© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/12 15. Juni 2012
Wie ein Halbgott gefeiert Austeilen kann die kurdischstämmige Kolumnistin Mely Kiyak. In einer Kolumne für die Berliner Zeitung und die Frankfurter Rundschau nannte sie Thilo Sarrazin eine „lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur“. Das klingt nach Stasijargon und ist unanständig, weil Sarrazins Gesicht teilweise gelähmt ist. Der Verlag löschte den Text von seiner Seite. Das Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg sah jedoch aufgrund von Kritik an Kiyak eine „perfide Hetzkampagne“, gegen die man sich mit einem Solidaritätsabend für Kiyak stelle, „als Bekenntnis zu Meinungs- und Pressefreiheit“. Unterstützt wurde die Aktion vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg, der „rassismuskritische Menschen“ zur Teilnahme aufrief. Über 200 Personen kamen und wurden schon zu Beginn mit fragwürdigen Methoden auf Kiyak eingeschworen: Auf jedem Stuhl lag ein großer, schwarzumrandeter Zettel mit einem Namen – 182 Zettel für die nach Zählung der linken Amadeu-Antonio-Stiftung 182 Mordopfer durch Rechtsextreme seit 1990. Dann wird von neun Personen jeweils eine Kiyak-Kolumne vorgetragen, bevor die Musik spielt. In vier Durchgängen mit je neun Personen werden so bis Mitternacht für die wie ein Halbgott gefeierte Kolumnistin 36 Kolumnen verlesen. Unter den Vortragenden befinden sich auch der Grünen-Chef Cem Özdemir und der FR-Journalist Arno Widmann, der sich „schämt“, daß der Abend nicht in seinen Verlagsräumen stattfindet. Als schließlich an vorletzter Stelle das Corpus delicti, die „Menschenkarikatur“-Kolumne verlesen wird, reißt der Applaus nicht ab. Und das Ballhaus überrascht mit einer makaberen Aktion: Aus der Empore wird stappelweise Papier ins Publikum geworfen – auf den Blättern ist die Kolumne abgedruckt. Unfaßbar: Die Aktion ist offenkundig eine Anspielung auf Sophie Scholl, die während des Nationalsozialismus regimekritische Flugblätter in der Universität München niederwarf und vier Tage später mit dem Fallbeil enthauptet wurde. Ob Cem Özdemir froh war, daß er hier nicht mehr im Ballhaus saß? |