© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Riskantes Spiel
USA: Im laufenden US-Wahlkampf setzt Präsident Barack Obama auf Themen, die ihm zum Verhängnis werden könnten
Raplh Schöllhammer

Während der Wahlkampfsaison gibt es viele Propheten, doch nur wenige haben so viel Voraussicht wie der republikanische Senatskandidat von Indiana, Richard Mourdock: „Die Unterschiede zwischen den beiden Parteien sind zu groß für überparteiliche Beschlüsse – am Ende muß sich eine Seite gegenüber der anderen durchsetzen.“

Trotz aller Kritik, die Mourdock für diese Aussage einstecken muß, einer scheint sie bereits jetzt zu beherzigen: Präsident Obama. Seine Entscheidung, in Sachen gleichgeschlechtlicher Ehe vorzupreschen, ist nicht nur ein taktisches Wahlkampfmanöver, um sich die Stimmen der liberalen Eliten und deren Wahlkampfspenden zu sichern. Mit der Wirtschaft weiter im Stottergang, muß Obama einen Wahlkampf führen, der auf soziale Themen setzt.

Nach vier Jahren an der Macht wird es nicht mehr genug sein, sich auf seinen republikanischen Vorgänger George W. Bush als Sündenbock zu verlassen. Zu sehr setzte Obama dessen Politik in den entscheidenden Stellen der Wirtschafts- und Außenpolitik fort, was besonders unter unabhängigen Wählern, die tatsächlich „hope and change“ erwartet hatten, zu großer Enttäuschung führte.

Selbst die Gesundheitsreform wird nur schwer als Wahlkampfbonus taugen: Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, ob die Reform überhaupt verfassungskonform ist, steht noch aus, und allen Anstrengungen zum Trotz bleibt die Idee der verpflichtenden Krankenversicherung weiterhin unpopulär.

Im Schnelldurchgang muß die Oba­ma-Administration nun einen Weg in die Geschichtsbücher finden und hat die Anleitung dazu beinahe eins zu eins aus der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre übernommen. Ganz bewußt malt das demokratische Wahlkampfteam die Situation der Homosexuellen Amerikas in den Farben der erst unter John F. Kennedy überwundenen Rassentrennung.

Auch die geschickt lancierte Geschichte, ob der republikanische Konkurrent Mitt Romney vor 50 Jahren möglicherweise einen homosexuellen Mitschüler gehänselt haben könnte, ist Teil dieser Strategie. Trat Bill Clinton noch unter dem Slogan „It’s the economy, stupid“ (Auf die Wirtschaft kommt es an, Dummkopf), versuchen die Demokraten diesmal einen Wertewahlkampf zu führen.

Obama kann sich dabei der Unterstützung der weitgehend liberalen Medienlandschaft sicher sein: Als in Florida der schwarze Jugendliche Trayvon Martin von dem registrierten Demokraten George Zimmermann erschossen wurde, dauerte es nicht lange, bis aus dem Schock über die Tragödie eine Anklage gegen das konservative und mehrheitlich weiße Amerika wurde. Die New York Times ging so weit, eine komplett neue Ethnie zu erfinden: Zimmerman, der einen weißen Vater und eine peruanische Mutter hat, wurde plötzlich zu einem „weißen Latino“, ein kaum verhüllter Versuch, das Bild der von der weißen Mehrheit unterdrückten schwarzen Bevölkerung wieder aufleben zu lassen.

Dennoch spielt Obama ein riskantes Spiel, wenn er sich der Unterstützung der lateinamerikanischen und afro-amerikanischen Minderheit im Land zu sicher ist.

Besonders im Bereich traditioneller Werte sind diese Gruppen oft wesentlich konservativer als der durchschnittliche Amerikaner. Als im demokraten-freundlichen Kalifornien 2008 über ein Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe abgestimmt wurde, stimmten 70 Prozent der Schwarzen, 53 Prozent der Latinos (Hispanics) und nur 49 Prozent der Weißen für die Gesetzesvorlage.

Als North Carolina vor wenigen Wochen über die Verschärfung eines ähnlichen Gesetzes abstimmte, stimmte die Bevölkerung mit 69 Prozent dafür. Auch wenn in Umfragen meist eine knappe Mehrheit der Amerikaner für eine Gleichstellung homosexueller Paare ist, den Weg zur Urne finden vor allem die Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe. Bisher wurde in 31 Bundesstaaten über die Legalisierung der sogenannten Homo-Ehe abgestimmt – und jedesmal abgelehnt.

Sollte Obama hoffen, mit dieser Politik seine Anhänger zu mobilisieren, so droht ihm womöglich der ungewollte Nebeneffekt der Mobilisierung des konservativen Amerikas – und zwar über die Rassengrenzen hinaus. Bereits jetzt machen mehrheitlich von Afroamerikanern besuchte religiöse Kongregationen gegen Obamas Vorstoß mobil. Sollte Mitt Romney tatsächlich den von kubanischen Einwanderern abstammenden Marco Rubio oder Condoleezza Rice als Kandidat für die Vizepräsidentschaft ernennen, so könnte Obama wichtige Wählerschichten an die Republikaner verlieren, während jene Wähler, die seine liberalen Positionen zur Gesellschaftspolitik unterstützen, wahrscheinlich ohnehin für ihn gestimmt hätten.

Manche Beobachter vermuten daher, daß Obama etwas ganz anderes im Sinn hat. Wohl wissend, daß die kommende Wählergeneration wesentlich liberaler ist als die aktuelle, wäre es möglich, daß Obama gezielt eine Niederlage 2012 hinnimmt, um 2016 erneut anzutreten. Ein solcher Coup ist bisher nur dem Demokraten Grover Cleveland gelungen: 1885 und 1893. Aber auch diese Strategie birgt Risiken, geht sie doch davon aus, daß die Amerikaner gesellschaftspolitische Themen wirtschaftlichen vorziehen.

Viele Amerikaner sehen den Fokus auf Gesellschaftspolitik als einen Luxus, den sich Amerika im Moment nicht leisten kann. Unabhängig davon, wer im November gewählt wird, in der Amtszeit des nächsten Präsidenten werden die USA als globale Wirtschaftsmacht auf den zweiten Platz hinter China zurückfallen. Historisch gesehen ist dies erst unter einem Präsidenten der Fall gewesen: Grover Cleveland.

Foto: Ratlos im Weißen Haus: Barack Obamas Fokus auf Gesellschaftspolitik stößt viele Wähler vor den Kopf

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen