© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Untergang vorerst vertagt
Personalentscheidung: Auch nach der Wahl einer neuen Parteiführung auf dem Parteitag in Göttingen bleiben Zweifel, ob die Linkspartei eine Zukunft hat
Paul Leonhard

Das Spitzenduo Katja Kipping und Bernd Riexinger soll die zerstrittene Linkspartei einen. So hat es der Bundesparteitag am Wochenende in Göttingen beschlossen. Es geht um das Fortbestehen der Linken als bundesweit wahrnehmbare Partei. Gelinge es nicht, eine zur Kooperation bereite Führungsspitze zu wählen, sei es besser, sich fair zu trennen, hatte ein sichtlich genervter Linksfraktionschef Gregor Gysi die Delegierten beschworen. Die Repräsentanten von ostdeutscher Volkspartei und westdeutscher Interessenpartei müßten gezwungen werden, „wirksam und gemeinsam zu handeln“.

Ob die sächsische Bundestagsabgeordnete Kipping und der baden-württembergische Landesparteichef Riexinger diesen Ansprüchen genügen, werden die kommenden Monate zeigen. Die Mehrheit der rund 550 Delegierten traut es ihnen zu. 67 Prozent stimmten für Kipping, die sich überlegen gegen Dora Heyenn, Vorsitzende der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft, durchsetzte.

Knapper ging es bei der Wahl des zweiten Teils des Duos zu. Hier standen sich die Kandidaten der als unversöhnlich geltenden Flügel in Gestalt von Fraktionsvize Dietmar Bartsch und Bernd Riexinger gegenüber. Der 56jährige, der auch Geschäftsführer des Bezirks Stuttgart der Gewerkschaft Verdi ist, hatte erst kurz vor dem Parteitag seine Kandidatur verkündet. Ermutigt hatte ihn dazu offenbar der frühere Parteichef Oskar Lafontaine. Dessen Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht hatte für eine Doppelspitze Kipping/Riexinger geworben. Die ehemalige Sprecherin der Kommunistischen Plattform war entgegen allen Spekulationen nicht angetreten, um „die Polarisierung der Partei nicht auf die Spitze zu treiben“. Sie begnügt sich weiterhin mit dem Posten einer von vier Stellvertretenden Parteivorsitzenden.

Riexinger erschien dem linken Parteiflügel als der geeignete Mann, um den verhaßten Reformer Bartsch zu verhindern. Die Strategie ist aufgegangen. Bartsch erhielt 251 Stimmen, Riexinger 291 und damit 53,6 Prozent. Damit sind die klassischen arithmetischen Vorgaben nach Geschlecht und regionaler Herkunft erfüllt, die hinter Bartsch stehenden ostdeutschen Landesverbände und der Reformer-Flügel dürften sich aber düpiert fühlen. Schon deswegen ist es offen, ob der Neubeginn gelingt und die tiefen Gräben innerhalb der vor fünf Jahren aus WASG und der PDS gebildeten Partei geschlossen werden können.

Der gelernte Bankkaufmann Riexinger ist weitgehend unbekannt. Er gehörte 2003 zu den Initiatoren der sozialen Bewegung gegen die Agenda 2010 und ist Initiator von Demonstrationen gegen die Hartz-IV-Gesetze. Kipping hatte vor ihrer Wahl für einen „Weg jenseits des Lagerdenkens“ geworben. Sie will sich quer zu Radikalen- und Reformer-Flügel stellen. Gleichzeitig machte die 34jährige deutlich, den Posten nur als „Teilzeit-Amt ausfüllen“ zu wollen, damit ihr ausreichend Zeit bleibt, sich um ihre vor einem halben Jahr geborene Tochter kümmern zu können. Ein zweifelhafter Spagat, haben doch Parteivorsitzende eine 80-Stunden-Woche zu absolvieren, wenn sie ihren Einfluß erhalten wollen. Was für ein Haifischbecken gerade die Bundestagsfraktion der Linken ist, hatte doch Gregor Gysi in ungewohnter Offenheit erklärt, mit seiner „Integrationsidee erst einmal gescheitert zu sein“. Er sprach von pathologischem Haß zwischen einzelnen Bundestagsabgeordneten seiner Partei.

Selbstkritik äußerte der Parteivorstand in seinem in Göttingen verabschiedeten Leitantrag. Die Partei habe sich oft allzusehr mit sich selbst beschäftigt: „Personalfragen und interne Streitereien ließen den politischen Auftrag und die politischen Inhalte in den Hintergrund treten, womit sich die Linke von den Menschen und ihren Sorgen, Nöten, aber auch Wünschen entfernt hat.“ Andererseits konstatiert der Leitantrag: „Mit unserem neuen Parteiprogramm sind wir die einzige Partei, die eine schlüssige Antwort auf die Finanzkrise sowie ökologische und demokratische Herausforderungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger präsentiert.“

Künftig sollen die Bekämpfung der europäischen Krise, die Erneuerung der Demokratie und die Schaffung guter Arbeits- und Lebensbedingungen im Mittelpunkt der politischen Arbeit stehen sowie das Engagement für Frieden und Abrüstung. Daran will sich die Linkspartei in den Monaten bis zur Bundestagswahl 2013 messen lassen.

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