© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/12 15. Juni 2012
Arena für fremde Ambitionen Was im März vergangenen Jahres im syrisch-jordanischen Grenzort Deraa als überzogen brutale Polizeiaktion gegen aufmüpfige Schüler, die politische Graffiti an Mauerwände schmierten begann, hat sich mittlerweile zu einem schwer durchschaubaren Bürgerkrieg entwickelt. Syrien versinkt jeden Tag tiefer in einem Konflikt, der keine Lösung erkennen läßt. Das Land zerfällt, in weiten Teilen herrscht Gesetzlosigkeit. Regierung und Rebellen setzen auf Gewalt, die Zahl der Opfer steigt stetig. Inzwischen werden laut UN-Angaben ebensoviele Soldaten und Mitglieder des staatlichen Sicherheitsapparats getötet wie Rebellen und Dissidenten. Längst hat die syrische Regierung nicht mehr alle Landesteile unter Kontrolle. Schwerbewaffnete Aufständische, darunter die auf rund 5.000 Mann geschätzte „Freie Syrische Armee“, marodieren durchs Land. Sie kontrollieren bereits Teile der Provinzen Homs und Idlib und zahlreiche Widerstandsnester in andern Regionen. Aber klar ist auch, daß Präsident Bashar al-Assad als entschlossener Diktator Militär, Sicherheitspolizei und irreguläre Milizen, allen voran die Schabiha-Miliz, mit großer Härte gegen die Aufständischen vorgehen läßt. Angeblich sind bei den Gefechten zwischen Armee und Aufständischen insgesamt rund 12.000 Menschen getötet worden. Die syrische Opposition, aber auch westliche Staaten fordern von Assad den Rücktritt. Die Lage bleibt verworren, die weitere Entwicklung ist ungewiß. Die Gegner Assads, zu denen immer mehr islamistische Extremisten gestoßen sind, finden offenbar schwer zu einem Schulterschluß. Der politische Arm der Opposition, der in Istanbul residierende „Syrische Nationalrat“, ist zwar der Liebling des Westens, in Syrien selbst jedoch hat er offenbar keine Relevanz Da man weiß, daß in Syrien auch libysche, pakistanische, jordanische und andere Islamisten (vornehmlich die von Salafisten protegierten Muslimbrüder und auch Al-Qaida) mit saudischer Waffenhilfe und qatarischer Medienunterstützung den Konflikt zwischen Opposition und Regierung zur Eskalation treiben, ist die Bewertung der Situation von Seiten Assads verständlich. Mit wem soll er verhandeln? Der „Friedensplan für Syrien“, den der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan im Auftrag der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga konzipiert hatte, hat sich verflüchtigt, in Pulverdampf aufgelöst. Der Plan hatte die Beendigung der Gewalt, den Abzug der Regierungstruppen aus den Städten, einen Dialog zwischen Regierung und Opposition sowie freien Zugang für Hilfsgüter vorgesehen. Die Konfliktparteien hatten Mitte April einen Waffenstillstand ausgerufen, und der Weltsicherheitsrat hatte die Entsendung von 300 Beobachtern beschlossen. Dennoch kam es immer wieder zu blutigen Anschlägen und neuen Gefechten. Nach Angaben der syrischen Behörden haben die Rebellen mehr als 5.000mal den Waffenstillstand verletzt. Oppositionelle machen umgekehrt die Regierungsarmee für die anhaltende Gewalt verantwortlich. In den Reihen der Aufständischen und ihrer ausländischen Unterstützer gibt es Gruppen, die auf keinen Fall einen Waffenstillstand wollen, die sogar mehr wollen als den Sturz des Regimes. Denn anders als bei den „arabellischen“ Ereignissen etwa in Tunesien, wo es hauptsächlich um den von vielen gewünschten Sturz eines autokratischen Regimes ging, ist Syrien schon längst eine Arena für fremde Ambitionen geworden. Der sich zuspitzende innerislamische Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten und zwischen deren verfeindeten Schutzmächten Saudi-Arabien und Iran überlagert die Entwicklung in Syrien genauso wie der Gegensatz zwischen Teheran und Washington. Für Irans Gegner sind die Konflikte um dessen Atomprogramm und der Aufstand in Syrien so etwas wie kommunizierende Röhren. Die interventionsversessenen Golfdiktaturen wie Saudi-Arabien oder Qatar gießen kräftig Öl ins Feuer – mit Geld, der Lieferung von Waffen und ihren Satellitensendern. In Al Dschasira rufen wortgewaltige Prediger zum „Dschihad gegen die Alawiten“ auf. Ihr Ziel ist die Beseitigung des säkularen Regimes in Syrien und seine Ablösung durch ein sunnitisch-islamistisches. Allein schon deswegen wird Iran seinen syrischen Verbündeten nicht fallenlassen. Teheran sieht, sollte Assad stürzen, den „schiitischen Gürtel“ in Gefahr, der sich von Iran über den schiitisch dominierten Irak und Syrien bis zur Hisbollah im Libanon erstreckt. So ist das Ringen in Syrien auch zu einer Art „Stellvertreterkrieg“ geworden, wie schon viele andere Kriege im Nahen Osten zuvor. Die beiden Pole dieses Kampfs um Macht und Einfluß in der Region sind Iran und Saudi-Arabien – zwei Staaten, die in puncto Menschenrechte und Demokratie am untersten Ende der Skala stehen. Riad möchte das „ketzerische“ schiitisch-alawitische Regime in Damaskus loswerden, das unter den Assads dort seit 1970 an der Macht ist. Ohne es auszusprechen, zielt man in Riad direkt auf Teheran, den schiitischen Erzrivalen. Syrien befindet sich inzwischen auf derselben abschüssigen Bahn wie der Libanon oder der Irak in ihren Bürgerkriegen des vergangenen Jahrhunderts. Das primäre Ziel aller internationalen Anstrengungen müßte damit nicht der Regimewechsel in Damaskus, sondern das Ende der Kämpfe sein. Erst dann wäre ein Wandel möglich. Es greift zu kurz, wenn man Assad nur als das „Problem“ sieht, das es zu „beseitigen“ gilt. In der politischen Realität ist er, solange er weiter fest im Sattel sitzt, immer noch Teil der Lösung. Rußlands Außenminister Sergej Lawrow brachte das Problem am vergangenen Wochenende auf den Punkt, als er erklärte: „Einige von denjenigen, die ein militärisches Eingreifen fordern, wollen Syrien zu einem Schlachtfeld um die Vormachtstellung innerhalb der islamischen Welt machen.“ Dies sei eine sehr gefährliche Tendenz. Rußland werde alles in seiner Kraft Stehende tun, um eine solche Entwicklung zu verhindern. „Wir verteidigen nicht das Regime, sondern die Chancen auf Stabilität in dieser Region und der islamischen Welt.“ |