© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/12 15. Juni 2012
„Es kommen immer mehr“ Wie eine uneinnehmbare Festung liegt sie im Mittelmeer: die Insel Malta. Das katholisch geprägte Eiland hatte sich im Lauf der Jahrhunderte mehrfach gegen Angriffe vom islamisch dominierten afrikanischen Festland behaupten müssen. Heute sind es keine Kriegsschiffe mehr, gegen die sich Malta zur Wehr setzt. Die Kanonen auf den hohen Festungsmauern sind nur noch Touristenattraktion. Die Invasoren der Gegenwart sind unbewaffnet, kommen in kleinen Booten über das Mittelmeer und kentern nicht selten, noch bevor sie den 316 Quadratkilometer großen Felsen erreicht haben. Sie kommen nicht als Feinde, werden aber von der maltesischen Bevölkerung als Bedrohung empfunden. Denn die Insel ist klein, Wasser, Arbeitsplätze und Wohnungen knapp. Seit Malta 2004 der Europäischen Union beitrat, hat ein Flüchtlingsstrom vom Schwarzen Kontinent auf die Insel eingesetzt. Hunderte von ihnen kommen jedes Jahr zumeist via Libyen auf die Insel. Insgesamt leben bereits 15.000 Flüchtlinge auf dem Mittelmeer-Felsen zwischen Italien und Nordafrika. Maltas Einwohner sind genervt. Sie müssen mit den Neuankömmlingen um Wohnraum und Arbeitsplätze konkurrieren. Drogenkriminalität und Hauseinbrüche sind im sonst als sicher geltenden Inselstaat stark angestiegen. „Es kommen immer mehr. Wenn nicht bald etwas unternommen wird, ist es hier mit dem Wohlstand vorbei“, sagt Jonathan, der in Valettas Altstadt als Kellner arbeitet. Gewalttätig seien die Schwarzen nicht, erzählt der 34jährige Kellner. Aber sie haben nun mal kein Geld, und die Verlockung, an die Geldbörsen reicher Touristen zu kommen, sei groß. „Schlimm ist es an den Badestränden, da muß man aufpassen.“ Der Drogenhandel spiele sich hingegen vorwiegend in Valettas Nachbarstadt Sliema ab. Touristinnen in weißen Sommerkleidern und Strohhüten schlendern durch die Einkaufsstraßen von Valetta. Nichtsahnend, was sich zehn Kilometer südöstlich von ihnen abspielt. In Hal Far, auf dem Gelände eines alten, inzwischen stillgelegten Flughafens, sind Flüchtlingslager eingerichtet. Es sind offene Lager, obwohl sie mit Maschendrahtzaun und Stacheldraht umgeben sind. „Hier lang“, sagt Falem, ein 47 Jahre alter Flüchtling aus Eritrea. Der Weg führt vorbei an vertrockneten Büschen und Gestrüpp. Müll und verrostete Eisenstangen zieren den Weg. Wer hier untergebracht ist, kann sich auf der Insel frei bewegen. Durch ein Loch im Zaun geht es mit Falem ins Lager. Container an Container reihen sich aneinander. „Die sind vor zwei Wochen gekommen. Vorher standen hier noch Zelte“, erklärt er. Die hygienischen Bedingungen seien schlecht, die Wände in den Sanitäranlagen verschimmelt. Maltas Regierung wolle die Lager gezielt unattraktiv halten, heißt es. Damit die Motivation der Flüchtlinge hoch sei, die Insel wieder zu verlassen. Doch die EU-Partnerländer reagieren bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus Malta zurückhaltend, verweisen auf das Dublin-II-Abkommen, wonach jeder Flüchtling in dem Land seinen Asylantrag stellen muß, in dem er erstmalig EU-Territorium betreten hat. Durch den Lissabon-Vertrag ist inzwischen jedoch ein sogenannter „Lastenausgleich“ möglich, wonach Asylbewerber, noch bevor sie Flüchtlingsstatus erhalten haben, an andere EU-Staaten überstellt werden können, die nicht unmittelbar vom Migrantenstrom betroffen sind. Somit ist auch Deutschland vom Flüchtlingsproblem betroffen. Falem geht hinter die Containersiedlungen, zeigt auf den dort zahlreich herumliegenden Müll. „Hier schlafen jede Nacht Hunderte.“ Weil die Container nicht ausreichten, müßten viele Flüchtlinge im Freien übernachten. Doch nicht nur hier wird wild campiert. Mehrere hundert Meter vom Camp weit entfernt lebt Abbas, ein 50jähriger Sudanese. Seine Lippen sind aufgequollen, von getrocknetem Blut und Eiter durchsetzt. Das ständige Übernachten im Freien habe ihn krank gemacht, sagt er. Er will seinen Schlafplatz zeigen. Er durchquert Büsche und verdorrte Sträucher, vorbei an Müll und alten Matratzen. Schließlich kommt eine nicht fertig gebaute Steinmauer zum Vorschein. Dahinter hockt Ahmed aus Mali. Er schürt Feuer in einer verrosteten Blechtonne. Der 35jährige lebt hier zusammen mit Abbas, teilt sich mit ihm eine Matratze zum Schlafen. Ein kleiner Baum bietet Schutz vor Regen. „Wir wollen weg von hier“, sagen beide. Weg von der Insel, rauf auf den europäischen Kontinent, etwa nach Deutschland. Aber auch Italien wäre schon gut. Als politisch Verfolgte sehen sie sich nicht. Wirtschaftliche Gründe haben sie hergeführt. Vor allem die Korruption im eigenen Land. Viele im Camp nennen ähnliche Gründe. Man ist gut vernetzt, weiß, wie es in anderen Ländern zugeht. „In Italien haben sie Klimaanlagen in den Containern“, weiß Falem zu berichten. Seit zwei Jahren ist er schon hier. Zunächst kam er in eines der Internierungslager. Nach einem halben Jahr ist er nun in Hal Far. Die maltesische Regierung zahlt ihm 130 Euro im Monat. „Viele arbeiten dazu noch illegal“. Für Bauarbeiten gebe es zwei Euro die Stunde. „Rassistisch“ nennt das Falem. Er hatte erfahren, daß die Malteser für die gleiche Arbeit sechs Euro bekommen. Falem hatte Eritrea aufgrund der dortigen Diktatur verlassen. Denn dort herrschen der 1967 in der Volksrepublik China in kommunistischer Ideologie und Guerilla-Kriegsführung ausgebildete Isayas Afewerki und dessen marxistische Partei Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit. Nach Angaben des christlichen Hilfswerks Open Doors sollen hier knapp 3.000 Christen unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt, Folter an der Tagesordnung sein. Deserteuren soll es ähnlich ergehen. Falem ist einer dieser Deserteure, diente als Korporal in der eritreischen Armee. „Ich wollte nicht länger Soldat für diesen Diktator sein“, nennt er den Grund für seine Flucht. Falem floh über den Sudan nach Libyen, schlug sich dort als Bauarbeiter für einen Lohn von umgerechnet 20 Dollar pro Tag durch. Er lebte in einer Gemeinschaftsunterkunft, drei Jahre lang. „Ich wäre in Libyen geblieben“, sagt er. Doch nach dem Sturz Gaddafis habe sich die Politik des Wüstenstaats geändert, die neue Regierung würde ihn nicht mehr dulden. Vier Wochen sei es nun her, daß Falem gemeinsam mit 106 weiteren Flüchtlingen ein altes, kleines Boot bestiegen hatte, welches Schleuser bereitgestellt hatten. 1.500 Dollar wollten sie dafür haben – pro Person. Für die Schlepper ein einträgliches Geschäft. Für die Flüchtlinge ein waghalsiges Unternehmen. Nicht wenige bezahlen neben Dollars mit ihrem Leben. „Unser Motor war ausgefallen, wir hatten Wasser im Boot“, erzählt Falem von der dramatischen Überfahrt nach Malta. Mit Schüsseln schippten sie Wasser aus dem Boot. Essen und Trinkwasser waren aufgebraucht. Ein Schiff der Küstenwache hatte sie schließlich gerettet. Das ist nicht immer der Fall. Wenn sich die Flüchtlinge außerhalb maltesischer Gewässer befinden, drehen die Schiffe der Küstenwache nicht bei. Dann sei Libyen zuständig. Wir finden immer wieder Kleidung in unseren Netzen“, erzählt ein maltesischer Fischer der JUNGEN FREIHEIT. Manchmal mitsamt ihrer toten Besitzer. „Wir rufen dann die Küstenwache“, sagt er. Der Fischer spricht von Berufskollegen, die in Gewissenskonflikte geraten seien. „Wer Flüchtlinge aufnimmt, kann großen Ärger mit den Behörden bekommen, weil er Hilfe zur illegalen Einreise leistet. Helfen wir nicht, wer weiß, vielleicht haben wir dann ein Leben auf dem Gewissen.“ Sind die Flüchtlinge da, folge der Frust. Mit ihnen haben Taschendiebstähle, Einbrüche und Drogenhandel Einzug gehalten. „Es gibt einige Schwarze, die dadurch nicht mehr auf Flüchtlingsunterkünfte angewiesen sind“, schildert der Fischer, daß sich einige durch Drogenhandel längst eigene Wohnungen auf der Insel finanzieren. Doch Wohnraum ist knapp, die Furcht der Malteser, dem Migrantenansturm nicht mehr gewachsen zu sein, groß. „Ich kann nicht verstehen, daß unsere Politiker da nicht durchgreifen“, klagt ein Taxifahrer. Erst vor zwei Wochen ist der Innenminister des 400.000-Einwohner-Staats zurückgetreten, nachdem erneut Hunderte Afrikaner angekommen waren. Die Opposition hatte ihm vorgeworfen, für den Kampf gegen die illegale Einwanderung nicht ausreichend EU-Unterstützung für Malta eingefordert zu haben. Foto: Blick in die Bucht von Valetta: Die Kanonen auf den hohen Festungsmauern der Hauptstadt Maltas dienen heute nur noch als Touristenattraktion – gegen die illegale Einwanderung kämpfen heute Küstenwache und Marine |