisher als EU kennen.

Das entscheidende Gremium ist ein Gouverneursrat, der aus den Finanzministern der Euroländer besteht.

Lucke: Ja, und dieser Rat entscheidet über Kredite in dreistelliger Milliardenhöhe. Er entscheidet über die Auflagen, die empfangende Länder erfüllen müssen. Er kann jederzeit weiteres Kapital aus den zahlenden Ländern abfordern. Jedes Mitgliedsland muß Kapitalabrufe sofort und unwiderruflich erfüllen. Das gesamte Personal und alle Räumlichkeiten des ESM genießen Immunität vor Strafverfolgung. Hier entsteht eine europäische Superregierung, und da sollte man mal fragen, wer die eigentlich gewählt hat und wer sie kontrolliert?

In einem Beitrag für das „Handelsblatt“ haben Sie gesagt, die Euro-Rettungspolitik „macht Deutschland erpreßbar“. Warum?

Lucke: Durch die Rettungspolitik gibt Deutschland anderen Ländern Milliardenkredite unter makroökonomischen Sparauflagen. Diese Auflagen sind schmerzhaft und werden von den Ländern nur ungern erfüllt. Erfahrungsgemäß – das kennen wir schon aus der lateinamerikanischen Schuldenkrise – erfüllen sie sie nicht und sagen, die Auflagen waren zu hart.

Jetzt müßte Deutschland eigentlich kontern: Dann gibt es keine neuen Kredite.

Lucke: Aber eben diese Drohung zieht nicht. Denn das empfangende Land hat jetzt die Trümpfe – sprich: unser Geld – in der Hand und sagt: Wenn ich keine neuen Kredite kriege, bin ich pleite, und dann kriegt Deutschland sein Geld nicht zurück. Also setzt man sich hin und verhandelt. Das Verhandlungsergebnis – das man eigentlich Erpressungsergebnis nennen sollte – sieht dann so aus: Die Auflagen werden weicher formuliert, die Zinsen gesenkt und die Zahlungsfristen gestreckt. Beim nächsten Zahlungstermin geht das Spiel dann weiter, denn auch die weicheren Auflagen werden verfehlt. Die Zeche zahlt der deutsche Steuerzahler, aber der merkt das nicht.

Warum nicht?

Lucke: Weil man ihn nicht informiert. Oder wissen Sie, wieviel uns die Umschuldung Griechenlands gekostet hat?

Andere Initiativen (siehe „Brennpunkt“ auf Seite 7) haben deshalb zu Demonstrationen aufgerufen, etwa jüngst in Stuttgart, Frankfurt, Karlsruhe, Anfang Juni in München und Berlin. Allerdings sind die Veranstaltungen nicht über ein paar hundert Teilnehmer hinausgekommen.

Lucke: Stimmt, und das liegt vor allem daran, daß die Leute gar nicht wissen, was da auf sie zukommt. Über die Risiken, die uns und unseren Kindern entstehen, wird genausowenig aufgeklärt wie über mögliche Alternativen. Und selbst wenn es gelänge, eine größere Demonstration zu organisieren, weiß jeder, daß die Demonstranten zwar gemeinsam gegen etwas sind, aber keinen Konsens für ein Alternativkonzept haben.

Hier setzt Ihr „Bündnis Bürgerwille“ mit seiner Unterschriftensammlung an.

Lucke: Richtig. Bei uns haben inzwischen fast 10.000 Menschen nicht nur gegen die Rettungsschirmpolitik unterschrieben, sondern sich auch zu einer verantwortungsvollen Alternative bekannt: Geordnete Staatsinsolvenzen zulassen, das Finanzsystem stabilisieren und schwachen Staaten den Austritt aus dem Euro ermöglichen.

Sie selbst haben gemeinsam mit Ihrem Kollegen Harald Hau in einem Beitrag für die „FAZ“ einen alternativen Plan zur Euro-Rettung vorgestellt. Wie funktioniert der „Lucke-Plan“, wie ihn die „Zeit“ nannte?

Lucke: Um das zu erklären, muß man zunächst mal die gängigen Begriffe entnebeln. Da ist zum Beispiel viel von Griechenland-Rettung die Rede. Wenn Sie nach Griechenland schauen, haben Sie den Eindruck, daß da jemand gerettet wird? Natürlich nicht, denn den Leuten dort geht es so schlecht wie lange nicht. Tatsächlich rettet die Rettungsschirmpolitik nicht Staaten, sondern Banken, Hedgefonds und andere Privatgläubiger – und nur wegen der Banken wird das Ganze gemacht. Die Kredite, die die deutschen Steuerzahler jetzt angeblich für Griechenland finanzieren, landen doch unmittelbar als Zins und Tilgung bei Griechenlands Gläubigern. Da sagen Harald Hau und ich: Das können wir billiger haben.

Konkret bitte.

Lucke: Der Punkt ist, daß man nicht alle Privatgläubiger retten muß. Die meisten sollen ihre Verluste ruhig selbst tragen. Unabdingbar ist lediglich, daß keine systemisch wichtigen Banken zusammenbrechen, denn dadurch würden alle Bürger und Unternehmen ihre Guthaben verlieren. Das hätte desaströse Folgen. Hau und ich haben ausgerechnet, daß die systemisch wichtigen Banken lediglich rund zwanzig Prozent aller Staatsschulden halten. Wir müssen also keineswegs für hundert Prozent der Staatsschulden eintreten. Und die zwanzig Prozent „retten“ wir nur wegen der Sparer.

Aber trotzdem bezuschussen Sie doch die Banken. Womit haben die das verdient?

Lucke: Moment, wir geben den Banken keinerlei Zuschüsse. Vielmehr sollen die Banken zunächst ihr gesamtes Eigenkapital einsetzen müssen, um ihre Verluste zu decken. Das reduziert die Kosten für den Staat erneut, weil jetzt nur noch ein kleiner Teil der zwanzig Prozent aufgefangen werden muß. Und zwar durch eine Teilverstaatlichung der angeschlagenen Banken, nicht durch einen Zuschuß. Die Bankeigentümer werden gezwungen, Aktien der Bank an den Staat zu verkaufen. Dadurch bekommt die Bank frisches Kapital und dem Staat gehört ein Teil der Bank. Die Banken sträuben sich übrigens mit Händen und Füßen dagegen.

Aber der Staat sitzt dann auf Aktien einer verlustbringenden Bank.

Lucke: Klar, wir behaupten ja auch nicht, daß sich alle Probleme in Luft auflösen. Letztlich muß der Staat entscheiden, ob er Aktien von faulen Banken oder Anleihen von faulen Staaten halten will. Nur muß er viel weniger Kapital einsetzen und daher viel weniger Risiko tragen, wenn er die Bankaktien kauft. Und eines Tages wird die Bank wieder Gewinn machen, das haben Banken so an sich. Als Mitaktionär profitiert der Staat von diesem Gewinn und wenn er will, kann er jetzt seine Aktien günstig verkaufen. Ein Staat wie Griechenland dagegen wird nie „Gewinn“ machen: Gewinnerzielung ist einfach kein Staatszweck.

„Zeit Online“ kritisierte Ihren Plan: „Das funktioniert vielleicht im Elfenbeinturm der Universität, aber nicht an den Kapitalmärkten.“

Lucke: Das hat ein einzelner Journalist der Zeit irgendwo in seinem Blog geschrieben, ohne sachliche Begründung. Das würde ich nicht so hoch hängen. IWF-Chefin Christine Lagarde hingegen hat ebenfalls dringend eine Rekapitalisierung der Banken empfohlen. Und die Bundesregierung hat kurz nach Erscheinen unseres Vorschlags die EFSF-Gesetzgebung so geändert, daß mit Rettungsschirmgeldern Banken rekapitalisiert werden dürfen.

Dennoch hat die Politik diese Option bislang nicht umgesetzt. Warum nicht?

Lucke: Das ist nicht ganz richtig. Die Bundesregierung hat die deutschen Banken ultimativ aufgefordert, bis Juni 2012 freiwillig deutlich höhere Eigenkapitalquoten zu erwirtschaften. Wenn das klappt, sind wir einen Schritt weiter, weil die Banken dann ihre Verluste aus faulen Staatsanleihen tragen könnten. Wenn es nicht klappt, droht die Bundesregierung mit einer zwangsweisen Rekapitalisierung. Das ist also genau unser Plan. Nur hat die Bundesregierung noch nicht verkündet, daß nach erfolgreicher Bankenrekapitalisierung die bisherige Rettungsschirmpolitik überflüssig ist. Das aber wäre der zweite entscheidende Schritt.

Hans-Olaf-Henkel meint dagegen, die einzige Lösung liege in einer Teilung des Euro. Ihr Hamburger Kollege Dirk Meyer überlegt gar, zur D-Mark zurückzukehren. Und auch Thilo Sarrazin sagt, Europa brauche den Euro gar nicht.

Lucke: Wenn ich das heutige Schlamassel sehe, hätte ich natürlich auch gerne die D-Mark zurück oder zumindest die Südländer aus dem Euro raus. Aber Wunschdenken hilft nicht weiter. Der Euro ist nicht so leicht abzuschaffen, wie er eingeführt wurde.

Warum nicht?

Lucke: Überlegen Sie: Eine neue D-Mark oder ein Nordeuro wird gegenüber dem Resteuro um mindestens dreißig Prozent aufwerten. Das hat drei dramatische Konsequenzen: Erstens wird die deutsche Industrie gegenüber der ausländischen Konkurrenz um dreißig Prozent teurer. Das kostet haufenweise Arbeitsplätze. Zweitens werden in Rest-Europa die Menschen ihre Banken stürmen, weil sie ihre Euro-Guthaben als Bargeld ausgezahlt bekommen möchten. Das können deutsche Strohmänner nämlich mit dreißig Prozent Gewinn in die neue Währung tauschen. Da die Banken soviel Bargeld nicht haben, brechen sie zusammen, und wir haben eine fulminante Finanzkrise.

Plus Inflation hierzulande, weil viel zuviel D-Mark oder Nordeuro in Umlauf kommt.

Lucke: Richtig. Drittens erleiden deutsche Gläubiger enorme Vermögensverluste auf Auslandsforderungen. Denn Schulden, die das Ausland uns gegenüber hat – rund 5.000 Milliarden Euro – werten ja um dreißig Prozent ab, wenn sie nicht deutschem Recht unterliegen.

Also muß man sich auf die Verhinderung des ESM konzentrieren?

Lucke: So ist es. Jetzt steht die Preisgabe der Budgethoheit des Bundestages an, weil Deutschland über den ESM dauerhaft für die Schulden anderer Staaten haften soll. Machen wir uns nichts vor: Damit wird eine europäische Transfer-union geschaffen. Und zwar nicht geordnet, nach klaren Regeln und Kriterien, sondern als Wildwuchs und aus der Not geboren. Das ist ein Vorgang von ungeheurer Bedeutung, über den man die Bevölkerung aufklären muß.

Außer dem „Bündnis Bürgerwille“ haben Sie das „Plenum der Ökonomen“ gegründet, in dem sich die deutschen Volkswirtschaft-Professoren organisiert haben. In einer Resolution des Plenums 2011 haben sich etwa neunzig Prozent von ihnen gegen die Rettungsschirmpolitik und für geordnete Staatsinsolvenzen ausgesprochen.

Lucke: Ja, das zeigt, daß eine weitgehende fachliche Übereinstimmung besteht: Nicht der Euro ist das Kernproblem, sondern die Frage, ob man unter dem Euro für fremde Schulden einstehen soll. Diese Frage ist vom Plenum klar mit „Nein!“ beantwortet worden – ganz so, wie es im Maastricht-Vertrag geregelt war.

Berlin hat sich über den Vertrag ebenso hinweggesetzt wie über den Rat der Fachleute.

Lucke: Damit hat die Politik dem Euro einen Bärendienst erwiesen. Das Projekt einer gemeinsamen Währung ist desa-vouiert worden, weil man es unnötigerweise mit einer Haftungsübernahme für fremde Schulden belastet hat. Das Plenum hat klargestellt, daß das weder sinnvoll noch erforderlich war.

Warum konnte auch dieser geballte Expertenrat die Euro-Rettungspolitik der etablierten Parteien nicht korrigieren?

Lucke: Der fachliche Rat wird von der Politik ignoriert. Deshalb bleibt nur die politische Schiene. Die Wähler müssen jetzt zeigen, daß sie imstande sind, sich zu organisieren und für eine andere Politik einzusetzen. Eigentlich müßte dazu eine Parteigründung erfolgen. Solange es die nicht gibt, kann man immerhin bei „Bündnis Bürgerwille“ unterschreiben.

 

Prof. Dr. Bernd Lucke, war 1990 Wissenschaftlicher Referent beim „Sachverständigenrat zur Einführung der Sozialen Marktwirtschaft in der DDR“ und 1991 bis 1992 Leitungsreferent beim Senator für Finanzen des Landes Berlin, bevor er in die universitäre Laufbahn zurückkehrte. Heute lehrt er Volkswirtschaft an der Universität Hamburg und als Gastprofessor in Bloomington/USA. Lucke (49) hat mehrfach ausführliche Stellungnahmen zur Euro-Krise in der Presse veröffentlicht und ist Gründer und Sprecher der Aktion „Bündnis Bürgerwille“ und der Initiative „Plenum der Ökonomen“, einer Vereinigung von dreihundert Volkswirtschaftsprofessoren, die für Schlagzeilen sorgte, als sie 2011 mit großer Mehrheit eine Resolution gegen die Verlängerung des Euro-Rettungsschirms verabschiedete. Das „Bündnis Bürgerwille“ dagegen will eine breite Bürgerbewegung gegen die „verhängnisvolle Rettungspolitik und die schleichende Entmündigung des Bundestages“ initiieren und sammelt dafür im Internet Unterschriften.

www.buendnis-buergerwille.de

Foto: Demonstration eurokritischer Initiativen gegen den ESM am 5. Mai in Stuttgart: „Die Wähler müssen zeigen, daß sie imstande sind, sich zu organisieren.“

 

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