© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

„Sie glauben, Sie sind dann tot? Irrtum.“
Der Bundestag hat eine Ausweitung der Organspende beschlossen. Ignoriert haben die Parlamentarier dabei, daß sich die Zweifel mehren, ob die Spender wirklich tot sind. Immer klarer wird, die Geschäftsgrundlage der Organspende, der „Hirntod“, ist medizinisch nicht zu halten.
Moritz Schwarz

Evans: Herr Schwarz, haben Sie einen Organspendeausweis?

Herr Dr. Evans, meinen Sie nicht, der Interviewer sollte das Gespräch eröffnen?

Evans: Natürlich. Pardon – aber würden Sie mir dennoch die Frage beantworten?

Schon seit zwanzig Jahren.

Evans: Und wissen Sie denn, was Sie da unterschrieben haben?

Wenn ich mich recht erinnere, steht es auf der Rückseite. Moment, ich trage den Ausweis in meinem Portemonnaie bei mir: „Ich gestatte, daß meinem Körper Organe und Gewebe entnommen werden nach der ärztlichen Feststellung meines Todes.“

Evans: Und wann, glauben Sie, sind Sie tot?

Verzeihung, führen Sie jetzt das Interview?

Evans: Erlauben Sie, ich bin sicher, Ihre Antwort ist repräsentativ für fast jeden, der einen Organspendeausweis unterschrieben hat.

Nun ... wenn man nicht mehr atmet, das Herz nicht mehr schlägt, wenn der Körper kalt und starr wird ...

Evans: Genau.

Was ist dann das Problem?

Evans: Sie haben etwas ganz anderes unterschrieben, aber Sie waren sich dessen nicht bewußt. Sie sollten sich Sorgen machen.

Warum?

Evans: Glauben Sie denn im Ernst, Herr Schwarz, Ihre Organe wären in dem Zustand, den Sie als Tod beschrieben haben, noch für irgendwen von Interesse?

Keine Ahnung ... ich dachte schon.

Evans: Nein, denn wenn es erstmal soweit ist, dann kann mit Ihrem Krempel keiner mehr etwas anfangen. Haben Sie schon mal den Begriff „Hirntod“ gehört?

Sicher ... ich würde vermuten, das Hirn stirbt zuletzt, daher ist „Hirntod“ die letzte Rückversicherung: Erst wenn wirklich auch das Gehirn tot ist, wird entnommen.

Evans: Klingt großartig. Aber leider ist das Gegenteil der Fall. Ihre Organe dürfen, um noch verwertet werden zu können, nicht „tot“ sein. Im Gegenteil man braucht sie noch möglichst „knackig“. Andererseits aber, um Ihnen diese entnehmen zu dürfen, müssen Sie selbst „tot“ sein. Das war der Widerspruch, vor dem man stand, als man vor etwa vierzig Jahren das Konzept vom Hirntod ersann: Das Hirn ist demnach nicht das letzte Organ, das „hinterherstirbt“, wie Sie glauben, sondern Ihr Hirn wird als tot festgestellt, bevor Ihre Organe das auch sind, denn nur dann lohnt sich deren Entnahme.

Hirntod ist also keine wissenschaftliche Kategorie, sondern nur ein Konzept?

Evans: Ein Konzept, eine Konvention, Sie sagen es. Man hat den Tod neu definiert, weil mit der alten Definiton, die Sie eingangs beschrieben haben, in der Transplantationsmedizin nichts anzufangen war. Ja, damit ging es überhaupt erst los: Der „Hirntod“ war sozusagen Startschuß für die Organtransplantation.

Das klingt unglaublich.

Evans: Ich weiß.

„Das Thema Organspende wäre in Deutschland vermutlich erledigt, wenn man zugibt, daß der Hirntod nicht gleichbedeutend mit dem Tod eines Menschen sei“, so der Deutschlandfunk.

Evans: So ist es.

Was tue ich jetzt mit meinem Organspendeausweis?

Evans: Schneiden Sie sie in Stücke.

Am Freitag letzter Woche hat der Deutsche Bundestag die Novellierung des Organspendegesetzes in Deutschland beschlossen.

Evans: Raten Sie, was ich davon halte.

Danach sollen künftig die Bürger alle zwei Jahre angeschrieben werden, mit der Aufforderung, Organspender zu werden.

Evans: Sie sollten mit den Unterlagen das gleiche tun, was ich Ihnen eben für Ihren Organspendeausweis empfohlen habe.

Das wäre allerdings das Todesurteil für Tausende Deutsche, die auf ein Spenderorgan warten!

Evans: Ich habe selbst erlebt, wie ein Bekannter, der auf eine neue Niere wartete, sterben mußte.

Allein in Deutschland müssen pro Tag drei kranke Menschen – die gerettet werden könnten – sterben, nur weil nicht genug Bürger einen Spenderausweis haben!

Evans: Ich weiß, und ich war als junger Arzt selbst ein starker Befürworter der Transplantationsmedizin – bis ich Einblick erhielt, wie transplantierbare Organe gewonnen werden. Ärzte sollten sich an Organtransplantationen nicht beteiligen, weil es ethisch nicht vertretbar ist, da sie auf dem Mißbrauch von Sterbenden basieren.

Etwa nur weil die Entnahme eine blutige Angelegenheit ist?

Evans: Nein, der amerikanische Neurologe Alan Shewmon etwa hat zahlreiche Fälle dokumentiert, bei denen der Organismus trotz Hirntod weiter funktionierte: Der Körper dieser Hirntoten regulierte weiter die Körpertemperatur, sie schwitzten, ihre Fingernägel wuchsen, sie produzierten Urin und Exkremente und schieden diese sogar aus, ihre Körper bekämpften Infektionen, heilten Wunden, und schwangere Hirntote trugen sogar weiter ihre Babys aus! Haben Sie sich das so vorgestellt, als Sie Ihren Organspendeausweis unterschrieben haben, Herr Schwarz? – Sehen Sie.

Alan Shewmon legte seine Untersuchungsergebnisse auf Einladung des Deutschen Ethikrates am 22. März in Berlin diesem Greminum vor. Ohne Konsequenzen, warum?

Evans: Das frage ich Sie. Es ist Ihr Ehtikrat, ich bin Engländer.

Laut Deutschlandfunk „sitzt der Ethikrat die international entfachte Debatte einfach aus“. Und die „FAZ“ meint gar, „die längst überfällige Debatte um den Hirntod meiden die Regierung und ihr Ethikrat wie der Teufel das Weihwasser“.

Evans: Eben, und die Debatte läuft schon seit Jahrzehnten.

Die Kommission für Bioethik der US-Regierung hat die Gründe für die Hirntod-Definiton 2008 als irrtümlich zurückgewiesen. Allerdings will die Kommission das Hirntodverständnis nicht aufgeben, sondern ergänzen.

Evans: Das ist die Strategie, ja. Das Problem ist, daß man keine transplantierbaren Organe – die im Körper eines Menschen noch zehn Jahre funktionieren sollen – von Toten entnehmen kann. Und da die medizinische Hirntoddefinition nicht aufrechterhalten werden kann, nun also der Versuch, ihn neu zu definieren. Aber diese Neudefinitionen, sowohl neurologisch wie auch der derzeitige nach Kreislaufstillstand, sind legale Fiktionen – zweckgerichtete Erfindungen.

Die medizinischen Einwände gegen den Hirntod sind ja im Grunde nicht neu. Wieso kommt die Debatte erst jetzt?

Evans: Das ist mir im Grunde auch ein Rätsel. Wahrscheinlich ist die Antwort: Hier zeigt sich die Macht der Medien, denn die haben die Organtransplantatation lange fast ausschließlich als wunderbares Mittel zur Rettung von Menschenleben dargestellt. Ärzte, die Fortschritte in der Organtransplantantionsmedizin erzielten, wurden von ihnen quasi als Menschheitsretter geadelt.

Der brasilianische Neurologe Cicero Coimbra von der Universität São Paulo schätzt, daß tatsächlich sechzig Prozent der Spender zum Zeitpunkt der Entnahme noch am Leben sind.

Evans: Eigentlich sind alle noch am Leben, ich habe ja schon ausgeführt warum – sonst wären ihre Organe nutzlos. Was Coimbra meint, ist, daß sechzig Prozent überleben könnten.

Was bedeutet?

Evans: Sechzig Prozent könnten wieder zu Bewußtsein kommen.

Immer mehr Ärzte kritisieren inzwischen die Organspendepraxis.

Evans: Ja, zum Glück, und immer mehr Journalisten interessieren sich dafür, ebenso wie immer mehr Bürger Aufklärung verlangen oder selbst aufklären, wie etwa bei Ihnen in Deutschland der Verein KAO, „Kritische Aufklärung über Organtransplantation“ von Renate Greinert – eine wundervolle Frau!

Im Deutschen Ethikrat sitzen auch Vertreter der Kirchen. Müßten diese die Einwände nicht aufgreifen?

Evans: Natürlich, aber meine Erfahrung ist, daß die Kirchen sich gerne auf die Position zurückziehen: Wir sind keine Mediziner, wir verlassen uns da auf das Urteil der Wissenschaft.

Der Fuldaer Bischof Heinz-Josef Algermissen nennt den Hirntod immerhin einen „Tatbestand der bewußten Täuschung“.

Evans: Wenn Sie direkt mit Kirchenvertretern sprechen, dann zeigen die sich durchaus mitunter problembewußt – aber sie tun dennoch nichts. 2005 tagte die Organtransplantation-Konferenz der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften. Der damalige Papst Johannes Paul II. zeigte sich in der Tat kritisch, und wir formulierten schließlich auch einen sehr kritischen Abschlußbericht. Unglücklicherweise aber fiel dieser mit der letzten schweren Erkrankung des Papstes zusammen und wurde dann nicht mehr veröffentlicht. Inzwischen ist mir auch klargeworden, was den Kirchen an der Organtransplantation so „gefällt“: Ich glaube, sie finden den Gedanken des Opfers, des einen Menschen für einen anderen, der darin steckt, anziehend.

In der Tat bleibt, daß Tausende ohne Organspende zum Tode verurteilt sind.

Evans: Ich fordere daher, daß den Leuten erklärt werden muß, was sie tatsächlich unterschreiben. Wie kann es sein, daß nicht erläutert wird, was konkret mit den entscheidenden Worten „nach meinem Tod“ im Organspendeausweis gemeint ist? Ein Spender oder Angehöriger eines Spenders denkt doch dabei nicht mal im Traum daran, daß der „Tote“ bei der Entnahme zur Sicherheit noch schmerzbetäubt werden müßte. Die Leute werden also getäuscht. Und ich fordere, ihnen reinen Wein einzuschenken. Dann würde sich das Thema von selbst erledigen.

 

Dr. David Evans: Der ehemalige Kardiologe an verschiedenen britischen Krankenhäusern, darunter Papworth und Addenbrookes, Jahrgang 1927, ist heute Fellow Commoner am Queen‘s College in Cambridge. Er zählt in England zu den profiliertesten Kritikern des Hirntod-Konzepts, an dem sich die Zweifel mehren. Die FAZ schreibt etwa: „Die zunächst angeführten Gründe stellten sich rückblickend als falsch heraus.“ In Deutschland bemüht sich der Verein KAO um „Kritische Aufklärung über Organtransplantation“ (Logo rechts). Die Initiative vereinigt Eltern, die nach eigener Beschreibung „ihre verunglückten Kinder zur Organspende freigegeben haben, ohne Hintergründe zu kennen. Erst als unsere Kinder beerdigt waren, haben wir begriffen, wozu wir ja gesagt hatten.“ Andererseits warten derzeit etwa 12.000 Deutsche auf ein Spenderorgan. Jährlich sterben rund 1.000 von ihnen – etwa drei pro Tag –, die eine Organspende retten könnte.

 www.initiative-kao.de

 

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