© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Weg mit dem Euro!
Dokumentation: Appell von 14 deutschen und französischen Wirtschaftsexperten an die Regierungen der Europäischen Union

Was die Stunde hat geschlagen, sollst du deinem Volke sagen“ [Quand l’heure a sonné, tu dois avoir le courage de le dire à ton peuple]

Heinrich Heine

Dreizehn Jahre nach Einführung des Euro ist es offensichtlich, daß dieses Experiment nicht nur seine Verheißungen nicht eingelöst hat, sondern daß seine Fortführung sogar in ein Chaos münden wird. Statt Wohlstand erleben wir einen Wirtschaftsabschwung in fast allen Ländern der Euro-Zone und damit einhergehend eine erheblich steigende Arbeitslosigkeit. Statt Haushaltsdisziplin haben wir einen verantwortungslosen Anstieg der Staatsschulden erlebt, den eine Reihe schmerzhafter Sparmaßnahmen nicht verringert hat.

Statt einer besseren wirtschaftlichen Integration erleben wir ein sich verschärfendes Gefälle zwischen den jeweiligen Ländern. Die Länder Südeuropas, allen voran Griechenland, aber auch Portugal, Spanien, Italien und sogar Frankreich, erleben seit zehn Jahren eine stete Verschlechterung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Weil das Wechselkursventil verstopft ist, verringert sich die Kaufkraft der einen Länder, während in den anderen Wachstum und Beschäftigung gedrückt werden. So wird die harmonische Entwicklung des europäischen Binnenmarktes beeinträchtigt.

Statt eines Zusammenwachsens der Völker erleben wir eine wachsende Feindseligkeit zwischen Gläubiger- und Schuldnerländern. Statt einer Weiterentwicklung der Demokratie erleben wir, daß den Völkern von oben Entscheidungen aufgezwungen werden, an denen sie nicht beteiligt sind und die sie ablehnen.

Die verschiedenen Schirme, die aufgespannt werden, um „den Euro zu retten“, sind vergeblich, denn sie befassen sich ausschließlich mit den Staatsschulden und packen das eigentliche Problem nicht an der Wurzel des Übels – mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und defizitäre Leistungsbilanzen der Länder Südeuropas.

Der Versuch, den Abwertungsbedarf über interne Deflationsprozesse zu kompensieren, stößt sie noch tiefer in die Rezession (historische Beispiele: Deutschland 1930, Frankreich 1934). Ein Ziel verfolgend, das ohnehin nicht erreichbar ist, begibt sich Europa in einen Rezessionssog, der den wichtigsten Weltmarkt trifft und die ganze Welt beunruhigt.

Die Europäische Zentralbank (EZB) – ihre Grundsätze und Satzung mißachtend – sieht keinen anderen Ausweg, um den Euro zu retten, als massiv Geld zugunsten der Banken zu drucken. Es ist darüber hinaus genauso illusorisch zu hoffen, ein „Europa der Transfers“ würde die Währungsunion stabilisieren. Eine Politik dauerhafter Transfers von Hunderten von Milliarden Euro in die angeschlagenen Länder läuft auf eine Vergemeinschaftung der Staatsschulden hinaus. Die Völker, die ihren Beitrag dazu leisten müßten, werden diese Lösung auch deshalb ablehnen, weil sie dauerhaft kontraproduktive Anreize für die Schuldnerländer schaffen würde. Eine Palliativhilfe ohne Perspektiven kann die Beschleunigung der Erschütterungen, die nicht nur die Finanzmärkte, sondern auch die Realwirtschaft treffen, nicht verhindern.

Wenn dieser Euro-Rettungspolitik nicht unverzüglich ein Ende gesetzt wird, wird das Abenteuer der Gemeinschaftswährung dramatisch enden: Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, ausufernde Arbeitslosigkeit, soziale Unruhen, zunehmende extremistische Tendenzen, Wiederaufflammen alter Konflikte, Auflösung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – alle diese negativen Faktoren führen dazu, daß die Länder Europas unregierbar werden und die Bedeutung Europas in der Welt schweren Schaden nehmen wird.

Die Europäische Union darf nicht weiter Spielball der auf Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ausgerichteten globalen Finanzoligarchien bleiben. Ist es nicht beschämend zu sehen, wie sie sich Politik und Wirtschaft untertan machen und nach ihren Interessen vor sich hertreiben?

Es ist offensichtlich, daß nur Ab- und Aufwertungen, die der jeweiligen Situation eines jeden Landes angepaßt sein müssen, das Ungleichgewicht zwischen ihnen beenden und somit das Wachstum wiederbeleben können. Die Geschichte liefert zahlreiche Beispiele von Brüchen in Währungsunionen: Es ist möglich, sie politisch und wirtschaftlich geordnet zu steuern, und sie haben sich oft schon nach wenigen Monaten als sinnvoll erwiesen.

Aus all diesen Gründen appellieren deutsche und französische Wirtschaftsexperten, die sich am 7. Oktober 2011 in Lyon und am 11. und am 12. April 2012 in Düsseldorf getroffen haben, an ihre jeweiligen Regierungen, Folgendes zu vereinbaren und den anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vorzuschlagen. Das Experiment der Gemeinschaftswährung muß eingestellt werden. Zu diesem Zweck müssen folgende Maßnahmen ergriffen werden:

- Wir empfehlen für die Euro-Staaten die Rückkehr zu nationalen Währungen, um nationale Probleme vor allem auf dem Arbeitsmarkt im Sinne nationaler Souveränität lösen zu können.

- Dabei wird durch eine geeignete Institution gewährleistet, daß die Nationalstaaten nach Problemlösungen im Sinne des Europäischen Binnenmarktes suchen.

- Die einzelnen Regierungen können eigenständig ihre Parität zu den Mitgliedstaaten festlegen, wobei eine solche Neubestimmung sich an Kriterien orientiert, über die im Rahmen einer europäischen Währungskonferenz Einvernehmen hergestellt wurde.

- Um ein höheres Maß an Flexibilität zu ermöglichen, sind Bandbreiten von plus/minus 15 Prozent vorgesehen. Zusätzlich können die nationalen Regierungen ihre Parität geänderten wirtschaftlichen Gegebenheiten anpassen.

- Es wird eine Verrechnungseinheit (ECU) eingeführt, in die die nationalen Währungen nach Maßgabe ihres Gewichts (Orientierung am nationalen Bruttoinlandsprodukt) eingehen. Deren Gewicht steigt oder sinkt nach Aufwertung oder Abwertung.

- Es ist den nationalen Regierungen freigestellt, sich auf freiwilliger Basis zu Währungsunionen zusammenzuschließen.

- Während des Übergangs vom Euro in nationale Währungen muß die besondere Aufmerksamkeit dem Bankensektor gelten.

Der Umgang mit den öffentlichen und privaten Schulden kann Gegenstand von bilateralen Verhandlungen sein und zwar auf der Grundlage der zwei Grundregeln, die in den zwei letzten oben genannten Absätzen aufgeführt sind.

Während der Übergangsphase werden interne Verträge automatisch von Euro auf die jeweilige nationale Währung umgestellt. Internationale Schulden (privat, öffentlich) werden in der jeweiligen Landeswährung zurückgezahlt, wobei die Gläubiger nach Maßgabe des jeweiligen Abwertungssatzes Verluste zu tragen hätten. Da die Schuldnerstaaten nach Rückkehr zu ihrer nationalen Währung aus dem Teufelskreis von Austerity-Politik und steigender Arbeitslosigkeit ausbrechen könnten, würden sich die Gläubiger aber besser als bei einem Verbleiben im Euroraum stellen, weil der hier zu erwartende Schuldenschnitt weit höher ausfallen würde. Sollten Banken dadurch in Schieflage geraten, so sollen geeignete Maßnahmen sie einerseits auf eine gesunde finanzielle Basis stellen, andererseits aber eine Tendenz zu „moral hazard“ unterbinden.

Der Übergang muß so kurz wie möglich sein, da er in technischer Hinsicht nicht weiter problematisch sein muß. Die neuen Regeln müssen klar angezeigt werden. Von den Staaten wird verlangt, daß sie mit der Unterstützung ihrer von nun an unabhängigen Zentralbanken darauf achten, daß der beschlossene Übergang nicht zu einem Stabilitätsverlust des europäischen Finanzsystems führt und ihm sogar die Mittel gibt, aktiv zu einer Wiederbelebung der Wirtschaft beizutragen.

Durch ihr Fachwissen, gepaart mit ihrem Engagement und Verantwortungsbewußtsein, sind die deutschen und französischen Wirtschaftsexperten mit ihrem Appell bestrebt, dazu beizutragen, den europäischen Gedanken auf einer neuen und realistischen Grundlage wiederzubeleben, gleichzeitig die europäische Wirtschaft wieder zu stärken und das Vertrauen der Bevölkerung in die Dauer und Funktionsfähigkeit ihrer Währungsordnung wiederherzustellen.

 

Gegen ein Europa der Transfers

Bereits zweimal trafen sich deutsche und französische Rechts- und Wirtschafts-wissenschaftler, um über Alternativen zur Europäischen Währungsunion (EWU) zu diskutieren. Organisiert wurde das Diskussionsforum von dem früheren französischen Kabinettsmitglied Roland Hureaux und dem Unternehmer Michel Robatel. Trotz unterschiedlicher Denkansätze sind sich die Wirtschaftsexperten darüber einig, daß die amtliche Sicht der Euro-Krise – daß der Euro im Prinzip in Ordnung sei und daß die Staaten nur ihre Schulden unter Kontrolle bringen müßten – am Kern des Problems vorbeigehe und deshalb irreführend sei. Sie wenden sich gegen die Taktik in Berlin, Paris und Brüssel, mit viel billigem Zentralbankgeld und immer größeren Rettungsschirmen weiterhin nur Zeit zu kaufen, statt die Krise zu lösen.

Deutsche Unterzeichner: Bruno Bandulet, Rolf Hasse, Wilhelm Nölling, Karl Albrecht Schachtschneider, Wolf Schäfer, Dieter Spethmann, Joachim Starbatty

Französische Unterzeichner: Alain Cotta, Jean Pierre Gérard, Jean-Luc Gréau, Roland Hureaux, Gérard Lafay, Philippe Murer, Michel Robatel

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