© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

Die Sorben hoffen aufs EM-Endspiel
Sachsen: In der Oberlausitz tragen die nationalen Minderheiten zum zweitenmal ihre eigene Fußballeuropameisterschaft aus
Paul Leonhard

An den Autos wehen zwei kleine Fähnchen. Mit diesen grüßen die Lausitzer Sorben die Teilnehmer der Fußballeuropameisterschaften. Denn aus ihrer Sicht gibt es gleich zwei: Da ist die große der Profis im benachbarten Polen und der Ukraine. Da gelten die Sympathien der deutschen Mannschaft und für diese weht Schwarzrotgold. Das andere Fähnchen ist aber blaurotweiß. Das sind die Farben der im Osten Sachsens und im Süden Brandenburgs lebenden Sorben/Wenden. Sie sind mit rund
60.000 Angehörigen das kleinste slawische Volk in Europa. Und sie sind Ausrichter der derzeit stattfindenden Europeada 2012, der zweiten Fußball-europameisterschaft der nationalen Minderheiten.

Die Spielorte sind ebenfalls zweisprachig, aber sie sind nicht so bekannt wie Danzig, Lemberg oder Charkow, sondern heißen auf deutsch Crostwitz, Nebelschütz, Neschwitz, Panschwitz-Kuckau, Radibor, Ralbitz und Wittichenau. Das Finale findet im Stadion Müllerwiese in Bautzen statt.

Als Favoriten gelten die Südtiroler. Denn die Fußballer der deutschen Volksgruppe wurden vor vier Jahren Europameister. Damals wurde im Schweizer Kanton Graubünden die erste Fußballeuropameisterschaft der sprachlichen Minderheiten ausgetragen. Im Finale setzten sich die Südtiroler gegen die kroatische Minderheit in Serbien mit 1:0 durch. Das sorbische Team schied im Viertelfinale mit 1:3 gegen die Dänen aus.

Das Turnier in der Schweiz wurde als großer Erfolg gefeiert. Entstanden ist die Europeada übrigens aus einer Imagekampagne des Marketingunternehmens Schweiz Tourismus. Das hatte einen Wettbewerb initiiert, bei dem das Bündner Oberland touristisch präsentiert und auf die sprachlichen Minderheiten in Europa aufmerksam gemacht werden sollte. Die eingereichte Idee des sportlichen Kräftemessen auf dem Fußballfeld überzeugte erst die Eidgenossen und später den Dachverband der europäischen Minderheiten, die Föderalistische Union Europäischer Volksgrupppen (FUE).

Ziel ist es, auf die sprachlichen Minderheiten in Europa aufmerksam zu machen und ihnen eine Möglichkeit zur Vernetzung zu bieten. Immerhin leben in Europa mehr als 300 Minderheiten mit rund 100 Millionen Menschen. Das bedeutet, daß jeder siebte Europäer einer autochthonen nationalen Minderheit angehört. Dazu zählen die in Italien lebenden Zimbern mit rund 1.000 Angehörigen, die Okzitaner in Frankreich, die in Rumänien lebenden Kroaten, aber auch die Deutschen in Polen, Südtirol, Rußland, Ungarn und Nordschleswig.

Einige Minderheiten entstanden durch die Auswirkungen von Kriegen, Grenzziehungen und anderen historischen Ereignissen. Zu diesen zählen beispielsweise die deutschen Nordschleswiger in Dänemark, die Deutschen in Oberschlesien oder die Kärntner Slowenen in Österreich. Andere haben wie die Lausitzer Sorben und Schweizer Rätoromanen nie einen eigenen Staat gegründet und leben auf dem Territorium eines Staates als Minderheit. In der Europäischen Union sprechen mehr als 40 Millionen Menschen eine der mehr als 60 autochthonen Regional- oder Minderheitensprachen wie Friesisch, Ladinisch oder Walisisch, die es neben den offiziellen 23 Amts- und Arbeitssprachen gibt.

Nach der ersten Fußball-EM bei den Rätoromanen in Graubünden erhielten die Sorben den Zuschlag für die Ausrichtung der Europeada 2012. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), selbst Angehöriger des kleinen Volkes, übernahm die Schirmherrschaft. Insgesamt 19 Mannschaften – die deutsche Minderheit in Dänemark hat kurzfristig abgesagt – spielen seit vergangenem Sonntag in fünf Gruppen. Diese wurden den Teams in einem Losverfahren, ähnlich dem der Uefa-Europameisterschaft, zugeordnet. Die Spielzeiten wurden so ausgewählt, daß sie sich nicht mit den Spielen in Polen und der Ukraine überschneiden. Berufsspieler dürfen an der Europeada nicht teilnehmen. Ansonsten kann jede Mannschaft bis zu 23 Spieler einsetzen. Und da es nicht jeder, insbesondere einer kleinen Minderheit leicht fällt, ausreichend gute Fußballspieler zu finden, hatten die Nordfriesen vor vier Jahren ein Frauenteam geschickt, das allerdings keinen Punkt gewann und mit einem Torverhältnis von 7:86 nach Hause fuhr.

Neben den rund 600 Fußballern, Betreuern und Organisatoren haben sich in der Oberlausitz zur Zeit auch Hunderte Fans versammelt, um ihre Mannschaften anzufeuern. Alle eint die Hymne der Europeada, die am 1. Dezember 2011 bei der Gruppenauslosung ihre Premiere gefeiert hatte: „Bala Bala Bala“. Und die Sorben hoffen natürlich auf ein Endspiel am 23. Juni auf der Müllerwiese in Bautzen. Ab 11 Uhr wird um den dritten Platz gespielt. Das Finale beginnt 13.30 Uhr.

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