© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/12 15. Juni 2012
Hinweise auf einen technologischen Tsunami Der Sammelbegriff „Nanotechnologie“ löst bei den meisten Zeitgenossen nur vage Vorstellungen aus. Gehört haben ihn zwar die meisten, doch allenfalls hat sich im öffentlichen Bewußtsein festgesetzt, daß die Nanotechnologie ebenso wie das Internet eine Hauptstütze der „dritten industriellen Revolution“ sein soll. Doch anders als die Internet-Kommunikation, die heute jeder nutzt, erreichen die Produkte der Nanotechnologie, die beinahe allwöchentlich mit Innovationen aufwartet, den Alltag des Normalverbrauchers bisher nicht. Das verwundert wenig, denn ungeachtet einer Forschungstradition, deren Wurzeln bis in die fünfziger Jahre zurückreichen, ist die Nanotechnologie auch heute noch vor allem eine große Verheißung und ein Wechsel auf die Zukunft. Sie ist daher erst an den Rändern der Alltagspraxis präsent und dürfte dort noch sehr lange verweilen. Denn jene Manipulationen der Materie auf atomarer Ebene, die Physikern und Chemikern in den Nano-Maßen von Milliardstel Metern gelingen (siehe Info-Kasten), sind erst auf wenigen Anwendungsfeldern in der Werkstoffindustrie, in der Nahrungsmittelchemie, der Krebsdiagnostik und -therapie oder im Pflanzenschutz kommerziell lukrativ. Aus der Nano-Produktpalette haben es derzeit nur beständigere Autolacke zu einer gewissen Popularität gebracht, während jene vieldiskutierten Krebsmedikamente, deren Nanopartikel gezielt in Tumoren plaziert werden, um sie zur Implosion zu bringen, mehr Verblüffung als Zutrauen in ihre therapeutische Durchschlagskraft evozieren. Die vorherrschende Ungewißheit über die Entwicklungsperspektiven dieser neuen Technologie der Miniaturisierung und deren gesellschaftliche Konsequenzen erweist sich für deren Protagonisten in Wirtschaft und Politik als unbezahlbarer Vorteil. Abgesehen von einigen Einzelstimmen bei den Gewerkschaften, bei Rückversicherern, Umwelt- und Verbraucherverbänden, nährt das allgemeine Unwissen die öffentliche Akzeptanz, auf die Nanotechnologen im Unterschied zu den Verfechtern der Atomenergie oder der Gentechnik bauen dürfen. Läßt man einige militante Aktionen, wie sie sich 2011 im mexikanischen Monterrey an der dortigen Privatuniversität gegen Nano-Forscher richteten, außer Betracht, so ist dem Kasseler Politikwissenschaftler und Biologen Joscha Wullweber, von dem seit 2010 eine Monographie über das „Nanotechnologieprojekt“ vorliegt, zuzustimmen, wenn er konstatiert, es gebe „erstaunlicherweise“ kaum eine Organisation in der Zivilgesellschaft, die diese Technologie gänzlich ablehnt (Leviathan, 1/12). Zukunftsbranche ohne Risikoregulierung Ein derartig fest gefügtes Vertrauen scheint Wullweber jedoch unbegründet. Es könnte schnell erschüttert werden, wenn die Einschätzungen betreffs der Umweltrisiken und Gesundheitsgefahren endlich in den öffentlichen Nano-Diskurs eingespeist würden, die deutschen Ministerialbeamten oder Brüsseler Kommissaren zur Verfügung stünden. Lange bekannt, aber in der veröffentlichten Meinung ohne Resonanz geblieben, ist eine Studie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die ein strenges Vorsorgeregiment einfordert wegen der „enormen Wissenslücken hinsichtlich der Risiken im Bereich Nanotechnologie“. Nur im „Hausdruck“ und im Internet publiziert ist seit 2011 ein Sondergutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) über Nanomaterialien, das sich „Vorsorgestrategien“ widmet. Im August 2011 beschloß der Öko-Verband „Naturland“, auf die Verwendung von Nanomaterialien in Lebensmitteln, Kosmetika und Verpackungen zu verzichten. Voraufgegangen war hier eine von der britischen Soil Association angestoßene Kampagne, die Nanoprodukte in die Ablehnungsfront gegen Gentechnik einbezog. Wie bei der Gentechnik, so zitiert Wullweber aus einer Stellungnahme der Briten, seien manche Risiken der Nanotechnologie so gewaltig, „daß sie nicht versichert werden können“. In solchen Initiativen deutet sich ein Bewußtseinswandel an, der einem umweltpolitischen Kurswechsel vorausgeht im „Ringen um Akzeptanz in der politischen Governance der Nanotechnologie“. Ein nächster Schritt wäre dann die gesetzliche Einführung toxikologischer Tests, die bisher an keiner Stelle des „gesamten Produktionszyklus“ von Nano-Erzeugnissen vorgesehen sind. Ebenso müßte der Gesetzgeber endlich eine spezifische Kennzeichnungspflicht verfügen und für eine generelle Risikoregulierung in dieser Zukunftsbranche sorgen. Immerhin würden „staatliche Akteure“ und die EU-Kommission Forderungen nach einem effizienten Risikomanagement inzwischen so ernst nehmen, daß nach Beschluß des EU-Parlaments vom Juli 2011 ab 2014 Produkte, die Nanoteilchen enthalten, der Kennzeichnungspflicht unterliegen. Wie diese Kennzeichnung genau aussehen soll und welche Materialien darunter fallen, seiallerdings noch offen, so daß Wullweber hier die Warnung anhängt: Komme es jetzt nicht zu „robusteren Risikoregulierungen“, wäre „stärkerer Gegenwind“ zu erwarten, die die hohe Akzeptanz für die Nanotechnologie wegfegt. Nanotechnik-Informationsportal des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI): www.techportal.de
Nanotechnologie – kleiner als Viren Nanotechnologie ist der Oberbegriff für vielfältige wissenschaftlich-technische Anwendungen im Größenbereich von weniger als 100 Nanometern (Milliardstel Meter/10-9 m). „Durch den Einsatz nanostrukturierter Materialien wird es deutliche Fortschritte bei der modernen Gebäudetechnik oder im Hinblick auf energiesparende Beleuchtungstechnologien geben“, heißt es in einer Erklärung des Bundesforschungsministeriums (BMBF) zum „Aktionsplan Nanotechnologie 2015“. Auch bei der medizinischen Versorgung würden Nanomaterialien unverzichtbar sein. Etwa die Hälfte der in Europa ansässigen Firmen mit Bezug zur Nanotechnik stamme aus Deutschland. „Mit rund 440 Millionen Euro an öffentlichen Fördermitteln steht Deutschland dabei in Europa an der Spitze“, so das BMBF. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) warnt vor zuviel Euphorie: Das Nano-Risikopotential sei „heterogen und schwer prognostizierbar“. SRU-Sondergutachten „Vorsorgestrategien für Nanomaterialien“ www.umweltrat.de |