© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Merrit Drucker. Der ehemalige US-Offizier entschuldigt sich bei den Deutschen
Der Erschütterte
Felix Dirsch

Nein, eine neue „Zivilbußfertigkeit“, die Hermann Lübbe im Hinblick auf Deutschland beklagt, ist für die USA auch in Zukunft nicht zu erwarten. Zwar entschuldigte sich Bill Clinton in den neunziger Jahren für begangenes Unrecht an Indianerstämmen, Farbigen und Kriegsgegnern in Vietnam, die zahllosen sowohl zivilen wie kriegsgefangenen deutschen Opfer der US-Armee vor und nach 1945 blieben aber unerwähnt.

Für Merrit P. Drucker ist es nicht zu spät für eine solche Entschuldigung. Der Major a.D. der amerikanischen Streitkräfte war von 1987 bis 1990 in Deutschland stationiert und stieß hier auf Zeitzeugen, die die Zustände in den sogenannten Rheinwiesenlagern erlebt hatten, in denen die USA ab Frühjahr 1945 bis zu zwei Millionen deutsche Soldaten gefangenhielten, was Abertausende das Leben kostete.

Diese Eindrücke nahm Drucker mit zurück in die Heimat, wo er 1993 seinen Abschied nahm und dann als Umweltspezialist in der Privatwirtschaft und im Denkmalschutz arbeitete, bevor er bis 2007 leitender Angestellter der Stadtverwaltung von Wa-shington war.

Offenbar ließ den 1951 in New York geborenen Drucker, der drei Studienabschlüsse vorweisen kann, einen davon in Philosophie, das Grauen aber nicht mehr los, denn 2011 machte er sein Bedauern über die Opfer der Rheinwiesenlager öffentlich. Der Focus druckte den Text schließlich ganzseitig ab. Dort stellt der Erschütterte fest: „Den deutschen Kriegsgefangenen wurden Rechte nach der Genfer Konvention verweigert. Das geschah im Geheimen und widersprach den Bestimmungen des Völkerrechts (...) Das Rote Kreuz durfte die Lager nicht inspizieren, die Bevölkerung die Gefangenen nicht verpflegen (...) Es gab keinen Schutz, außer in Erdlöchern (...) Tausende starben.“ Drucker schließt: „Dem deutschen Volk spreche ich meine Entschuldigung aus.“ Und appelliert gar, sich seiner „tapferen Soldaten“ zu erinnern.

Die wahre Zahl der Opfer ist bis heute umstritten, geschätzt werden etwa 10.000 bis 40.000. Der kanadische Publizist James Bacque sprach 1989 gar von einer Million, was Historiker aber strikt zurückweisen.

Im Oktober 2011 entschloß sich Drucker an der Spitze eines Versöhnungskomitees zu einem Akt öffentlicher Entschuldigung in Washington. Doch keiner der geladenen Bundeswehrgenerale erschien, allein der Vorsitzende des „Verbandes deutscher Soldaten“, Oberstleutnant a.D. Max Klaar, war präsent.

Drucker, der im Juni in Thale/Ostharz und in Rheinberg am Niederrhein auf Gedenkfeiern sprechen wird, ist keineswegs der Spinner, als den ihn mancher abqualifiziert. Er betrachtet die Rheinwiesenlager vielmehr deshalb als skandalös, weil die Kapazitäten zur Versorgung vorhanden gewesen seien. Für ihn sind die Lager ein dunklerer Schatten auf der amerikanischen Seele als Guantanamo oder Abu Ghraib.

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