© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Ein Zensor ist ein Krokodil
Geniale Gemeinheiten: Zur Erinnerung an den Dramatiker, Schauspieler und Sänger Johann Nestroy
Sebastian Hennig

Johann Nepomuk Eduard Ambrosius Nestroy wurde 1801 in Wien geboren. Nestruj schrieb sich noch der tschechische Großvater des Lustspieldichters. Sein Vorname Johann Nepomuk, der vom verehrten Nationalheiligen übernommen wurde, weist deutlicher nach Böhmen. Einen guten Teil seiner Beweglichkeit und Musikalität verdankt Wien dem stetigen Zustrom aus den östlichen Teilen des Reiches. Der Sohn eines Rechtsanwaltes genoß eine solide Bildung und studierte zwei Semester Jurisprudenz. Die Aussicht auf glänzende Plädoyers reichte ihm nicht. Die Mitwirkung an Aufführungen von Lieberhabertheatern enthüllte seine Affinität zur Bühne. Eine imposante Baßstimme empfahl ihn, so wurde er in Wien als Opernsänger verpflichtet und debütierte als Sarastro in Mozarts „Zauberflöte“.

1823 ging er an die Oper nach Amsterdam, dann nach Brünn, wo sich ein erstes Mal die Polizei wegen „ehrenrührigen Extemporierens“ an seine Fersen heftete. Für solche Ausfälligkeiten hatte er gelegentlich Geldstrafen zu erlegen und Arrest anzutreten. Doch sie waren die unentbehrliche Würze seiner Schauspielzubereitungen. Er verfaßte jeweils zwei Texte, einen für die Zensur und einen für die Bühne, welcher letztere sich durch spontane Improvisationen noch weiter aufheizen ließ: „Ein Zensor (…) ist ein Krokodil, das an den Ufern des Ideenstroms lagert und den darin schwimmenden Literaten die Köpfe abbeißt.“

Anders als der andere große Wiener Volksbühnenschreiber Ferdinand Raimund ließ er seine Ideen nicht ursächlich aus sich selbst strömen, sondern leitete Erprobtes, zumeist aus dem französischen Vaudeville, auf seine geschäftigen Mühlen. Der Druck, Neues hervorzubringen, war immens. Drei bis vier Stücke hatte er laut Vertrag jedes Jahr zu liefern. Die tradierten Gattungen von Zauberspiel, Parodie, Besserungsstück und Außenseiterkomödie faßte er auf seine eigene schnoddrige Weise. Seine Zauberer und Feen sind eine schusselige Bagage, von der nicht viel Wunderbares zu erwarten steht. Selbstredend sind schon die Überschriften: „Der konfuse Zauberer“ (1832), „Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt“ (1833), „Die zusammengestoppelte Komödie“ (1840) und „Freiheit in Krähwinkel“ (1848). Die Volksstücke Ferdinand Raimunds hießen dagegen „Diamanten des Geisterkönigs“, „Die unheilbringende Zauberkrone“ oder „Das Mädchen aus der Feenwelt“.

Gerade durch seine kuriose Einkleidung und Anreicherungen mit Quodlibets und Couplets wurden die geliehenen Stoffe unverwechselbar. Dabei verfaßte er die Rollen zielgerichtet für sich und die Akteure der Truppe. Ein besonders verschlungenes Wechselgeschäft ereignete sich mit der Posse „Einen Jux will er machen“. Nestroy bediente sich an einer Farce von John Oxenford. Thornton Wilder nahm dann später den Stoff aus Nestroys Händen wieder zurück in die anglophone Welt und wandelte ihn zu dem Musical „Hello Dolly!“

Der Anteil seiner darstellerischen Fähigkeiten am Erfolg der Stücke war so beträchtlich, daß deren selbständiges Weiterleben nach seinem Tod zunächst bezweifelt wurde. Wenn der Silbenstecher Friedrich Theodor Vischer, ein vornehmerer Bruder in der Familie der Sprachgewitzten, die „stinkenden Witze“ Nestroys zurückweist, so wird ihn nicht zuletzt eine intellektuelle Eifersucht auf die Beifälligkeit des Theaterpöbels dazu bewogen haben. Er kreidet ihm an, er würde „zu erraten geben, daß das innerste Heiligtum der Menschen einen Phallus verberge“.

Das ist wohl insoweit richtig, daß die Schnellzünder unter den Witzen immer Schadenfreude, Geldgier und den niederen Eros kitzeln. Aber wenn Nestroy seine Hebel dort ansetzt, wo er auf natürliche Verankerungen trifft, so darf doch nicht verkannt werden, daß die von ihm verursachte Bewegung in andere Richtungen weist. Er hat freilich wenig Zuversicht in das sittliche Vermögen seiner Mitmenschen, aber er entlastet sie auch nicht auf feile Weise. Das Possenhafte und Possierliche ist die verlegene Entschuldigung für seine bissigen, trocknen Anmerkungen und wirkt so als eine zuspitzende Entschärfung.

Doch ein „Wiener Aristophanes“ ist er wohl eher nicht gewesen. Denn das Wien jener Tage war dafür zu wenig hellenisch und der Autor zu sehr gehetzt. Über achtzig Stücke hat er verfaßt. Nach dem Tod des Direktors übernahm er 1854 das Josephstädter Theater. Friedrich Hebbels „Judith“ war bereits einen Monat nach der Uraufführung am Burgtheater bei ihm als Parodie zu erleben.

Wenn Hebbel vom „Genius der Gemeinheit“ spricht, hat er es wohl getroffen, soweit das kein Werturteil beinhaltet, sondern eine Aussage über die Wirkungsweise seiner Stücke darstellt. Nestroys Bühnenwirkung galt lange nur als hochwirksame Gebrauchskunst. Erst 1901 durfte „Der böse Geist Lumpacivagabundis“ auf den geweihten Brettern des Hofburgtheaters erscheinen, und der Dichter-Schauspieler war damit endlich ein Dramatiker, neben Grillparzer und Raimund. Letzterer wurde gerne als Antipode Nestroys stilisiert. Und sicherlich hat auf ihm das Leben schwerer gelastet, was sich auch in der Dichte seiner Werke niederschlägt. Nach einem Hundebiß war Raimund von der Vorstellung besessen, an Tollwut zu verenden. Aus Angst vor diesem Tod erschoß er sich 1836 selbst. Karl von Holtei, den auch Nestroys Lästerspiegel verzerrte, bemerkte dazu: „Raimund ist nicht an dem Biß eines wütenden Hundes zugrundgegangen, er ist an Nestroy zugrunde gegangen“.

Die letzten Worte, die dieser zum Publikum sprach, lauteten: „Alles umsonst.“ Vier Wochen darauf traf ihn am 25. Mai 1862 der Schlag.

Eine eigenwillige Stellung hatte er zu seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Maria Weiler, mit der er den Doppelkontrakt bei dem Theaterdirektor Claus Claus unterzeichnete, durch den die große Zeit als Stückeschreiber und Darsteller an den Wiener Volkstheatern eingeleitet wurde. Eine wechselhafte und doch haltbare Beziehung, denn er war alles andere als zurückhaltend mit Liebeleien, sorgte zugleich aber dafür, daß ihm keine Beweisstücke in die Quere kamen. Alle Schriftstücke wurden nach der Köderung und Kirrung pedantisch wieder eingesammelt. Erhalten hat sich dagegen das Testament mit dem Wortlaut: „Zur Universalerbin ernenne ich Maria Weiler, die teure Freundin meiner Tage, welche durch aufopferndes Wirken das Meiste zur Erwerbung meines Vermögens beigetragen hat, so zwar, daß ich nicht zuviel sage, wenn ich behaupte, sie hat gegründetere Ansprüche darauf als ich selbst.“

Renate Wagner: Der Störenfried. Johann Nestroy. Ein Theaterleben. Kremayr & Scheriau, Wien 2012, gebunden, 255 Seiten, 24 Euro

Fotos: Bildnis Johann Nestroys von Franz Schrotzberg, 1834: Er hatte wenig Zuversicht in das sittliche Vermögen seiner Mitmenschen; Rollenbilder: Johann Nepomuk Nestroy als Willibald („Die schlimmen Buben in der Schule“), als Tratschmiedl, als Sansquartier in „Zwölf Mädchen in Uniform“ und als Pan in Jacques Offenbachs „Daphnis und Chloe“ (v.l.n.r.)

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