© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Meldungen

Spekulation über essentielles Deutschtum        

STUTTGART. Im Juni 1940 vertraute Thomas Mann seinem Tagebuch „zornig“ an, Erich von Kahler habe sich wegen des erwartbaren Einzugs deutscher Regimenter in Paris „allzu bewunderungsvoll über Hitler“ ausgelassen. Für Hans Rudolf Vaget, Altmeister der TM-Forschung, spricht sich in dieser Notiz die ganze Ambivalenz des Denkers aus, der wie Thomas Mann nach 1933 in die USA emigriert war und dessen Schriften das Bild vom Judentum und das kritische Verständnis Deutschlands bestimmten, wie es sich in Manns „Doktor Faustus“ niederschlug (Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 1-2012). Vor allem Kahlers opus magnum, „Der deutsche Charakter in der Geschichte Europas“ (1937) trug hierzu Entscheidendes bei. Ungeachtet dieser Bedeutung sei Kahler, fest im böhmischen Judentum wurzelnd, heute vergessen, da sich seine „ahistorische Hypothese“ eines essentiellen Deutschtums als nicht „anschlußfähig“ erwiesen habe und sein Traum von der deutsch-jüdischen Symbiose nach 1933 zerplatzt sei. Bei aller „Überholtheit“, so räumt Vaget jedoch ein, ist der literarische Niederschlag der „exceptional friendship“ zwischen Mann und Kahler heute als „geistesgeschichtlich denkwürdige Konstellation“ zu werten. (wm)

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Der Naturalismus und das moderne Weltbild

BERLIN. Die Hirnforschung belebt uralte Debatten über Materialität des Geistes oder Grenzen menschlicher Freiheit, wie sie sich zuletzt um 1900 an den „Welträtseln“ Ernst Haeckels, des „deutschen Darwin“ und Stifters einer „monistischen“ Ersatzreligion, entzündeten. Zu denen, die in den Neurowissenschaften Bestätigungen dieses „materialistischen“ Weltbildes ablesen, gehört der Bielefelder Philosoph Ansgar Beckermann, der eifrig für den „Naturalismus“ als allein zeitgemäße, wissenschaftlich vertretbare Weltanschauung wirbt. Wie die Hirnforschung beweise, habe jedes neuronale Ereignis ausschließlich eine physische Ursache, „übernatürliche“ Kräfte, eine körperunabhängige „Seele“ oder Einwirkungen von „Göttern und Geistern“ seien nicht nachweisbar (Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 1-2012). Wer die Auffassung bestreite, daß Menschen biologische Wesen sind, die nur aus Atomen und Molekülen bestehen, müsse daher „gute wissenschaftliche Gründe“ liefern, was bislang niemand vermocht habe. (jr)

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Erste Sätze

Er mag nicht mehr.

Ernst Bloch: Freiheit und Ordnung und andere ausgewählte Schriften, Frankfurt am Main 1972

 

Historisches Kalenderblatt

3. Juni 1982: Im algerischen Aures-Gebirge wird in der Nähe eines Internierungslagers aus dem Unabhängigkeitskrieg (1954–1962) ein Massengrab mit offensichtlich von französischen Soldaten gefolterten Opfern (936 Männer, Frauen und Kinder) gefunden.

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