© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

CD: Piano-Musik
Tschechische Tastenkunst
Sebastian Hennig

Den weiten farbigen Bogen tschechischer Klaviermusik beschreibt eine Edition des US-amerikanischen Labels Alto. Zwei Schachteln mit jeweils sechs CDs bergen die „Anthology of Czech Piano Music“. Zu Gehör gebracht wird die Tastenkunst von Radoslav Kvapil. Der 1934 in Brünn Geborene erhielt ebendort bereits als Knabe Privatunterricht durch Ludvik Kundera, der direkt aus dem Bannkreis des großen Leoš Janáček hervorging. Einen Höhepunkt der Edition bilden folgerichtig dieses mährischen Meisters rätselhafte Klavierzyklen „Auf verwachsenem Pfad“ und „Im Nebel“. Damit hat sich die Kunstmusik der böhmischen und mährischen Länder weltweit in den großen Sälen etabliert.

Zu hören ist ferner das außerhalb seiner Heimat weniger bekannte Werk von Zdeněk Fibich, dem Dvorak-Schüler Vítězslav Novák und -Schwiegersohn Josef Suk. Von deren Musik bleibt letztlich nicht viel mehr als stimmungsvolle Anmerkungen zu der großen romantischen Erzählung des Jahrhunderts. Fibich, mit deutsch-tschechischem Familienhintergrund, studierte am Leipziger Konservatorium und war dann selbst vor allem Pädagoge. Für die Lieblinge unter seinen Schülern schrieb er Hunderte von Miniaturen. Viele von diesen sind mechanisch-artistische, schlichte Übungsstücke, manche läppisch bis zu Kaffee-
hausgeklimper.

Die jüngsten Werke der Anthologie stammen von Bohuslav Martinů. Hier klappert die Pochmühle einer mechanistischen Moderne. Es rasselt und schnarrt die Musik wie ein ablaufendes Federwerk. Martinů wird seine Räuberleiter von Hindemith und Bartok bereitgestellt, wie sie der alte Worzischek seinerzeit durch Beethoven und Schubert erhielt. Aber zwischen den Originalgenies des böhmisch-mährischen Musikantenparnaß, der Trias von Dvorak, Smetana und Janácek und den Goldkuppel ihrer Werke dient der kunsthistorische Beifang als Entspannung und Aufklärung über das weitere Umfeld der Entstehung des Außergewöhnlichsten.

Man staunt, wie zeitlos und universell doch die Stücke des glühenden Panslawisten Janácek heute noch klingen. Ebenso Antonin Dvorak, der in den USA zwischen 1892 und 1895 als Direktor des New Yorker Konservatoriums fungierte. In dieser Zeit entstand die „Amerikanische Suite“, deren Sätze von kräftigen Amerikanismen durchzogen sind: Anklänge an einen Cakewalk, ein Lullaby und ein indianisches Lied. Eine Oper zu Longfellows Verspoem „Hiawatha“ dagegen kam nicht zustande. Aber Skizzen überlebten in zwei der Humoresken op. 101. Diese Musik Dvoraks spielt Kvapil auf dessen Bösendorfer-Flügel, den der Komponist 1879 für seine Prager Wohnung erwarb. Alle anderen Werke sind auf einem Steinway eingespielt, zumeist im Saal des Prager Rudolfinums oder im Studio „Domowina“.

Ein Ausflug in das frühe 19. Jahrhundert wird mit den Impromptus, Fantasie, Variation und Sonate von Jan Hugo Worzischek, einem Schüler Wenzel Tomascheks, unternommen. Worzischek war in Wien im Kreis um Beethoven tätig. Mit dem Abstand zwischen dessen von Schubert inspirierter Musik und den spröden Tongeweben eines Leoš Janáček wird die gewaltige Spannweite des Klangs dieses Jahrhunderts hörbar.

Radoslav Kvapil: Anthology of Czech Piano Music Box mit 6 CDs, Alto 2011 www.alto.com

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