© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

„Der Sparer wird rasiert“
Euro-Krise: Die Bundesregierung setzt ihre milliardenteure Rettungspolitik unbeirrt fort / Neue Schuldenmacherei per ESM
Paul Rosen

Reihenweise purzeln Präsidenten und Regierungen, die Schuldenlast wird immer größer. Nur in Deutschland geht alles seinen Gang. Protokollmäßig arbeiten Regierung und Bundestag den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), also den unbefristeten europäischen Euro-Rettungsschirm sowie den Fiskalpakt ab.

„Die Gruppe der Neinsager will einfach nicht größer werden“, wunderte sich die FAZ über den eigenartigen Vorgang, daß innerhalb der schwarz-gelben Koalition nur ein Häuflein von zehn tapferen Abgeordneten – angeführt von Frank Schäffler (FDP) und Klaus-Peter Willsch (CDU) – Widerstand leistet. Daß Deutschland sich bei den „alternativlosen“ (Merkel) Euro-Garantieaktionen verhebt, dürfte weit mehr Koalitionabgeordneten bekannt sein als nur denen, die zur „Allianz gegen den ESM“ gestoßen sind.

Der Zuspruch für Willsch, Schäffler & Co. wird offiziell nicht größer, weil ein Teil der Abgeordneten wirklich davon überzeugt ist, daß jeder Euro für Europa grundsätzlich gut angelegt ist. Dem zweiten, weitaus größeren Teil ist die Währung egal. Sie interessiert nur das eigene Fortkommen und die Wiederwahl. Beides scheint derzeit nur mit Merkel und nicht gegen sie möglich zu sein. Immerhin hat die Berliner bzw. früher Bonner Regierung stets die Landtagswahlen verloren wie zuletzt die CDU in NRW; das wirkliche Ausmaß des Debakels von Düsseldorf dürften sich nur die wenigsten klargemacht haben. Wichtiger war für sie, daß Angela Merkel mit dem Rauswurf ihres Umweltministers Norbert Röttgen in der Lage war, ein Signal der Stärke auszusenden.

Geschenke für ESM- und Fiskalpakt-Zustimmung

Die Kanzlerin kann ihr bewährtes Spiel mit der Opposition fortsetzen. Das rot-grüne Dilemma brachte die Süddeutsche Zeitung auf den Punkt: „Ein Ja zur Euro-Rettung würde Schwarz-Gelb stützen, ein Nein der eigenen Überzeugung widersprechen.“ Nachdem SPD und Grüne urplötzlich und ohne klare Begründung von ihrer zentralen Forderung nach Euro-Bonds (gemeinschaftlicher Schuldenaufnahme in Europa mit günstigeren Zinsen für die Südländer und viel höheren für Deutschland) abgerückt waren, riecht vieles nach einer im stillen getätigten Übereinkunft von Opposition und Regierung.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) machte bereits einige Andeutungen, wohin die Reise gehen könnte. Sein Rezept ist alt, aber bewährt: Er will sich die Mehrheiten besonders im Bundesrat zusammenkaufen: Für hochverschuldete föderale Habenichtse wie Bremen, Berlin und Schleswig-Holstein bot er Gespräche über eine Altschuldenhilfe an. Diesen nationalen Schuldensündern bot er auch an, über gemeinsame Deutschland-Anleihen (so etwas wie nationale Euro-Bonds) zu sprechen. Die Länder erhoffen sich, wenn sie sich bei der Kreditaufnahme an den Bund hängen können, niedrigere Zinsen und damit Spielraum für Klientel-Wohltaten.

Die Bundestagsfraktionen will Schäuble mit der Zusage gewinnen, sich für EU-Wachstumsbonds einzusetzen, die wolkige Projekte wie transeuropäische Stromnetze und Brückenbauten finanzieren sollen. Kein Mensch weiß, woher die Geldgeber kommen und warum EU-Bürokraten Energie- und Verkehrsinfrastruktur bauen sollen. Aber zusammen mit einem EU-Programm gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit besonders in südeuropäischen Ländern ist dies genug Stoff für die Opposition, um Merkel wie immer die Hand zu reichen, zumal deren Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer inzwischen auch von der Kanzlerin erhoben wird.

Gehen Merkels und Schäubles Rechnungen auf, sind die Mehrheiten am 14. Juni im Bundestag und am 15. Juni im Bundesrat sicher. Läßt die Opposition, die man für den mit Zweidrittel-Mehrheit zu beschließenden Fiskalpakt braucht, die Muskeln spielen, hat man zwei Wochen Reserve bis zum Inkrafttreten des ESM am 1. Juli. Daß der Fiskalpakt ein zahnloser Tiger ist, der keine Schuldenmacherei in Europa verhindern wird, kennen die Abgeordneten schon von der deutschen Schuldenbremse, die auch beliebig hohe Kreditaufnahmen über Hintertürchen zuläßt.

Gefahr von den Wählern droht der Regierung erst, wenn die deutschen Niedrigzinsen für Staatsanleihen die millionenfach verkauften privaten Lebens- und Rentenversicherungen ausdörren lassen. Wenn deren Renditen unter die Inflation sinken und Auszahlungszusagen reduziert werden, merkt der Wähler, daß er von den Gewählten brutal enteignet wird. „Der Lebensversicherungskunde bezahlt die Euro-Rettung“, warnt Schäffler. Und der Wirtschaftsweise Peter Bofinger (der Euro-Bonds präferiert) stimmt lapidar zu: „Der Sparer wird rasiert.“

 

Dauerhafter Euro-Rettungsfonds ESM

Spätestens am Ende dieses Monats will der Bundestag den umstrittenen Gesetzentwurf (17/9045) zum Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und den Gesetzentwurf (17/9048) zum ESM-Finanzierungsgesetz verabschieden. „Der ESM soll ab Juli 2012 den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets Stabilitätshilfen zur Verfügung stellen können, wenn es zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar sei“, heißt es in der Begründung. Der ESM wird zunächst mit einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro ausgestattet, davon sollen am Anfang 80 Milliarden Euro bar eingezahlt werden. Der deutsche Anteil beträgt 21,72 Milliarden Euro an Bareinlagen und 168,3 Milliarden Euro an abrufbarem Kapital, für das der deutsche Steuerzahler haften soll. Die in diesem Jahr anfallende Bareinzahlung soll durch einen ebenfalls schuldenfinanzierten Nachtragshaushalt in Höhe von rund 8,4 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Der erste Euro-Rettungsfonds EFSF (JF 17/12) soll parallel weiterlaufen.

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