© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Krise der Linkspartei
Verdientes Siechtum
Rolf Stolz

Jene Partei, die den stinkenden Leichnam der SED trotz aller Namenshäutungen, Reform-ornamente und Neuzugänge niemals beerdigt hat, taumelt durch eine ihrer vielen Krisen. Der Saar-Napoleon zieht sich verschnupft in sein Oskarsruh zurück und schickt seine Sahra in die Personalschlacht. Östliche Mitregierer und westliche Dauerprotestierer streiten um Pfründe und Politformeln. Egal, wie die Sache ausgeht: Selbst wenn der Verein, der sich größenwahnsinnig „Die Linke“ nennt und allenfalls ein Segment der Linken ist, im Westen auf das DKP-Niveau absacken und im Osten eine Art OEW (Ostelbischer Wählerverband) würde, verschwände nicht die Linke und nicht ihr Elend.

Was ist die Linke als Ganzes, in allen ihren Verästelungen und Widersprüchen – von Nationalallergikern zu Patrioten, von Reförmchenbastlern zu Revolutionsträumern, von Nostalgikern zu Neubeginnern? Sie ist der klamme Rest eines teils großartigen, teils verheerenden Erbes. Das große Erbe: In der Weltfinanzkrise ist die politisch-ökonomische Analyse von Marx und Engels trotz zeitbedingter Irrtümer alles andere als eine Antiquität. Der Kampf der Arbeiterbewegung gegen Manchesterkapitalismus und Massenelend, die mutige Gegenwehr vieler Sozialisten gegen den faschistischen Terror begeistern noch immer.

Wir alle verdanken unsere jetzige begrenzte und bedrohte politische Freiheit jenen Vorkämpfern der großen Revolutionen von 1789 und 1848, die bei allen Fehlern und Verbrechen den gewundenen Weg vorwärts freimachten. So wie Rechte und Konservative zu Recht zu ihren Heroen stehen, die wie Bismarck oder Carl Schmitt auch nicht ohne Fehl und Tadel waren, so kann die Linke selbstbewußt jener gedenken, die ehrlich Freiheit und Gerechtigkeit wollten.

Aber da ist auch das Schreckenserbe: Der hundertjährige Bruderkrieg zwischen Reformisten und Revolutionsverfechtern, der Terror in den Bürgerkriegen und nach deren Beendigung, die gewaltsame Errichtung volksfeindlicher Funktionärsdiktaturen, Massenmorde (20 Millionen unter Stalins Herrschaft, mehr als zwei Millionen 1945/46 bei der Vertreibung der Ostdeutschen). Eine Linke, die sich an Erinnerungen berauscht, die Schuldeinsicht, Reue und tätige Buße verweigert, wird weiter dahinsiechen und verdient zur Hölle zu fahren.

 

Rolf Stolz war Mitbegründer der Grünen und lebt heute als Publizist in Köln.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen