© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Nachahmen und übertrumpfen
Tizians Kleist: Tintorettos Malerei in einer prächtigen Ausstellung in Rom
Sebastian Hennig

Jacopo Robusti kam 1518 in Venedig zur Welt. Der Name Tintoretto, „das Färberlein“, verknüpft die Anspielungen auf seine geringe Körpergröße mit dem väterlichen Beruf des Seidenfärbers. Dessen Färbemittel soll der kleine Jacopo malend auf den Wänden des elterlichen Hauses verteilt haben. Aber auch sein späterer bedingungsloser Ehrgeiz bei der Akquirierung kleiner und großer Aufträge zeichnet ihn als einen flotten Färber größter Malgründe aus. Statt mit der üblichen Skizze stach er seine Mitbewerber bei bedeutenden Aufträgen oft mit halbfertigen Bildern aus.

Daß die Freskomalerei im feuchten Venedig keinen günstigen Grund findet, führte zur Ausschmückung der Kirchen und Paläste mit riesigen Leinwänden. Tintorettos Apotheose von Republik und Religion findet sich im Dogenpalast, unzähligen Kirchen, der Accademia und vor allem in der Niederlassung der Bruderschaft San Rocco, wo er sich sein Denkmal setzte. Die gigantische Darstellung des „Paradiso“ im großen Ratssaal des Palazzo Ducale mußte für den verstorbenen Vater dessen Sohn Domenico vollenden.

Eine immerhin bald vier Meter lange Studie aus dem Louvre ist nun in Rom zu sehen. Diese mystische Schau ist der fertigen Staatskunst im Palast vorzuziehen. Sie ist um soviel großartiger, wie jenes Bild größer bemessen ist. Hier wird exemplarisch deutlich, welchen Sisyphos-Stein das Färberlein wälzte. Er trachtete nach nichts weniger als die plastische Bildausbreitung eines Michelangelo mit dem glühenden Kolorismus eines Tizian zu verschmelzen.

Und wirklich ist das „Paradiso“ eine perspektivische Längung von Buonarottis Jüngstem Gericht in der Sixtinischen Kapelle in der Farbigkeit von Tizians Assunta in der Frarikirche. Darüber hinaus ist sein Bildaufbau so eigen und störrisch, daß verständlich wird, daß es der junge gärende Mann seinerzeit nicht lange in der Werkstatt seines Lehrers Tizian ausgehalten hat oder vielmehr von jenem nicht lange geduldet werden konnte. Der Bremer Kunsthistoriker Emil Waldmann (1880–1945) faßte das Verhältnis zusammen: „Tizian hat ihn gehaßt, wie nur je in den schlimmsten Tagen Goethe den jungen Kleist haßte…“.

Die Aemulatio, die Nacheiferung, Überbietung, war eine gerühmte Triebfeder der Renaissance-Meister. Weit entfernt von der revierabschirmenden Haltung, die heute in Kunst und Wissenschaft vorherrscht. Jede Verletzung des Urheberrechts war ein Sandkorn in der Muschel, das Perlen bildete. Die Schwachen sind fast eingegangen vor Ärger, übertroffen worden zu sein. Die Stärkeren setzten sich abermals gegen die Anfechtung durch, mit neuen atemberaubenden Erfindungen, die erneut kreativen Widerspruch forderten.

In diesem Sport war Tintoretto einer der vitalsten Kämpen. Er drängte sich als Jüngerer in das Triumvirat der Geschmackswächter, Tizian, Sansovino und Pietro Aretino. Letzterer bewarb sich mit vorbehaltlichen Lobpreisungen um die Rolle des Protektors eines aufsteigenden Genies. Ein ästhetisches Beben verursachte das „Markuswunder“(1548). Der Autor der „Kurtisanengespräche“ schrieb an den Maler: „Ihre Farbe ist Fleisch, Ihr Körper lebend … Und selig Euer Name, wann Ihr die Geschwindigkeit der Tat zur Geduld des Tuns einschränktet…“

Für letztere Empfehlung bestand keine Möglichkeit der Befolgung; die republikanischen Kaufleute schmälerten laufend das Honorar. Tintoretto blieb ganz auf Venedig beschränkt und suchte entsprechend für sich und seine bedürftige Familie Zuflucht bei einer der einflußreichen Bruderschaften. Er malte den Laien der Rochusbrüderschaft die Scuola Grande und Kirche San Rocco aus, gegen die Erstattung des Materials und einer Leibrente für seine Familie. Die zwei viereinhalb Meter hohen Mariendarstellungen, späteste Werke aus diesem Zusammenhang, sind Bestandteil der Ausstellung in der Scuderie del Quirinale gegenüber dem italienischen Regierungspalast.

Von Tintorettos religiösen Bildern unterscheiden sich jene profanen Inhalts, das heißt Allegorien oder antike Mythen betreffende Bilder, nur der Handlung nach. Die Darstellungsweise ist ebenso raffiniert und pathetisch. Aber gegenüber der reinen Barockmalerei, für die der Meister die wichtigsten Motive vorgab, bleibt alles von getragener Würde, ist bewegend, aber nicht beweglich. Seine Gefaßtheit, die hinter allem Ungestüm diesen Mann mäßigte, kommt in den Bildnissen zum Ausdruck, die allein ausreichen würden, seinen Ruhm zu erhalten. Das Londoner Jugendporträt von 1547, kurz vor dem Erfolg des „Markuswunders“, und vierzig Jahre darauf aus dem Louvre der längliche schlaffe Kopf von vollem weißen Haar umrahmt. Der Mund liegt unsichtbar im Bart verborgen. Die Augen sind zwei müde dunkle Lachen, weniger zum Schauen bestellt als die Abgründe, Strudellöcher, in welche in einem zurückliegenden Menschenleben die Welt in allen ihren Formen und Farben hineinstürzte.

Dazwischen entstanden die Konterfeis der Prokuratoren, Edelmänner und -damen, in sorgfältigem Abstand und genauer Beobachtung gefaßt. Keiner ist wie der andere und alle vom gleichen Geist des Lagunenstaates geprägt. Als dessen Niedergang einsetzte, gelangten auch Tintorettos Gemälde als Beute und Handelsware in die Museen ganz Europas. Zur Vereinnahmung in eine großitalienische Kultursphäre sind sie jetzt in Rom versammelt. Dabei wurden auch die Wurzeln und Aussenker dieses Werkes berücksichtigt. So findet sich eine „Verkündigung“ von Tizian, die in Format und Gestus die Reibung am Ungestüm des nachdrängenden Meisters erkennen läßt, ein frühes Bild „ Die Heilung des Blinden“ von El Greco, der in Tizians Werkstatt arbeitete und Wesentliches von Tintoretto lernte, sowie Bilder von Paolo Veronese, dem gleichrangigen Meister im mehrfigurigen Großformat.

Die „Tintoretto“-Ausstellung ist bis zum 10. Juni in Rom in der Scuderie del Quirinale, Via 24 Maggio, täglich außer montags von 10 bis 20 Uhr zu sehen. Der Katalog (Editore Skira) mit 272 Seiten und 150 Abbildungen kostet in der Ausstellung 35 Euro. www.scuderiequirinale.it

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