© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/12 15. Juni 2012

Schaukämpfe und Schattenboxen
ESM: Trotz zahlreicher Ablenkungsmanöver von Regierung und Opposition gilt die Zustimmung zur nächsten Stufe der Euro-Rettung als sicher
Paul Rosen

Die Rechnung von Kanzlerin Angela Merkel wird wieder aufgehen. Der Euro-Rettungsschirm ESM wird vom Bundestag auf den Weg gebracht werden; die Schaukämpfe und das Schattenboxen mit SPD und Grünen um eine Finanztransaktionssteuer dienen nur zur Vorspiegelung falscher Tatsachen für den Wähler. Der soll glauben, es gebe zwar keine Alternativen, aber jedenfalls noch Modifikationen für das billionenschwere Garantiegerüst für die Euro-Währungsunion. In Wirklichkeit ist Merkels Wort von der „alternativlosen“ Rettungspolitik Staatsräson, an die sich auch SPD und Grüne halten müssen.

So wird der Rettungsschirm ESM vom Bundestag Ende Juni noch vor der Sommerpause beschlossen werden. Der für die deutschen Zahlungen als Grundlage dienende Nachtragshaushalt wurde vom Haushaltsausschuß des Bundestages bereits beschlossen. Die Forderungen der Opposition werden in Formelkompromisse münden. Mit Verzögerung wird der Bundestag mit Zweisrittelmehrheit dem Fiskalpakt zur Förderung der Konsolidierungs- und Sparpolitik in Europa zustimmen. Da der Pakt international ohnehin keine Verpflichtung zur Sparsamkeit, sondern nur zur Formulierung von Sparzielen der jeweiligen nationalen Politik begründet, hält sich die Blamagewirkung für Sparkönigin Merkel wegen der Verzögerung in Grenzen. Die deutschen Spar-Drohungen haben Griechen, Italiener, Portugiesen und Spanier ohnehin nie ernst genommen.

Vergeblich dürfte der Appell der Stiftung Familienunternehmen, in der sich die 350 größten deutschen familiengeführten Betriebe zusammengeschlossen haben, an die Politik verhallen, den ESM „in der vorliegenden Form nicht passieren zu lassen“. Denn damit würde Deutschland zusätzlich zu seinen vorhandenen Verpflichtungen von 280 Milliarden Euro weiteres Kapital und weitere Garantien in Höhe von 700 Milliarden Euro geben müssen, ohne daß die deutschen Interessen ausreichend berücksichtigt würden.

Die „deutschen Interessen“, wenn man darunter die Wahrung des Volksvermögens und des Vermögens der deutschen Bürger versteht, spielen in Berlin und Brüssel schon lange keine Rolle mehr. Nie sind deutsche Politiker dafür zur Rechenschaft gezogen worden, daß sie dem Brechen der von ihnen mitbeschlossenen Verträge tatenlos zugeschaut haben; nie wurde ein Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wegen seiner tolldreisten Behauptung zur Rede gestellt, die Rettungsmaßnahmen seien nur befristet und würden garantiert auslaufen. Die Familienunternehmer weisen darauf hin, daß alle Verantwortlichen des ESM jeder Rechenschaft und jeder Gerichtsbarkeit entzogen sind. Diese mittelalterlichen Verhältnisse im Eu-ropa des 21. Jahrhunderts werden noch eine andere Konsequenz haben: „Wer die Folgen seines Tuns nicht zu fürchten hat, der läßt schnell die erforderliche Sorgfalt außer acht“, warnen die Familienunternehmer. Nah an der Realität ist der FDP-Finanzpolitiker Frank Schäffler: „Wenn Deutschland diesen Weg in der Schuldenkrise weitergeht, dann retten wir uns zu Tode.“

Daß Deutschland diesen Weg weitergeht, liegt am Fehlen einer parlamentarischen Opposition, wenn man einmal von der aufgrund ihrer Zerstrittenheit handlungsunfähigen Linken absieht. Alle anderen Fraktionen sind sich – bis auf die wenigen bekannten Kritiker wie Schäffler oder Klaus-Peter Willsch – im Grundsatz einig, Garantien, Bürgschaften und Zahlungen in der jeweils gewünschten Höhe zu leisten.

Die Opposition wollte nicht nur eine Finanztransaktionssteuer, sondern auch Wachstumsmaßnahmen. Es gehe um einen Weg, der nachhaltig aus der Krise herausführe, fordert SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Niemand sagt Steinmeier und den Grünen, daß Wachstumsprogramme zusammenbrechende Volkswirtschaften nicht retten, wie man am Beispiel des Bonner Milliardenkredits an die damalige DDR belegen kann. Merkel ließ sich trotzdem auf das Spiel ein, will jetzt die Europäische Investitionsbank mit Eigenkapital und Projektanleihen stärken und EU-Förderverfahren erleichtern, damit noch mehr Geld nach Südeuropa gepumpt werden kann.

Natürlich werden die Maßnahmen nicht ausreichen, um den Zerfall Europas und seiner Währung aufzuhalten. Der Druck auf die nächsten europäischen Rettungsrunden wächst: Die Schaffung einer Bankenunion und gemeinsamer Eurobonds für die Schuldenunion werden auf die Tagesordnung kommen. Die eine Billion, mit der die Deutschen jetzt schon haften, ist erst der Anfang.

Foto: Besucher auf der Reichstagskuppel: Die Rechnung von Bundeskanzlerin Angela Merkel wird wieder aufgehen

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