© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/12 15. Juni 2012
„Das wird sich noch rächen“ Herr Sulík, beinahe hätten Sie den Euro-Rettungsschirm zu Fall gebracht. Sulík: Unser Widerstand war richtig, weil die Euro-Rettungsschirme nicht das geeignete Mittel sind, um diese Krise zu beenden. Warum nicht? Sulík: Schulden mit Schulden zu bekämpfen, ist als ob man versucht, Feuer mit einem Ventilator zu löschen. Als Parlamentspräsident waren Sie im letzten Herbst der eurorettungskritische Politiker mit dem höchsten Amt in der ganzen Euro-Zone! Warum konnten Sie dennoch nichts bewirken? Sulík: Weil der Rest unserer Koalition Feiglinge waren. Inwiefern? Sulík: Sie gaben zwar zu: „Herr Sulik, Sie haben ja völlig recht!“, aber nur hinter vorgehaltener Hand. Wenn ich fragte, warum sie also wider besseres Wissen der Euro-Rettungspolitik zustimmen wollten, hieß es: „Aus geopolitischen Gründen.“ Wenn ich dann fragte, was sie damit meinen, kam keine plausible Antwort. Fazit: „Geopolitisch“ bedeutet in etwa: bedingungslos alles zu tun, was von Brüssel verlangt wird. Schließlich hat die christdemokratische Ministerpräsidentin Radicova mit Hilfe der Opposition den eigenen Koalitionspartner – also Ihre Partei, die liberale „Freiheit und Solidarität“ (SaS) – überstimmt. Sulík: Frau Radicova hatte die EFSF-Abstimmung mit einer Vertrauensabstimmung verbunden. Das war ein Versuch uns zu erpressen, aber da haben wir nicht mitgespielt. Ergebnis: Die Euro-Zone konnte den ersten Euro-Rettungsschirm ESFS trotz Ihres Widerstands doch noch in Kraft setzen. Sulík: Und nun muß die Slowakei Hunderte von Millionen Euro, vielleicht sogar Milliarden, an Griechenland überweisen. Das ist für ein kleines Land wie unseres irrsinnig viel Geld! Sie aber flogen aus dem Amt und die SaS aus der Regierung. Sulík: Ja, aber das war die Sache wert. Ich sage Ihnen, um zu versuchen, die Folgen, die die Slowakei nun tragen muß, zu verhindern, habe ich mein Amt liebend gern geopfert. Die „Zeit“ schrieb daraufhin über Sie: „Einer gegen Europa“, der „Spiegel“ verlieh Ihnen den Titel Europas „Euro-Rebell“. Sulík: Mir ist klar, daß die Slowakei ein kleines Land ist, aber man muß es mit der Servilität auch nicht übertreiben. Wenn es schon ein Vetorecht gibt, dann muß es auch erlaubt sein, es auszuüben. Ich meine, es wäre durchaus gut, ein bißchen selbstbewußter und sich darüber im klaren zu sein, daß die Interessen der Slowakei nicht immer mit den Interessen anderer Länder identisch sind. Allerdings haben die Wähler Ihre Standhaftigkeit nicht belohnt. Bei den folgenden Neuwahlen im März hat sich der Stimmenanteil der SaS von gut zwölf auf knapp sechs Prozent halbiert. Sulík: Erstens hatten wir einen sehr schmutzigen Wahlkampf. Zweitens haben sich unsere ehemaligen Koalitionspartner mit der Opposition zusammengetan und uns gemeinschaftlich zum „Schuldigen“ für die Regierungskrise erklärt. Dabei war die Frage nach dem Euro-Rettungsschirm nicht in der Regierungserklärung enthalten. Diese daher mit einer Vertrauensfrage zu verbinden, war folglich nichts weiter als pure, primitive Erpressung. Drittens haben wir unseren Standpunkt leider nicht gut kommuniziert. Dabei galten Sie und Ihre SaS als „Shootingstar der slowakischen Politik“ („Die Welt“). Und Sie waren die einzigen unter den Etablierten, die nicht in den als „Gorilla-Affäre“ bekannt gewordenen Korruptionsskandal verwickelt waren, der die politische Landschaft der Slowakei in den letzten Monaten erschüttert hat. Sulík: Stimmt, allerdings hatte ich den bedauerlichen Fehler gemacht, mich mit einem zwielichtigen Unternehmer getroffen zu haben. Der Zweck war Informationsaustausch, denn dieser Mann ist sehr gut informiert. Da ich um seinen Ruf wußte, habe ich versucht, die Treffen geheimzuhalten. Aber er hat alles aufgenommen und dann öffentlich gemacht. Allerdings ging es dabei nicht um Provision und Vorteilsnahme. Das behaupten Sie. Sulík: Bei der Gorilla-Affäre gab es mehrere Strafanzeigen, weil es um Bestechung ging. In meinem Fall dagegen gab es keinerlei Anklagen, es war eine reine Mediengeschichte! Deshalb war es unverschämt, meinen Fehler mit „Gorilla“ auf eine Stufe zu stellen. Das meinte ich vorhin mit „schmutzigem Wahlkampf“. Sie haben elf Jahre in Deutschland gelebt, haben in München studiert, Sie kennen unser Land. Können Sie sich erklären, warum zwar etwa siebzig Prozent der Deutschen die Euro-Rettungspolitik ablehnen, aber eurorettungskritische Parteien dennoch nicht gewählt werden? Sulík: In Deutschland sind ja wirklich alle etablierten Parteien für die Euro-Rettungspolitik. Folglich müßten unzufriedene Bürger auf völlig unbekannte und unbedeutende Parteien ausweichen – und das machen die meisten Wähler nun mal nicht. Dazu kommt, daß wie in der Slowakei die meisten Bürger die komplizierte Materie nicht durchschauen und sich deshalb einfangen lassen, wenn die etablierten Kräfte ihnen einreden, Euro-Rettungsschirme seien der einzige Weg aus der Krise. Es ist die Geschlossenheit der Etablierten in dieser Frage, die es den deutschen Politikern erlaubt, hier den Wählerwillen zu ignorieren. Ich glaube aber, das wird sich noch rächen. Inwiefern? Sulík: Wenn die Euro-Krise sich weiter verschärft, kann das auf die Dauer nicht gutgehen. Sehen Sie nach Griechenland, wo die beiden einstmals großen Parteien heute nicht einmal mehr zusammen eine Mehrheit zustande bringen. Früher oder später wird in Deutschland eine Partei kommen, die sagt: „Es reicht!“ Und es wäre im Grunde für ganz Europa wichtig, daß so eine Partei gerade in Deutschland entsteht. Warum? Sulík: Weil es inzwischen vor allem Deutschland ist, mit dem der Euro steht oder fällt. Wollen wir nur inständig hoffen, daß das dann keine extremistische Partei sein wird! Einstweilen versuchen immer mehr Bürger, über das Internet mit eurorettungskritischen Initiativen eine Art „Außerparlamentarische Opposition“ zu organisieren. Sulík: Ja, ich halte diese Art von Basiswiderstand für sehr wichtig. Vor kurzem sprachen Sie selbst auf einer Euro-Kritiker-Konferenz in Berlin. Sulík: Ich bin eingeladen worden und bin gerne gekommen. Es ist wichtig, daß sich die eurorettungskritischen Kräfte untereinander besser kennenlernen. Von den deutschen Euro-Retttungskritikern habe ich dabei einen sehr guten Eindruck gewonnen. Nehmen Sie etwa Hans-Werner Sinn, dessen Argumentation absolut überzeugend ist, so daß man sich wundert, daß nicht viel mehr Leute seiner Warnung folgen. Oder nehmen Sie Hans-Olaf Henkel, dessen Stimme für die Euro-Rettungskritik in Deutschland sehr wichtig ist. Ich werde in Kürze in Bayreuth sein, wo mir die Hayek-Stiftung eine Medaille verleihen will. Ich freue mich darauf, Herrn Henkel bei dieser Gelegenheit zu sehen. Sie waren zwischenzeitlich ein gefragter Interviewpartner in den deutschen Medien, waren mehrfach auch im deutschen Fernsehen zu Gast, etwa bei „Anne Will“ oder bei „Maybrit Illner“. Sulík: Ja, ich persönlich habe die Debatte dort zwar als fair und offen erlebt, allerdings habe ich auch erleben müssen, wie die deutschen Politiker dort immer wieder den gleichen – verzeihen Sie – Unsinn erzählt haben, immer wieder mit den gleichen Phrasen „argumentierten“. Sie haben dort mit Politikern wie Martin Schulz, Klaus von Dohnanyi oder Edmund Stoiber gestritten. Sulík: Es ist seltsam, aus irgendeinem Grund scheinen die deutschen politischen Eliten geradezu versessen darauf zu sein, alle um sie herum retten zu wollen. Das ist etwas, was ich überhaupt nicht verstehe, da es doch Deutschland ist, das am Ende den Löwenanteil der ganzen Aktion wird bezahlen müssen. Eigentlich völlig verrückt. Und dabei ist auch kein Argument zu absurd, zum Beispiel, Deutschland profitiere von der Euro-Rettungspolitik, da es schließlich Exportweltmeister sei. Mit Verlaub, das ist, als ob Sie in einem Restaurant zum Kellner sagen: „Bitte bringen Sie mir das Geld, ich möchte bezahlen.“ Nach Ende der Sendungen sprachen mich übrigens Zuschauer aus dem Publikum an und drückten ihr Bedauern darüber aus, daß es niemanden gebe, der eine Meinung wie meine in ihrem Parlament vertritt. In Deutschland werden Euro-Kritiker schnell als Europafeinde verunglimpft. Sulík: Ich weiß, wenn ihnen die Argumente ausgehen, kommen sie immer mit dem Vorwurf des Populismus, Nationalismus oder der Europafeindlichkeit. Mir das vorzuwerfen, wäre allerdings absurd. Und tatsächlich sind das viel mehr die Probleme der Euro-Rettungsbefürworter. Denn deren Politik ist es, die in der Konsequenz zu einem Anheizen dieser Phänomene führt, siehe Griechenland. Die SaS ist keine konservative, sondern eine liberale Partei, sie tritt etwa für Drogenfreigabe und die Ehe von Homosexuellen ein. Dennoch haben Sie sich mit Christian Strache, Parteichef der rechtsgerichteten FPÖ, getroffen. Sulík: Warum nicht? Ich stimme in vielem nicht mit ihm überein, in der Frage der Euro-Rettungspolitik aber schon. Also warum sollen wir nicht miteinander darüber sprechen? Im übrigen ist Strache lange nicht so rechtspopulistisch, wie gern behauptet wird. Und ich glaube auch nicht, daß es auf die Dauer möglich sein wird, eine Partei, die etwa dreißig Prozent der Wähler eines Landes repräsentiert, auszugrenzen. Sie sollen außerdem Kontakt mit dem tschechischen Präsidenten und Euro-Gegner Vaclav Klaus, dem deutschen Euro-Kläger Peter Gauweiler und der eurokritischen Partei der „Wahren Finnen“ aufgenommen haben. Wollen Sie den Widerstand gegen die Euro-Rettungspolitik europaweit organisieren? Sulík: Nein, aber wir sollten uns zumindest mal untereinander kennenlernen. In der „FAZ“ haben Sie selbstkritisch eingeräumt: „Wir sind doch Amateure.“ Sulík: So ist es, wir sind in diesen europäischen Grabenkämpfen doch noch völlig unerfahren, während die andere Seite, die Brüsseler Bürokraten etwa, nicht nur sehr erfahren, sondern auch hervorragend vernetzt und bestens finanziell ausgestattet sind! Dagegen sind wir in der Tat Amateure. „Euro-Rettungsschirm: Der Weg zum Sozialismus“ war der Titel einer Broschüre, die Sie vor der Abstimmung des Deutschen Bundestags über den ersten Euro-Rettungsschirm EFSF an alle Bundestagsabgeordneten geschickt haben. Ungewöhnlich, daß ein ausländischer Politiker vor einer Entscheidung des deutschen Parlaments sich an dessen Abgeordnete wendet. Sulík: Das stimmt, aber unsere Feiglinge in der Slowakei sagen ja bei jeder Gelegenheit: „Wir müssen uns an Deutschland halten.“ Also dachte ich, ich versuche es mal auf diesem Wege. Wie waren die Reaktionen? Sulík: Es gab keine. Waren Sie enttäuscht? Sulík: Nein, es war ein Versuch. Warum sind die Euro-Rettungsschirme „der Weg zum Sozialismus“? Sulík: Weil von Schulden zu leben bedeutet, die Verantwortung aufzugeben. Keiner wird sich dann mehr Mühe geben. Am Ende haben alle gleich viel, was soviel bedeutet, wie gleich wenig. Vergessen Sie nicht, wir hatten das vierzig Jahre lang bei uns in der Slowakei. Und verglichen mit dem, was da im Zuge der Euro-Rettungspolitik im Begriff ist zu entstehen, war der RGW, der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe des ehemaligen kommunistischen Ostblocks, ein Kaffeekränzchen! Die Euro-Rettungsschirme werden die Slowakei das Ein- bis Anderthalbfache unseres jährlichen Staatshaushaltes kosten. Und das auch nur, wenn – was nicht unwahrscheinlich ist – es nicht noch zu weiteren Aufstockungen kommt. Außerdem: Folge des zweiten, dauerhaften Euro-Rettungsschirms ESM, um den es inzwischen geht, ist eine Schulden- und Transferunion. Daraus folgt dann als nächster logischer Schritt eine europäische Wirtschaftsregierung. Und diese wird ihrerseits über kurz oder lang die Konzentration weiterer Ressorts in Brüssel nach sich ziehen. Wir werden also in den Nationalstaaten schließlich fast gar nichts mehr zu entscheiden haben. Ja, es ist zu befürchten, daß am logischen Ende dieser Entwicklung die Abschaffung der Nationalstaaten steht und das Entstehen eines europäischen Zentral- oder Bundesstaats. Dabei will ich gar nicht beurteilen, ob das gut oder schlecht ist. Warum nicht? Sulík: Meine Meinung ist, daß Europa von der Vielfalt lebt, und ein Superstaat würde diesen Reichtum nivellieren. Aber das ist nur meine persönliche Meinung. Unabhängig davon sage ich, man kann das nicht tun, ohne die Bürger zu fragen! Aber das trauen die politischen Eliten sich nicht – und zwar, weil sie wissen, in den meisten EU-Ländern wäre die Antwort des Volkes ein klares Nein. Dabei war die EU einmal ein gutes Projekt – nämlich solange die Regeln galten. Doch diese wurden erst gebrochen, und jetzt sollen sie dauerhaft geändert werden. Dies ist nicht mehr der Euro, in den wir Slowaken 2009 eingetreten sind. Ich sage: Kehren wird zur alten EU zurück! Dann wird es mit Europa auch wieder aufwärtsgehen.
Richard Sulík, ist Gründer und Vorsitzender der liberalen ehemaligen Regierungspartei „Sloboda a Solidarita“ (SaS), zu deutsch „Freiheit und Solidarität“ (Logo rechts), die 2010 mit über zwölf Prozent drittstärkste Kraft im slowakischen Nationalrat wurde und für die er bis Oktober 2011 das Amt des Parlamentspräsidenten bekleidet hat. Zuvor war der Ökonom und Unternehmer mehrfach Berater des slowakischen Finanzministeriums, das die von Sulík entworfene 19-Prozent-Einheitssteuer einführte. Geboren 1968 in Preßburg, kam Sulík im Alter von zwölf Jahren nach Deutschland und wuchs in München, Gelsenkirchen und Pforzheim auf. Er studierte Physik an der TU München und Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität, später an der Wirtschaftsuniversität Preßburg, wo er 2003 promovierte. Zuvor kehrte er 1991 in die Tschechoslowakei zurück und führte dort eine von ihm gegründete Firma. Heute ist Richard Sulík, der auch ein deutschsprachiges Weblog betreibt, Sprecher seiner Partei im slowakischen Parlament. Foto: Euro-Rettungskritiker Richard Sulík: „Aus irgendeinem Grund scheinen die deutschen politischen Eliten geradezu darauf versessen zu sein, alle um sie herum retten zu wollen. Das ist etwas, was ich überhaupt nicht verstehe, da es doch Deutschland sein wird, das am Ende den Löwenanteil der ganzen Unternehmung wird bezahlen müssen. Eigentlich völlig verrückt.“
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