© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/12 15. Juni 2012
Der Märchenprinz in der Kolchose Hölderlin meint in seinem „Hyperion“: „Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, daß ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.“ Heinrich Vogeler schrieb 1910 an seine Frau: „Ich glaube, daß wir Künstler doch einen kleinen Teil vom Himmelreich auf Erden verwirklichen können.“ Als der aufrichtige Träumer nach dem Schönen auch das Gute tun wollte, zogen seine Himmels-Phantasien höllische Schwierigkeiten nach sich und bereiteten ihm schließlich ein jämmerliches Ende: Der Siebzigjährige war in der Heimat zum Feind erklärt worden und starb am 14. Juni 1942 als ein Zwangsevakuierter auf der Krankenstation einer Kolchose in Kasachstan. Notizen zu seiner Lebensbeschreibung kritzelte er dort mangels Papiers auf Zeitungsränder. Sein letztes Werk als Autor war ein Flugblatt mit Desertionsaufforderung an die deutschen Soldaten. Der Worpsweder Museumsverbund zeigt nun in vier Häusern die Ausstellung „Heinrich Vogeler. Künstler, Träumer, Visionär“. Die zwei Landhäuser, der Barkenhoff und das Haus im Schluh zeigen die Epoche der Märchen und Idyllen, das Frühwerk des Künstlers. 1895 kann er vom Erbe des Vaters ein altes Bauernhaus erwerben und gestaltet es zum Wohnsitz und Gesamtkunstwerk, dem Barkenhoff. Durch seine Bilder schweben damals Minner und Fräulein und Gestalten der Grimmschen Märchen: Dornröschen, die sieben Schwäne und Froschkönig. Und die Bildwelt greift aus in den Lebensraum, mit Wandteppichen, Sesseln, Porzellan, Gefäßen und Schmuck. Die Eisenbahnstation Worpswede wie die Güldenkammer im Bremer Rathaus sind seine Werke. Auf den Kostümfotos steht er neben seiner Frau Martha, dem Burgfräulein, als ein empfindlicher, fast femininer Jüngling in Eisenhaube und Kettenhemd. Paula Becker, vielleicht die Person mit der männlichsten Seele unter den damaligen Worpswedern, schreibt 1897 über das Zusammensein mit Vogeler: „(…) wie ein hübsches Märchen. Er ist mit seinen Traumaugen zu reizend anzusehen.“ 1901 ereignen sich in Worpswede die drei Hochzeiten der Paare Schröder-Vogeler, Modersohn-Becker und Rilke-Westhoff. Die dekorativen Versuche, mit Familie und Haus ein Weltbild zu etablieren, wurden von Krieg und Krise weggewischt. Ein Gefühl des Ungenügens an der bunten Fete machte sich breit. Wie der Dichter Oskar Loerke einmal bemerkte: „Auch ein Leben mit zu viel Kunst ist ein Leben ohne Schönheit.“ Die anderen beiden Ausstellungsteile sind zum politischen Wirken Voge-lers und seinem Schicksal in der Sowjet-union gestaltet, sie befinden sich in der Worpsweder Kunsthalle und der Großen Kunstschau Worpswede, deren Hauptgebäude 1927 von Bernhard Hoetger erbaut wurde. Dieser Worpsweder Bildhauer entwickelte sich diametral an seinem Gefährten vorbei. Während dieser „hell aus dem dunklen Vergangnen in lichte Zukunft empor“ strebte, nahm jener das von Vogeler ausgeschlagene Angebot des Kaufmanns Roselius an und gestaltete eine dunkel-archaisierende Welt um sich, die nicht minder ästhetisch wertvoll und bemerkenswert ist. Heinrich Voglers gestalterisches Niveau hat ihn bis zuletzt und durch alle ideologischen Wirren getragen. Es schwingt ein ungebrochener Bogen von den Minnephantasien des jungen Malers zu den farbigen Ölbildern aus Zentralasien. Anstelle des Ritterkostümes, der Brünnlein und Hängebirken treten die usbekischen Trachten, farbige Blusen, rote Fahnen und Traktoren. Für die Dichter und Maler war das Sowjetexperiment eine romantische Insel. Und wenige mußten so schmerzhaft den Bodensatz dieses trügerischen Mischgetränks auskosten wie der feinnervige Vogeler, der am allerwenigsten dafür die Konstitution hatte. Als Insel verstand sich um 1900 auch der gleichnamige Leipziger Verlag von Anton Kippenberg, dessen Titel und Buchseiten Heinrich Vogeler mit seinen graphischen Schlingpflanzen überwucherte. Melchior Lechter schimpfte seinerzeit im Brief an Stefan George über den „Schundverlag“, weil er dessen edles Dekor als hochgestochenen Talmi empfand gegenüber der wahren Weihe des elitären Verlages der Blätter für die Kunst. Der Weihrauch, die Märchen- und Ritterstimmung war bei Vogeler weniger eine Kunstfigur, sondern Ausdruck einer tiefen Sehnsucht nach Erlösung in einer Gemeinschaft, ein ästhetischer Kommunismus. Nicht verwunderlich daher, daß Vogeler 1929 auch kurz bei den Reformern in Ascona vorbeischaute. Mit dem künstlerischen Erwachsenwerden versuchte er die farbigen Nebel und Düfte wegzuwedeln und sich dem anzunähern, was er als die dringende Wirklichkeit empfand. Der Barkenhoff wurde zu Kinderheim und Kommune. Ein Projekt, das auf den Ruin zuführte und eine Flucht nach vorn nahelegte. Die erledigte Barkenhoff-Kommune wird nach der Weltwirtschaftskrise durch die Internationale Arbeiterhilfe übernommen und Vogeler selbst als Gatte von der Tochter des IAH-Gründers Julian Marchlewski. Der Verkauf der Bilder geht zurück und in der linken Szene kann er keinen finanziellen Rückhalt finden. Zuletzt wird er mit der Ausschaltung des rechten Flügels der Partei von der stalinistischen KPD-Führung ausgeschlossen und geht darauf stracks in die Höhle des Löwen, nach Moskau. Dort lebt er mit den Privilegierten im Haus der Regierung an der Uferstraße. Alles ist ungewiß außer dem Bruch mit der Vergangenheit. Er bereist das Sowjetimperium mit wechselnden Aufträgen als Architekt, Maler und Agitator. Mehrfach erreichen ihn lukrative Angebote zur Rückkehr nach Deutschland oder der Übersiedlung nach Mexiko, die er ausschlägt. Das Arbeiterparadies preist er mit agitatorischen Komplexbildern, eigentlich nichts anderes als die simultanen Darstellungen nacheinander folgender oder an verschiedenen Orten spielender Handlungen auf einer Bildtafel, wie es bereits einige Frührenaissance-Maler mit den Heiligenlegenden machten. Aber die Kunstdoktrin des sozialistischen Realismus fordert auch hier den Schwenk. Er zerschneidet einige der großen Darstellungen, um aus den Einzelteilen kleine Tafelbilder im Sinne der verordneten fortschrittlichen Salonkunst herzustellen. So gelangt er schließlich vom fragilen Nippes für die Teetische des wilhelminischen Rokoko zum Tafelbild des sozialistischen Realismus. Aber das geschieht alles nach wie vor auf höchstem malerischen Niveau. Und bei allen gegenseitigen Mißverständnissen und Fehleinschätzungen blieb Vogeler der edle Mensch, sowohl in der Gesinnung wie im künstlerischen Gehalt. „Der letzte Ritter“ wurde er im Kreis der Exilkünstler genannt. Die Kreidelithographie mit dem Soldaten in Betrachtung des verschneiten toten Kameraden zum Winterfeldzug 1941 auf dem doppelseitigen Flugblatt zeigt die ganze ungebrochene Kraft und Fähigkeit des exzellenten Grafikers. Das Bild hat ein völlig anderes Niveau als die oberflächlichen Bänkelverse von unbekannter Hand, die „zum Übergang auf die Seite der Roten Armee“ anregen sollten. Die Ausstellung „Heinrich Vogeler. Künstler, Träumer, Visionär“ ist bis zum 30. September an vier Orten in Worpswede täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 0 47 92 / 95 50 59-0. Das Katalogbuch mit 246 Seiten und Farbtafeln ist im Hirmer Verlag, München, erschienen und kostet 39,90 Euro. Foto: Heinrich Vogeler, Winterkulturkommando der Arbeiterstudenten auf einem Sowjetgut, 1924: Mit agitatorischen Komplexbildern preist der Maler das „Arbeiterparadies“ |