© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Lockerungsübungen
Imperativ der Globalisierung
Karl Heinzen

Lady Gaga hat auf ihrer Asien-Tournee feststellen dürfen, daß Kultur in manchen Weltgegenden nicht die Geringschätzung eines bloßen Konsumgutes erfährt, sondern gesellschaftliche Diskussionen zu befeuern vermag. In der westlichen Hemisphäre erzielt sie zwar solide Umsätze, bewegt aber nicht die Gemüter. Ihr Bemühen, längst überwundene Tabus noch einmal schrill zu brechen, wird lediglich als eine wenig kreative, doch erfolgreiche Marketingstrategie gewürdigt. Als Provokation ob manch obszöner Worte und Gesten und ihres Bekenntnisses zur Libertinage dürfte sie kaum noch jemand empfinden.

In Südkorea jedoch mobilisierten Angehörige der christlichen Minderheit gegen ihren Auftritt, zu dem die Regierung sowieso nur Volljährigen den Zutritt gestattet hatte. Auf den Philippinen stand sogar der Staatspräsident an der Seite empörter Katholiken, doch sah sich dieser außerstande, das Konzert mit rechtsstaatlichen Mitteln zu unterbinden. In Thailand brachte sie die Öffentlichkeit gegen sich auf, weil sie über Twitter die geläufigen Klischees über das Land als eines Hortes der Billigprostitution und der Markenpiraterie kolportiert hatte. In Malaysia war sie von vornherein mit einem Auftrittsverbot belegt, auch ihre CDs erscheinen dort nur zensiert. In Indonesien bedrohte eine militante islamistische Gruppe ihre Fans mit Prügel. Zudem sah sich die Künstlerin mit der Auflage konfrontiert, ihren Auftritt dem landestypischen Sittenempfinden anzupassen. Dazu war sie nicht bereit und sagte das Konzert ab.

Diese Erfahrungen sind für Lady Gaga wertvoll, da sie eine Prognose über ihre Geschäftsperspektiven auf dem bevölkerungsreichsten Kontinent erlauben. Sie geben darüber hinaus aber auch einen Eindruck davon, wieweit die Globalisierung fortgeschritten ist und welche Richtung sie nimmt. Die Vorstellung, die Toleranz befände sich auf einem Siegeszug und das, was irgendwo auf der Welt erlaubt sei, würde bald überall möglich sein, muß verworfen werden. Statt dessen ist davon auszugehen, daß sich der entgegengesetzte Imperativ Geltung verschafft: Was irgendwo verboten ist, darf nirgends gestattet sein. Gegenüber moslemischen Mitbürgern, die von uns die Einhaltung ihrer Glaubensregeln verlangen, sollten wir daher Verständnis aufbringen. Sie fordern lediglich, was in ihren Herkunftsländern gang und gäbe ist.

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