© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/12 15. Juni 2012

Ruhe bitte!
Schluß mit der Dauerbeschallung: Der Verein „Lautsprecheraus – Pipedown Deutschland“ kämpft für ein Recht auf Stille
Ansgar Lange

Helmut Schmidt macht von seinem Recht auf Stille unfreiwillig Gebrauch. „Es ist ein großer Schmerz meines Alters, daß ich nach weitgehendem Verlust meines Gehörs Musik nicht mehr vernehmen kann“, sagte er im „jugendlichen“ Alter von 84 Jahren. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel führte die zunehmende Taubheit des Altkanzlers, der von seinem Recht auf Besserwisserei jedoch starken Gebrauch macht, auf ein Knalltrauma aus Kriegstagen zurück. 1999 kam bei dem rechten Sozialdemokraten dann noch ein Hörsturz auf dem linken Ohr hinzu.

Der gemeinnützige Verein für das Recht auf Stille „Lautsprecheraus e. V. – Pipedown Deutschland“ setzt sich dafür ein, daß die Bürger im öffentlichen Raum nicht permanent unfreiwillig beschallt werden. Die Netzseite des Vereins führt neben dem SPD-Altkanzler weitere prominente Befürworter auf: Justus Frantz, Kurt Masur, Peter Sodann und Dieter Hallervorden. Sie alle fühlen sich dem 11. Gebot des verstorbenen deutschen Schriftstellers und Satirikers Robert Gernhardt verpflichtet: „Du sollst nicht lärmen!“

Jeder Zeitgenosse hat schon einmal unter Lärm gelitten. Manch einer wird zu jeder Tages- und Nachtzeit von seinem Nachbarn geweckt, weil dieser unüberhörbar ein äußerst intensives, jedenfalls lautstarkes Liebesleben führt. Auch heftiges Applaudieren habe nicht zum Senken des Lärmpegels geführt, berichtet ein Leidgeplagter anonym. „Lautsprecheraus“ hat jedoch andere Geräusche im Sinn. Der Verein agitiert gegen die Beschallung in Lebensmittelläden, in Kaufhäusern, Einkaufszentren, in Hotels und Restaurants, in Bus und Bahn, am Telefon, in Arztpraxen sowie auf Straßen und Plätzen. Selbst in Ämtern und Behörden fühlt man sich verfolgt.

Nach einer Emnid-Umfrage kann eine kleine Minderheit von 20 Prozent Stille nicht ertragen. In Zeiten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes werden diese Lärmraudis ihr Recht auf Krach vielleicht juristisch einklagen. Hier kollidiert der Minderheitenschutz mit dem Recht auf Selbstbestimmung. Frei nach dem Motto „Mein Ohr gehört mir“ sagen die Menschen, die sich in dem bundesweit aktiven Verein organisieren, daß jeder die Musik hören dürfe, die ihm gefalle. Niemand aber müsse sich, wo er gehe, stehe oder sitze, Musiklärm ausgesetzt sehen, der unnötig und leicht vermeidbar sei.

Um der allgegenwärtigen Zwangsbeschallung Paroli zu bieten, wirbt der Verein um weitere Unterstützer. Nur durch eine breite Anhängerschaft könne man das Problem aus der Welt schaffen. Der Jahresbeitrag beträgt 20 Euro, lärmgeplagte Schüler und Studenten sind beitragsfrei. Auch politischen Druck haben die Befürworter der wahrhaften „stillen Örtchen“ bereits ausgeübt. So verfaßten sie eine Petition an die Fraktionen des Deutschen Bundestages, in der sie die Abgeordneten beschworen, „daß die rechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Bürger vor unerwünschter und vermeidbarer Beschallung mit Musikkonserven erheblich verbessert werden“ müssen.

Die Lärmschützer berufen sich auf das Vorbild der oberösterreichischen Hauptstadt Linz, die sich zur „Hörstadt“ erklärt und eine „Linzer Charta“ entwickelt hat. Dortige Unternehmen und Organisationen, die bewußt auf Hintergrundmusik verzichten, können ihre öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten als beschallungsfrei kennzeichnen. Sollte das Linzer Modell auch bei uns Schule machen, wird sich vielleicht bald ein „Verein gegen Friedhofsruhe“ gründen.

www.lautsprecher-aus.de

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