© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Ungebremste Wertverwässerung
Euro-Krise: Mittels des ursprünglich nur für Notfälle vorgesehenen ELA-Programms können nationale Notenbanken nach Gutdünken Geld produzieren
Philipp Bagus

Zentralbanken bringen neues Geld auf zwei Arten in Umlauf: Sie kaufen ein Gut direkt oder sie vergeben mit dem neuen Geld einen Kredit. Bei der Kreditvergabe fordern sie eine Sicherheit gegen einen Ausfall. Spielt es nun eine Rolle, welche Güter die Zentralbanken kaufen oder welche Sicherheiten sie bei Krediten akzeptieren? Macht es einen Unterschied, ob die US-Fed mit frischen Dollars Gold kauft oder Kaugummis? Ist es gleich, ob die Europäische Zentralbank (EZB) neu geschaffenes Geld als Kredit an eine solvente Bank mit einer hochqualitativen Unternehmensanleihe als Sicherheit vergibt oder ob sie Fritzchen einen Kredit für seinen nächsten Abenteuerurlaub gewährt?

Allgemein gilt: Je besser die Qualität der hinterlegten oder erworbenen Vermögenswerte einer Zentralbank, desto höher auch die Qualität der von ihr emittierten Papiergeldwährung (JF 21/12). Das Vertrauen in die Stabilität der Währung hängt davon ab, was die Zentralbank durch Kauf oder Kredit indirekt monetisiert, das heißt zu Geld macht. Denn im Notfall können diese Vermögenswerte genutzt werden, um das ausgegebene Geld zurückzukaufen und so dessen Kurs zu stützen. Außerdem können aus den Investitionen der Zentralbank Verluste entstehen, welche ihr Eigenkapital aufzehren, ihre Beweglichkeit einschränken und das Vertrauen in die Währung senken.

Traditionell verlangte die EZB als Kreditsicherheit Papiere, die mindestens mit „A-“ bewertet wurden. Im Zuge der Finanzkrise setzte sie die Mindestbewertung auf „BBB-“ herunter, um später sogar als Ramsch eingestufte griechische, portugiesische und irische Staatsanleihen zu akzeptieren, und so die entsprechenden Regierungen vor der Zahlungseinstellung zu bewahren. Jedoch haben sich selbst diese außergewöhnlichen Maßnahmen als unzureichend erwiesen.

Einige Banken der Euro-Peripherie sind derart insolvent, daß sie einfach nicht mehr ausreichend gute Sicherheiten haben, um sich zu refinanzieren. Dies ist vor allem bei griechischen Banken der Fall, die mit griechischen Staatsanleihen überladen sind. Nach dem Athener Schuldenschnitt im März wurden diese Anleihen als teilweiser Zahlungsausfall bewertet, was sie für normale EZB-Kredite unbrauchbar machte. Dennoch blieb mit dem sogenannten ELA-Programm (Emergency Liquidity Assistance) ein Ausweg.

Mit ELA, das im März weiter institutionalisiert wurde, können nationale Zentralbanken einseitig auf eigene Faust und auf eigenes Risiko die von ihnen akzeptierten Sicherheiten bestimmen. Das heißt, sie können nach eigenem Gutdünken Euro produzieren und an ihre Banken als Kredit vergeben. Sie brauchen dies noch nicht einmal offenzulegen. Ursprünglich war ELA gedacht als kurzfristige Notfall-Liquidität, nun wird es zur dauerhaften Geldproduktion und Bankenrettung mißbraucht. Allein im Februar 2012 stieg die ELA-Position der griechischen Zentralbank von knapp 52 auf 110 Milliarden Euro.

Welche Sicherheiten die Banken bei diesen Krediten genau hinterlegen, ist unbekannt. Da es vielen Banken an guten Sicherheiten mangelt und sie diese ohnehin für die regulären Refinanzierungsgeschäfte nutzen können, kann nicht ausgeschlossen werden, daß Unternehmenskredite, wenn nicht gar Konsumentenkredite an Fritzchen – oder besser an Dimitrios – dabei sind.

Nicht nur in Griechenland, sondern auch in anderen Peripherieländern wie Irland werden die Bankensysteme so am Leben erhalten und alles Mögliche zu neuem Geld gemacht. Für die Banken ist das Geschäft sehr lukrativ, denn sie erhalten derzeit Zentralbankkredite zu 1,0 Prozent Zinsen. Die Kreditnachfrage ist entsprechend groß und wurde in der Vergangenheit unter anderem dadurch begrenzt, daß den Banken hochwertige Sicherheiten ausgingen. Diese Schranke ist mit ELA aufgehoben. Griechische und vielleicht bald auch spanische Banken können so ihre unverantwortlichen Regierungen finanzieren. Sowohl bedrohte Staaten als auch Banken profitieren von dieser großzügigen Finanzierung. Nur der Währungsnutzer, dessen Euro-Währung zunehmend auf heißer Luft gebaut ist, schaut in die Röhre.

Was kommt im schlimmsten Fall auf die Euro-Nutzer zu? Falls aus der ELA Verluste anfallen, weil Banken ausfallen und die hinterlegten Sicherheiten nichts mehr wert sind, werden sie den entsprechenden Zentralbanken angelastet. Es ist möglich, daß die Staaten nicht in der Lage sind, ihre Zentralbanken aus Steuergeldern zu rekapitalisieren, so daß dazu einfach neues Geld mit der ELA gedruckt wird. Wird dem ungebremsten Gelddrucken hingegen Einhalt geboten, werden sowohl die jeweiligen Staaten als auch ihre Bankensysteme, die auf ständig steigende ELAs angewiesen sind, zahlungsunfähig werden. Ihre Zahlungsunfähigkeit bedeutet Verluste für die EZB und auch die Bundesbank – zusätzlich zu den möglicherweise uneinbringlichen Target2-Forderungen (JF 18/12).

In jedem Falle droht, entweder durch die ungehemmte Geldproduktion mittels ELA oder durch die durch ihre Begrenzung entstehenden Verluste, ein entscheidender Vertrauensverlust in den Euro.

 

Prof. Dr. Philipp Bagus lehrt Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid.  www.philippbagus.com

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