© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

Das kleine Einmaleins der Sozialisten
Wirtschaftspolitik: Das 60-Punkte-Programm von François Hollande hilft Frankreich nicht aus seiner Misere
Patrick Eichenberger

Winston Churchill hatte 1946 in seiner historischen Rede von Zürich in Anspielung auf die Wiederherstellung der europäischen Familie durch ein regionales Werk, „den Vereinigten Staaten von Europa“, eine pragmatische Aussage gemacht: „Bei diesem so dringend notwendigen Werk müssen Frankreich und Deutschland zusammen die Führung übernehmen.“ Weil die deutschen Ressourcen begrenzt sind, kann Deutschland unmöglich als alleiniger Retter des Euro und Europas im Alleingang auftrumpfen. Kann demnach Frankreich helfen, oder muß auch Frankreich bald gerettet werden?

Hatte sich nicht schon Charles de Gaulle in Anspielung auf die Vielzahl unterschiedlichster Interessengruppen Frankreichs zur Frage hinreißen lassen: „Wie wollen Sie ein Land regieren, wo 246 Käsesorten existieren?“ Spätestens dann, wenn Deutschland wegen weiterer Nachzahlungen, Verpflichtungen, Bürgschaften, Haftungszusagen und wertloser Target2-Forderungen zur Rettung des verfrüht eingeführten Euro sein AAA-Rating verloren haben wird, dürfte das Auseinanderbrechen der Euro-Zone unvermeidlich sein. Denn die Grande Nation hat mit François Hollande nicht nur einen sozialistischen Populisten als Präsidenten gewählt, sondern ihm am Sonntag auch eine komfortable Parlamentsmehrheit verschafft.

Hollande hat seinen 60-Punkte-Plan in vier Sträuße blumiger Ziele gebündelt: Frankreich wiederaufrichten, die Gerechtigkeit wiederherstellen, den neuen Generationen wieder Hoffnung geben und eine beispielhafte Republik schaffen und ein Land, das seine Stimme in der Welt wieder hören läßt. Konkret will Hollande die Produktion, die Beschäftigung und das Wachstum in Frankreich wiederbeleben. Er hat das Wachstum entdeckt, weil die französische Wirtschaft lahmt und seit Jahren weniger exportiert, als sie importiert.

Die Sozialisten Europas sind über die willkommene Ablenkung vom verantwortungsvollen Haushalten und vom schmerzhaften Spardruck entzückt. Aber ist so Wachstum zu erwarten? Frankreich hat mit 49 Prozent den zweithöchsten Lohnnebenkostenanteil der EU und zudem ein kompliziertes Arbeitsrecht von über 3.000 Seiten, die niemand kennen kann. Obwohl Hollande noch 2007 selber nicht an die Sinnhaftigkeit der 35-Stunden-Woche glaubte, möchte er nun möglichst strikt an diese Begrenzung zurückfinden sowie die zuvor von Nicolas Sarkozy gewährten Steuererleichterungen für Mehrarbeit und Überstunden streichen. Dies dürfte die Kaufkraft von zehn Millionen Beschäftigten des Mittelstandes schmälern. Die Lohnstückkosten werden dagegen steigen und damit die ohnehin schwache Wettbewerbskraft (Frankreich liegt im Global Competitiveness Index auf Rang 18, Deutschland auf Rang 6) schädigen.

Das Handelsbilanzdefizit Frankreichs ist seit 2009 von 45 auf 71 Milliarden Euro (2011) gestiegen, was Ausdruck dafür ist, daß immer mehr Güter billiger oder besser im Ausland bezogen als im Inland produziert werden können. Deutschland hat hingegen allein im 4. Quartal 2011 einen Leistungsbilanzüberschuß von 47,7 Milliarden Euro verbucht, in den Niederlanden waren es 18,2 Milliarden Euro. Frankreich wies hingegen ein Minus von 10,7 Milliarden Euro auf – beim Nachbarn Italien waren es dagegen „nur“ 6,3 Milliarden Euro.

Im zweiten Strauß von Zielforderungen will Hollande die „Gerechtigkeit“ wiederherstellen. Dies soll etwa durch die Umsetzung einer großen Steuerreform geschehen, wobei der Spitzensteuersatz ab dem Überschreiten von einer Million Euro auf 75 Prozent des übersteigenden Einkommens abzielt. Dieser prohibitive Steuersatz deckelt faktisch auf populäre Art das Maximaleinkommen der unbeliebten „Reichen“.

Bemerkenswert ist die bereits vollzogene Senkung des Renteneintrittsalters von 62 auf 60 Jahre – in Verbindung mit der Herabsetzung der Lebensarbeitszeit von 41,5 auf 41 Jahre. Beides hatte Sarkozy gegen großen Widerstand durchsetzt. Dabei beunruhigt es Sozialisten diesseits und jenseits des Rheins keineswegs, daß in Frankreich 1960 noch vier Beitragszahler für einen Rentner aufkamen und heute diese Kennzahl auf 1,8 geschrumpft ist. Ferner ist in der gleichen Zeitspanne die durchschnittliche Lebenserwartung in der Grande Nation von knapp 70 auf 82 gestiegen. Daher ist es auch nur konsequent, daß Hollande in seinem Programm auf sogenannte Euro-Bonds – gemeinsame EU-Staatsanleihen, für die Deutschland die größte Haftung trägt – pocht.

Angesichts der von Hollande hochgehaltenen Integrität der Gewählten mag daher besonders belustigen, daß seit Wochen in Frankreich Namenslisten von über 40 sozialistischen Amtsinhabern kursieren, die entweder wegen Amtsmißbrauchs, Betrugs, Urkundenfälschung, Vorteilsannahme oder Zweckentfremdung öffentlicher Gelder verurteilt wurden und die trotzdem in ihren Ämtern belassen wurden.

Um in einer globalisierten Wettbewerbswirtschaft zu bestehen, ist das 60-Punkte-Programm völlig ungeeignet. Um in Frankreich gewählt zu werden, dagegen schon, wie auch die Erfolge des gesamten linken Lagers (es stellt 60 Prozent der Abgeordneten in der Nationalversamlung) dokumentieren. Das, was während Hollandes Präsidentschaft am stärksten wachsen dürfte, sind die Schulden, Sozialleistungen und die Staatsquote – und wohl schon bald der Wunsch nach erneuter Veränderung. Denn es geht kein Weg daran vorbei: Frankreich muß mehr wettbewerbsfähige Güter und Dienstleistungen produzieren. Dafür braucht es attraktive Rahmenbedingungen für Unternehmer, ein Umstand, an dem die ganze EU gefährlich kränkelt. Die Renditen für unternehmerisches Risiko gehen zurück, Bürokratie, Verwaltungsauflagen, Sozialabgaben und Haftungsrisiken dagegen nehmen zu.

Das 60-Punkte-Programm „Le changement, c‘est maintenant!“ von François Hollande: www.parti-socialiste.fr/projet

Foto: Begeisterung für François Hollande: Frankreich muß wieder mehr wettbewerbsfähige Güter und Dienstleistungen produzieren

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