© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Ein Riß zwischen Ost und West
Parteivorsitz: Die Führungskrise droht die Linkspartei unmittelbar vor ihrem Bundesparteitag zu spalten und ins Chaos zu stürzen
Paul Leonhard

Am Montag kam der große Knall. Linksfraktionschef Gregor Gysi schlug sich im Machtkampf um die Parteiführung auf die Seite von Dietmar Bartsch und stellte sich damit gegen Oskar Lafontaine. Dieser zog am Dienstag die Konsequenzen und verzichtete auf eine erneute Kandidatur. Eine Woche vor dem Bundesparteitag der Linken in Göttingen, auf dem eine neue Doppelspitze gekürt werden soll, droht die Partei damit im Chaos zu versinken.

Dabei sollte den Wählern in Göttingen eigentlich signalisiert werden, daß die Linke im Parteienspektrum unverzichtbar ist. Nach dem Verlust der Regierungsverantwortung in Berlin sowie den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, bei denen die Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, gibt es daran erhebliche Zweifel. Innerparteiliche Demokratie und Vernunft sind bei den Linken in die Verbannung geschickt, schreibt selbst das Neue Deutschland (ND). Dabei hatte die Linke auf dem Erfurter Programmparteitag im vergangenen Jahr angekündigt, man wolle jetzt politische Zeichen setzen. Stattdessen hat sich die Situation in den vergangenen Wochen so zugespitzt, daß selbst Gysi vor einem Auseinanderbrechen der Partei warnt.

Sorgen bereitet ihm nicht nur der Machtkampf zwischen Bartsch und Lafontaine um den Vorsitz. Die Partei soll wieder von einer Doppelspitze gelenkt werden, laut Parteisatzung muß diese aber mit mindestens einer Frau besetzt sein. Ohnehin sind sich die beiden Kandidaten spinnefeind und verkörpern nicht nur völlig unterschiedliche Politikstile, sondern auch die beiden grundlegend verschiedenen Parteien PDS und WASG, aus denen vor fünf Jahren die Linkspartei hervorging. So sollte dauerhaft eine Partei links von der SPD etabliert werden. Seitdem bekämpfen sich ostdeutsche Reformer und orthodoxe westdeutsche Marxisten zu Lasten der Basisarbeit und der Glaubwürdigkeit.

Zahlreiche Genossen seien in der aktuellen Situation verunsichert und orientierungslos, räumt Parteivorstandsmitglied Ida Schillen im Gespräch mit der Tageszeitung Junge Welt ein. Die Linke werde in ihrer Radikalität nicht mehr wahrgenommen und habe in Rats- und Regierungsfunktionen Glaubwürdigkeit und den Draht zur Basis verloren. „Der Weg zu einer dauerhaft starken Linken ist länger, widersprüchlicher und fragiler, als es uns anfangs schien“, heißt es in einem von mehr als 600 Linkspolitikern unterzeichneten Aufruf.

Es sei nicht gelungen, starke soziale Bewegungen herauszubilden, die die parlamentarische Begrenztheit einer linken Opposition zumindest partiell durchbrochen hätten, analysiert Bernd Riexinger vom Landesvorstand der Linken in Baden-Württemberg. Überdies suche die SPD wieder den Schulterschluß zu den Gewerkschaften. Und Stefan Ludwig, Landeschef in Brandenburg, konstatiert: „Personale Unklarheiten an der Spitze unserer Partei und innerparteiliche Auseinandersetzungen haben die Ergebnisse in Schleswig-Holstein und NRW erzeugt.“ In den östlichen Ländern habe die Linke Erfolg, weil sie „eine in den Kommunen verankerte Volkspartei mit sehr breiter Wählerschicht“ ist. Weniger Machtpoker und Funktionärsgehabe, eine gesellschaftliche Öffnung für neue Milieus, spannende Diskussionen und Neugier auf die Zukunft wünschen sich die Unterzeichner des Aufrufs.

Der Osten wünscht sich Reformer und Vize-Fraktionschef Bartsch als Parteichef, der auf das Nebeneinander verschiedener Wege und Anschauungen setzt sowie für eine strategische Annäherung an die SPD steht. Die westdeutschen Landesverbände unterstützen mehrheitlich die Rückkehr von Oskar Lafontaine, der von 2007 bis 2010 die Partei führte und ohne den die Linke im Westen keine Chance gehabt hätte. Lafontaine wisse, worauf die Bevölkerung anspringt und könne dies auch zugespitzt ausdrücken, hieß es zumindest noch bis Montag von Gysi. Lafontaine sollte die Partei führen, Bartsch erneut das Amt des Bundesgeschäftsführers übernehmen, lautete der Vermittlungsvorschlag Gysis, der jetzt Makulatur ist.

Doch mit dem vielleicht nur vorläufigen Rückzug Lafontaines ist der Machtkampf in der Linkspartei noch lange nicht entschieden. Der Parteitag in Göttingen könnte die Entscheidungsschlacht bringen – und die Spaltung.

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