© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Steile Thesen
Geistiges Eigentum: Im Streit um das Urheberrecht stehen sich die Positionen unversöhnlich gegenüber
Mart in Böcker

Die Piratenpartei hat das Urheberrecht fundamental in Frage gestellt und damit eine hitzige Debatte ausgelöst. Völlig enthemmt stellten die Streitenden NS-Vergleiche an, sie veröffentlichten Privatadressen an Internet-Prangern, und in unterirdischen Talkshows durften wir erfahren, wie schwach die deutsche Moderatorenlandschaft ist.

Nachdem die Piraten mittlerweile in vier Landesparlamenten vertreten sind, gehen einige Autoren, Musiker und sonstige Kulturschaffende – also die Urheber – auf die Barrikaden. Den Anfang machte der Schriftsteller und Musiker Sven Regener mit seiner fünfminütigen Wutrede vom 22. März im Bayerischen Rundfunk. Der Frontmann der Band Element of Crime attackierte in einem Radiointerview die Piratenpartei und wurde recht deutlich: Was die Piraten forderten, sei nichts anderes, als den Urhebern ins Gesicht zu pinkeln und zu sagen: „Euer Kram ist nichts wert, wir wollen das umsonst haben“.

Ihm folgten einige hundert Kreative mit einer im Internet veröffentlichten Erklärung. Auf www.wir-sind-die-urheber.de erklären sie, daß das Urheberrecht „eine historische Errungenschaft bürgerlicher Freiheit gegen feudale Abhängigkeit“ sei und „die materielle Basis für individuelles geistiges Schaffen“. Freies und unbezahltes Kopieren ihrer Werke hingegen bedeute Diebstahl an „geistigem Eigentum“.

Die Piraten halten mit ähnlichem Pathos dagegen: „Der uralte Traum, alles Wissen und alle Kultur der Menschheit“ zusammenzutragen und verfügbar zu machen, sei durch das Internet in „greifbare Nähe“ gerückt. Nur die aktuellen Gesetze würden der Umsetzung noch entgegenstehen, denn sie beruhten ja noch auf jenem Verständnis von „geistigem Eigentum“, wie viele Urheber und die „Verwertungsindustrie“ es noch hätten.

Stark vereinfachend könnte man sagen, daß in dieser Auseinandersetzung die Interessen der Konsumenten denen der Urheber gegenüberstehen. Die Konsumenten möchten einen unkomplizierten Zugang zu Wissens- und Kulturprodukten, diese Produkte möchten sie legal und möglichst kostenlos unbegrenzt weiterverteilen und weiternutzen. Die Urheber hingegen möchten sicherstellen, daß die von ihnen zur Verfügung gestellten Inhalte gut bezahlt werden, und zwar nicht in Form einer „Flatrate“ oder mit besserer „Sozialhilfe“, sondern in Anlehnung an ihren kommerziellen Erfolg. Also: Je öfter ein Lied heruntergeladen oder ein Video angeschaut wird, desto mehr Geld soll der Urheber dafür erhalten.

Natürlich versuchen beide Seiten, die jeweils andere von hinten zu überrumpeln: Die Piraten behaupten, daß freies Kopieren und kostenfreie Inhalte auch „innovative Geschäftskonzepte“ eröffnen könnten, manche Nutzer würden eine CD erst dann im Original kaufen, wenn sie vorher eine „Privatkopie“ bekommen hätten. Damit würden die Urheber von der „Verwertungsindustrie“ unabhängiger, also frei von Plattenfirmen oder Verlagen. Dagegen erklärt die andere Seite, daß erst die traditionellen Verwerter eine vielfältige Kulturszene ermöglichen würden. Die meisten kleineren Plattenfirmen hätten ihre Geschäftsgrundlage verloren und seien vom Markt verschwunden, weil digitale „Raubkopien“ millionenfach im Netz verbreitet werden können.

Obwohl beide Positionen für sich beanspruchen, eigentlich auch die bessere Alternative für ihre Gegner zu sein, sind sie in ihren Grundsätzen unvereinbar. Denn die Ideen der Piratenpartei zum Urheberrecht basieren auf der Grundannahme, daß es „geistiges Eigentum“ nicht gäbe. Das ist ein äußerst voraussetzungsreiches Gedankenspiel und widerspricht radikal der Philosophie des gängigen Urheberrechts. Damit muten die Piraten nicht nur utopisch an, sie sind es auch. Utopisch daran ist, daß sie eine Art von Wissens- und Informationsgesellschaft verwirklichen möchten, deren Voraussetzungen noch nicht vollständig vorliegen (vielleicht auch niemals vorliegen werden), sondern erst noch vollendet werden müssen. In dieser Hinsicht ähneln sich alle Utopisten: Noch diese zwei oder drei Dinge müssen geändert werden, aber dann kommt die bessere Gesellschaft bestimmt. Und wenn sie dann doch nicht kommt, dann muß man es nur noch ein bißchen besser machen. Und so weiter und so fort.

Die Reaktion der Urheber stellt das genaue Gegenteil dieser Zukunftsvision dar, sie igeln sich ein und verlautbaren, daß das praktisch straffreie und kinderleichte Kopieren von Daten keinen Diebstahl rechtfertigen dürfe und „keine Entschuldigung für Gier oder Geiz“ seien. Das sind harte Worte gegenüber einem Publikum, von dem ein großer Teil – Hand aufs Herz! – sicher einige gebrannte CDs im Schrank oder illegal kopierte Dateien auf der Festplatte haben dürfte. Und selbst wenn sich alle darüber einig wären, daß so etwas eigentlich bestraft gehörte: Wer sollte diese massenhafte Bestrafung übernehmen?

Die Utopisten der Piratenpartei liegen zunächst also richtig damit, daß das Urheberrecht neu diskutiert werden muß, nachdem die Umstände sich so sehr verändert haben. Sie haben diesen ersten Schritt ihrer Utopie sogar in einem detailreichen Argumentationspapier konkretisiert. Darin schlagen die Piraten 84 Änderungen des Urheberrechtsgesetzes vor, womit es „vernünftig und zeitgemäß“ reformiert werden soll.

Wie „vernünftig und zeitgemäß“ dieses Papier nun tatsächlich ist, steht freilich auf einem anderen Blatt geschrieben und bedarf der Diskussion. Fakt ist jedenfalls, daß die Piraten das Kultur-Establishment mit einigen steilen Thesen herausgefordert haben. Selbst wenn das unverschämt oder bescheuert wäre, das ist ihr gutes Recht. Und falls sie noch einflußreicher werden, können ihre Gegner nicht mehr darauf beharren, daß das Urheberrecht einfach so bleiben soll, wie es ist. Dann müssen sie ihren Standpunkt begründen oder selbst Vorschläge liefern, die über eine verbesserte Durchsetzung des alten Rechts hinausgehen.

Es mag wichtigere Themen geben als das. Doch die permanente Präsenz von Produkten der „Kulturgüterindustrie“ mag als Indiz dafür ausreichen, daß die Utopisten der Piratenpartei Bewegung in eine nicht ganz nebensächliche Sache gebracht haben.

Foto: Internetportal The Pirate Bay, angeboten von der schwedischen Piratenpartei: Hier kann sich jeder sogenannte Torrent-Dateien herunterladen

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