© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Präsidentschaftswahl in Ägypten
Zutiefst gespalten
Günther Deschner

In der ersten Runde hat kein Kandidat die nötige Mehrheit erhalten und so kommt es Mitte Juni zwischen den zwei führenden Bewerbern, Mohammed Morsi und Ahmed Shafik zur Stichwahl – eine Wahl zwischen zwei Extremen: Morsi ist der offizielle Kandidat der Moslembrüder und Shafiq der inoffizielle Kandidat der Militärs. Die Vertreter der „Revolution“ vom Tahrir-Platz haben ausgespielt. Wenn Wahlen den Willen der Bevölkerung widerspiegeln, dann ist es also der Wunsch der Ägypter, daß ein islamistischer Betonkopf wie Morsi oder Mubaraks letzter Premierminister das wichtigste Land der arabischen Welt führen sollen. Die Stichwahl droht damit zu einer weiteren Zerreißprobe für die ägyptische Gesellschaft zu werden – eine gefährliche Polarisierung.

Angesichts einer Wahlbeteiligung von 46 Prozent und Werten von unter 25 Prozent können die Kontrahenten kaum behaupten, „das Volk“ hinter sich zu haben. Sie symbolisieren eher die stärksten Trends in der ländlichen Bevölkerung, die zwischen Islam und der alten Ordnung gespalten ist. In den Großstädten Kairo und Alexandria erhielt Hamdin Sabahi, der charismatische Gründer der national-sozialistischen „Partei der Würde”, mehr Stimmen als all seine Konkurrenten. Das weist darauf hin, daß Ägypten nicht nur zwischen Islamisten und Säkularen, zwischen „alten“ und „neuen“ Kräften zerklüftet ist, sondern auch zwischen den Metropolen und der Provinz.

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