© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Wo die wilden Kerle wohnen
Krawallsucht: Hooligans in Polen und der Ukraine drohen mit Gewaltexzessen während der Fußball-EM
Mart in Lichtmesz

Endlich haben die offiziellen Repräsentanten des deutschen Fußballs das Bußritual hinter sich gebracht: Am 1. Juni besuchten prominente Vertreter des DFB und der deutschen Nationalmannschaft die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, um betroffenen Blickes „ein Zeichen gegen Intoleranz und Fremdenhaß“ (Spiegel-TV) zu setzen, weil „ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte niemals in Vergessenheit geraten und sich nie wiederholen darf“ (so der Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhof). Also genau das, was die Welt von Fußballern erwartet, oder vielmehr, was angesichts der Totalmobilmachung für das ewige Sühnedeutschtum auch diesen nicht erspart bleibt. Natürlich nur, wenn sie Deutsche sind, denn anderen Nationen, die an der Europameisterschaft teilnehmen, wird die Andacht selbstverständlich nicht abverlangt. Schon gar nicht den polnischen Gastgebern selbst, obwohl diese genug vor der eigenen Tür zu kehren hätten.

So mancher deutsche Zuschauer wird die durch die Medien geisternden Tatarenmeldungen von rechtsextremen, gewalttätigen Hooligans („Kategorie C“) in Polen und der Ukraine nicht ohne einen Schuß Schadenfreude vernommen haben. Was sich dort abspielt, wäre in Deutschland undenkbar, ohne daß die halbe Welt Alarm schlagen würde. Die ansässigen Hools und Ultras geben sich dabei alle Mühe, den berüchtigten britischen Vorbildern den Rang abzulaufen.

In polnischen Stadien wird seit Jahren nicht nur geprügelt, gezündelt und verwüstet, was das Zeug hält, es werden auch regelmäßig fremdenfeindliche und antisemitische Parolen skandiert und plakatiert, mitunter gar Hakenkreuze gezeigt und die Arme zum Hitlergruß gereckt. Ein Faible, das die Pflege klassischer Feindbilder allerdings nicht behindert: „Wir warten auf die Deutschen, die hassen wir wegen der Geschichte“, erklärte ein vermummter Schläger einem Kamerateam des RBB. „Wir werden sie in der ganzen Stadt jagen, wir schnappen sie und hauen sofort zu.“

Das sind Drohungen, die durchaus ernst zu nehmen sind. „Die Lage ist wirklich gefährlich für Fans aus Deutschland“, zitierte RP-online einen Experten. „Auch normale Fans wie etwa Familien, die mit deutschen Trikots in Straßencafés sitzen, sind nicht sicher und können von den Hooligans angegriffen werden.“ Und: „Im Unterschied zu den polnischen Hooligans sind die deutschen harmlos. Die Polen sind Schwerstkriminelle, die keine Gnade kennen.“ „Wir werden die Probleme haben, da braucht man gar nicht drüber zu diskutieren“, prophezeit der Sportwissenschaftler Gunter A. Pilz von der Universität Hannover.

Das scheint auch die polnische Regierung zu befürchten. Flächendeckend werden Stadionverbote erteilt und die einschlägigen Szenen intensiv überwacht, während die rund zehntausend Polizisten, die während der EM für Sicherheit sorgen sollen, militärische Verstärkung zugeteilt bekommen. Im wilden Osten sind offenbar nicht nur die Straßen unfertig (Polen ist zur Zeit immer noch am Bauen), sondern gemessen an westlichen Standards auch beträchtliche Teile der Bevölkerung unzivilisiert geblieben. Dort wohnen und wüten sie also noch, die wilden Kerle, fiese männerbündlerische Nationalisten, Sexisten und Rassisten, unbeleckt von politisch-korrekten Zähmungsdiskursen. Man mag hier die überspitzte These der Autorin Elfriede Jelinek bestätigt sehen, die den Massensport als das „einzig sanktionierte Auftreten von Gewalt“ und als „Metapher für Dinge, unter denen sich Gewalt hereinschleicht“, bezeichnete.

Sport und insbesondere Fußball kann man durchaus als Nationalismus-Surrogat betrachten, und die Spiele als Ersatzkriege, als friedliche Hegungen der agonalen und tribalistischen Natur insbesondere des männlichen Menschen. Gerade in Deutschland ist der Fußballpatriotismus eines der letzten erlaubten Ventile für nationale Wir-Gefühle. Eifersüchtig schielt der Deutsche dabei auf den polnischen Nachbarn, der bezüglich Nationalstolz kaum Hemmungen kennt. Erst auf den zweiten Blick zeigt sich, daß auch dieser Minderwertigkeitsgefühle und nationale Traumata kompensieren muß und eben darum zu Überspannungen neigt.

Die polnischen Hooligans versuchen den landesüblichen Nationalismus noch zu überbieten, indem sie sich in die Nazi- und „White Power“-Pose werfen, um den Staat, die Polizei und den Bürger zu provozieren. Hier zeigt sich, daß der Hooliganismus wenig bis gar nichts mit Sport zu tun hat, wie auch sein „Rechtsextremismus“ kaum etwas mit politischem Patriotismus.

Die polnischen und ukrainischen Hooligans pfeifen auf die den Deutschen so teure „Weltoffenheit“ nicht nur aus purer Krawallsucht, sondern auch, weil sie sich durch die EM in ihrer „Fankultur“ gestört fühlen, die sich vor allem in Gruppen-„Nationalismen“ austobt. Mag man etwa noch so sehr Juden, Schwule und diverse Nachbarvölker hassen, nichts haßt man mehr als den gegnerischen Fußballverein.

Filme wie „The Football Factory“ (2004) über englische Hooligans zeigen, daß es hierbei in erster Linie um den Adrenalinkick geht, den Gewalt, Gefahr und Kampf auslösen. Das zieht naturgemäß viele kriminelle und asoziale Elemente an, wie auch Polens Ministerpräsident Donald Tusk festgestellt hat: „Vereine und Fanorganisationen haben zugelassen, daß sich auf den Tribünen Mörder, Drogendealer und Kleinkriminelle unter die Zuschauer mischen.“

Der „Rassismus“ wird hier lediglich zu einer unter vielen Ingredienzen, um die Gruppenantagonismen möglichst auf die Spitze zu treiben. Hooliganismus soll eben nach hochprozentigen Getränken schmecken und nicht nach Apfelschorle. Die Devise lautet „Wir gegen alle“, Gründe dafür lassen sich immer noch finden.

Viele Hooligans haben daraus die Konsequenz gezogen und sich fast gänzlich von dem Vorwand Fußball verabschiedet; statt dessen verabredet man sich gezielt zu Gruppenschlägereien, die strengen Schlachtordnungen folgen. Elfriede Jelinek hatte wohl recht, Carl Schmitt aber auch: Man kann den Krieg nicht abschaffen, sondern nur hegen.

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