© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Schon ein FN-Abgeordneter wäre ein Erfolg
Parlamentswahl in Frankreich: Front National kämpft um jeden Wahlkreis / Sieg der Linken erwartet
Friedrich-Thorsten Müller

An den kommenden zwei Sonntagen entscheidet sich, ob die Wahlrechtsreform aus dem Jahr 2000 in Frankreich ein drittes Mal dem jeweils frischgewählten Präsidenten wenige Wochen später auch eine satte Parlamentsmehrheit beschert. Zuvor war es durch unterschiedliche Amtsperioden von Parlament und Präsident regelmäßig zu der gefürchteten „Cohabitation“ zwischen dem rechten und dem linken politischen Lager gekommen. Nicht selten führte diese Frankreich an den Rande der Unregierbarkeit oder zu vorgezogenen Neuwahlen.

Die Chancen des Sozialisten François Hollande, der am 6. Mai mit 51,6 Prozent doch relativ knapp die Stichwahl für das Präsidentenamt gewann, stehen indes nicht schlecht. Eigentlich sagen alle Meinungsforscher einen Sieg der Sozialisten und der Linken voraus. Es ist nicht zu bestreiten, daß der neugewählte Präsident seine ersten Amtswochen relativ geschickt nutzt, um sich in Szene zu setzen.

Frankreich, das Hollande das Präsidentenamt lange Zeit nicht zutraute, hat fast schon überrascht zur Kenntnis genommen, daß er sich weitgehend fehlerfrei auf dem G8-Gipfel in Camp David bewegte. Ein erfolgreicher Coup war darüber hinaus die medienwirksame Senkung seines eigenen Gehalts als Präsident um 30 Prozent. Auch der angekündigte schnelle Truppenabzug aus Afghanistan oder die Forderung nach Luftangriffen auf die syrischen Machthaber sind in Frankreich populär. Des weiteren wartet das Land gespannt, wie er der deutschen Kanzlerin in den nächsten Monaten die Euro-Milliarden für ein Konsum verheißendes „Euro-Wachstumspaket“ aus den Ärmeln leiern wird.

Das bürgerliche Lager ist nach Niederlage und Rückzug von Nicolas Sarkozy dagegen kopflos und von der ungelösten Euro-Krise und der wirtschaftlichen Stagnation der letzten Jahre verschlissen. Hinzu kommt, daß die im französischen Mehrheitswahlrecht so wichtigen Wahlabsprachen im rechten Lager aufgrund der anhaltenden Ausgrenzungsversuche des Front National nicht funktionieren.

Da aber 17,9 Prozent der Franzosen beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl Marine Le Pen zur drittstärksten Kandidatin gemacht haben, fehlen den Bürgerlichen entscheidende Stimmen. Daran ändern auch teilweise neue – für den FN fast immer ungünstigere – Wahlkreiszuschnitte nichts. Gleiches gilt für die Ankündigung Marine Le Pens, in Einzelfällen und nur lokal in der Stichwahl patriotische Konservative zu unterstützen.

Gleichwohl ist es vor allem der Front National, der unter dem bestehenden Mehrheitswahlrecht und der Ausgrenzung durch das politische Establishment zu leiden hat. Aktuell ist der FN mit keinem einzigen Abgeordneten im Palais Bourbon vertreten. Trotz einer guten Vorlage bei der Präsidentschaftswahl 2007, bei der damals noch Jean-Marie Le Pen 10,4 Prozent der Stimmen erzielte, scheiterte der FN mit 4,3 Prozent in der fünf Wochen später stattfindenden Parlamentswahl.

Auch seriöse Beobachter gehen aber davon aus, daß dieses Mal der seit 2002 fast traditionelle Ergebniseinbruch zwischen den beiden Wahlen nicht mehr so groß sein wird. Aktuelle Wahlumfragen sehen den FN im ersten Wahlgang bei 14 bis 17 Prozent der Stimmen. Ein weiteres Indiz dafür, daß sich die Wähler des FN zunehmend als ein gänzlich eigenes Lager wahrnehmen könnten, das den Lockungen der situativ stramm national argumentierenden Bürgerlichen keinen Glauben mehr schenkt. Auch in Frankreich galten die Konservativen bei potentiellen FN-Wählern lange als das kleinere Übel, das man zur Not wählte, um linke Mehrheiten zu verhindern.

Hochgerechnet nach den Präsidentschaftswahlergebnissen könnte der FN am Sonntag in 353 von 577 Wahlkreisen in den zweiten Wahlgang einziehen, wofür 12,5 Prozent der Wahlberechtigten (nicht Wähler) für den FN-Kandidaten stimmen müßten. Für 200 davon hat der FN voller Zuversicht sogar bereits die Plakate für den zweiten Wahlgang drucken lassen.

Insgesamt wird aktuell damit gerechnet, daß es danach fünf bis acht FN-Kandidaten auch tatsächlich in die Nationalversammlung schaffen könnten. Für den Fraktionsstatus wären 15 der aktuell 577 Abgeordnetenmandate notwendig. Dabei ist nicht auszuschließen, daß darunter mit Marine Le Pen, ihrem Lebensgefährten Louis Aliot und ihrer Nichte Marion Marechal-Le Pen gleich drei Angehörige der Le Pen-Familie wären, was dem FN natürlich sogleich den Vorwurf des Nepotismus eintragen würde.

Marine Le Pen hat ihre Wahlziele bewußt niedrig formuliert, indem sie schon die Entsendung eines Abgeordneten nach Paris als Erfolg werten würde. Obwohl der FN seit der Stabübergabe von Jean-Marie an Marine Le Pen deutlich salonfähiger geworden ist, gibt es weiterhin eine beträchtliche Zahl von Wählern, die im zweiten Wahlgang immer den wählen, der die größte Aussicht hat, einen starken FN-Kandidaten zu schlagen.

Übrigens wird Marine Le Pen selbst in ihrem aussichtsreichen Wahlkreis 11 in der Region Nord-Pas-de-Calais, wo sie bei der Präsidentschaftswahl 31,4 Prozent der Stimmen erhielt, unter anderem mit ihrem linken Präsidentschafts-Widersacher um Platz drei, Jean-Luc Mélenchon, um das Mandat kämpfen. Dieser hatte sich medienwirksam bewußt Le Pens Wahlkreis ausgewählt, um vielleicht persönlich den Ruhm ernten zu können, der Frontfrau des FN den Weg in das Palais Bourbon zu verbauen.

Alles in allem dürfte die Parlamentswahl in Frankreich mit dem erwarteten linken Sieg die Tür weit zu linkssektiererischen Gesellschaftsexperimenten aufstoßen. Egal ob kommunales Ausländerwahlrecht, Frauen- und Migrantenquoten, Rente mit 60, Schwächung der Polizei, Ausweitung des Staatssektors: Überall werden absehbar Fehlanreize gesetzt, die eine gesellschaftliche Gesundung Frankreichs in den nächsten Jahren unwahrscheinlich machen. Die Arbeitslosigkeit erreicht bereits jetzt mit 2,9 Millionen ihren bisher höchsten Wert in diesem Jahrhundert.

Da die Bürgerlichen umgekehrt in dem immer mehr globalisierungskritischen Land aber vermutlich nicht vom Neoliberalismus lassen werden, ist die Wahrscheinlichkeit, daß nach der nächsten Legislaturperiode in Frankreich nichts mehr ohne die heute 43jährige Marine Le Pen und ihr Parteiprogramm der „nationalen Präferenz“ gehen wird, sehr groß.

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