© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Ein witziger Widerling
Roman ohne Kunstfehler: Herman Kochs „Sommerhaus mit Swimmingpool“ über einen Arzt und Menschenfeind
Ansgar Lange

Nicht ohne Grund stand Herman Kochs „Sommerhaus mit Swimmingpool“ auf Platz eins der niederländischen Bestsellerliste. Im Zentrum des Geschehens steht der Amsterdamer Hausarzt Marc Schlosser, aus dessen Perspektive der Roman erzählt wird. Koch gelingt Großes: Er schafft es, daß wir einen Widerling durchaus sympathisch und witzig finden.

Als eigenen Hausarzt wünscht man sich den Ich-Erzähler jedoch nicht. Hinter der Fassade des ruhigen und geduldigen Mediziners steckt ein Menschenfeind, dessen – nur in Gedanken – gefällte Urteile über seine Patienten gnadenlos sind. Doch was er so alles über seine eingebildeten Kranken und die Künstler unter seinen Kunden zusammenfantasiert, ist oft zum Brüllen komisch – und spielt sich ja auch vielleicht in der realen Gedankenwelt unserer Mediziner ab. Wer weiß das schon.

Das Buch ist halb Familiendrama, halb Thriller. Es hat alle Zutaten, die süffigen Lesegenuß garantieren: Witz, Spannung, etwas Sex, große Themen wie Liebe, Tod, Krankheit. Und selbst scheinbar so unwichtige Dinge wie Ohrspülungen werden mit einer solchen Lust beschrieben, daß man keine Seite gelangweilt umblättert.

Worum geht es im einzelnen? Doktor Schlosser will mit der Familie des Schauspielers Ralph Meier (ein ziemlich lauter Potenzprotz) den Sommerurlaub in dessen Ferienhaus in Frankreich verbringen, weil er auf dessen schöne Frau Judith scharf ist. Das trifft sich gut, denn der extrovertierte Meier hat nichts gegen Gesellschaft einzuwenden und scheint Schlossers Frau und einer seiner minderjährigen Töchter nicht abgeneigt zu sein.

Nun nimmt das Schicksal seinen Lauf. Weil Schlosser den erfolgreichen Schauspieler im Verdacht hat, seine 13jährige Tochter am Strand vergewaltigt zu haben, spinnt er einen finsteren Racheplan. Er will den Vergewaltiger seiner Tochter jagen und zur Strecke bringen. Am Ende stirbt Meier an einem „ärztlichen Kunstfehler“. Hat der misanthropische Hausarzt ihn auf dem Gewissen? War Meier wirklich der Täter – zumal es noch weitere Verdächtige gibt? Dies alles ist so gut und dicht erzählt, daß man nach 350 Seiten enttäuscht ist, das Buch aus der Hand legen zu müssen.

Das beste an diesem Roman ist aber nicht nur die verwickelte und mit messerscharfer Präzision erzählte Geschichte, sondern die Sprache, nach der man süchtig werden kann. Als Beispiel seien hier Schlossers/Kochs Ausführungen über Nudisten genannt: „Nacktstrände, FKK-Campingplätze und andere Orte, wo sich Naturisten ein Stelldichein geben, meide ich wie die Pest. Jeder, der schon mal nackte Leute am Strand Volleyball hat spielen sehen, weiß, daß von ihnen gelinde gesagt keine erotisierende Wirkung ausgeht. Auch in Massengräbern liegen die Menschen oft nackt übereinander. Es geht um das Minimum an menschlicher Würde. Nudisten interessiert das nicht. Unter dem Vorwand, im Einklang mit der Natur leben zu wollen, halten sie einem baumelnde Schwänze, schlabbernde Brüste, hängende Schamlippen und feuchte Arschritzen unter die Nase. Wer der Ansicht ist, all das könne besser ungesehen bleiben, gilt als spießbürgerlich.“

Keine Frage: Schlosser ist ein Reaktionär, ein Egomane und Zyniker. Doch man würde gerne einen weiteren Roman mit ihm als Hauptfigur lesen.

Herman Koch: Sommerhaus mit Swimmingpool. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, gebunden, 346 Seiten, 19,99 Euro

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