© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

Pankraz,
die Kuratorin und das Aus für die Kunst

Daß die 13 eine Unheilszahl sei, ist natürlich ein Aberglaube. Oder doch nicht? Die dreizehnte „Documenta“ jedenfalls, die in Kassel begonnen hat, nach vielfacher Auskunft angeblich „die größte und wichtigste Kunstschau der Welt“, bestätigt den schlimmen Ruf ihrer Nennzahl auf geradezu unheimliche Weise. Sie markiert, für jeden neugierigen Besucher sofort erkennbar, das Ende der bildenden Kunst. Und es ist eine Beerdigung fünfter Klasse, nur noch Eckenauskehren und Müllabfuhr.

Sicherlich, frühere Documentas haben das Desaster vorbereitet, auch in ihnen dominierte schon die Furie des Verschwindens. Aber es gab dort, wenn schon keine Kunst mehr, so doch immerhin noch Künstler, die ihre Individualität behaupteten, die mitten im Gerümpel ihrer Installationen standen und sie dem Besucher fleißig zu erklären versuchten. Jetzt auf der dreizehnten fehlen auch diese Künstler. Es gibt nur noch die Kuratorin, Carolyn Christov-Bakargiev mit Namen, die das alles angeordnet hat und die selber eine Furie des Verschwindens ist.

In der Halle des Fridericianums weht ein scharfer Wind, ansonsten ist sie faktisch leer; in einer Ecke steht ein Glaskasten und darin ein Brief, in dem ein Künstler, der von Frau Christov-Bakargiev eingeladen worden war, sich höflich entschuldigen läßt. Es geht aber offenbar gar nicht um den Künstler, sondern um den Wind beziehungsweise um den Dampf, der manchmal aufsteigt und beim Besucher Ekelgefühle erzeugt. Es ist der Dampf, erfährt man, aus dem Wasser von Leichenwaschungen. Um welche Leichen es sich handelt, wird nicht gesagt.

Weiter hinten in der Rotunde des Fridericianums hat die Kuratorin ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Es heißt „The Brain“ (das Gehirn) und wirkt in der Tat wie das Büro eines Instituts für Neurologie. Leibhaftige Vertreter der Gehirnforschung sitzen darin, im Wechsel mit anderen Gelehrten wie etwa dem Quantenphysiker Anton Zeilinger aus Wien, der dem Besucher am Beispiel von Wellenverhalten und Teilchenverhalten darlegt, was die Welt im Innersten zusammenhält und daß man das nicht visualisieren könne, wie es die Kunst immer wieder versuche.

Natürlich gibt es auch die „notwendige Kritik“ an solcherlei Auslassungen – Schautafeln, die die heimtückischen Vernetzungen von Wissenschaft und kapitalistischer Großindustrie demonstrieren. Und wenige Meter weiter dekretiert ein voll institutionalisierter und gut untergebrachter Philosoph mit Hilfe von Adorno-Texten, daß die bildende Kunst endlich wieder im „Formlosen“ verschwinden sollte.

Gewiß, Kunst sei an sich Formung, Formbildung, entweder in kritischer oder unterhaltender Absicht. Aber heute sei die Gesellschaft ja in toto zu einem gigantischen Gebilde aus Dauerkritik und Dauerunterhaltung geworden (siehe das tagtägliche Geschäft mit den Talkshows), und so bleibe der Kunst nichts weiter übrig, als sich ins Formlose zu entgrenzen, als Alternative zum bloßen Geschwätz ein unmittelbares, diffuses Verhältnis zur freien Natur herzustellen. Das sei die wahre künstlerische „recovery“, die den „collaps“ ablösen könne („collaps and recovery“ lautet das offizielle Motto der dreizehnten Documenta).

Fragt sich nur, wie eine „formlose Kunstnatur“ aussehen könnte und ob sie nicht selber zu bloßem Geschwätz wird. Als einst Joseph Beuys erklärte: „Alle Menschen sind Künstler“, und in Hamburg („man muß nur wollen“) eine vergiftete Hafensandbank mit Bäumen bepflanzen wollte, lehnte der damalige Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, ein gebildeter Herr, das entschieden ab. „Fürs Aufforsten haben wir Förster“, beschied er. Parallel dazu könnte man heute gegen die Documenta 13 einwenden: „Für die Natur haben wir die Natur. Dafür brauchen wir keine Künstler.“

Mit anderen Worten: Wer die Parole ausgibt „Alles ist Kunst, denn die Natur selber ist Kunst“, der stellt der Kunst einen Totenschein aus. Was zur Zeit in Kassel im Zeichen dieser Parole veranstaltet wird, läuft folgerichtig auf nichts anderes als auf Leichenschändung hinaus. Die Ausflüge in die umgebende Landschaft, die zum Programm dazugehören, erreichen nicht einmal das Niveau eines alkoholbeflügelten Rentnerausflugs, allenfalls ein Kindergarten unter strenger Aufsicht der allgewaltigen Kuratorin.

Es gibt grüne Wiesen, wo man sich einer Urschrei-Therapie hingeben kann. Es gibt Hütten, wo man das Management sexueller Dreiecksverhältnisse einstudieren oder sich hypnotisieren lassen kann. Anderswo kriegt man Samenkörner gezeigt, die die Vielfalt von Reis- und Mangoldsorten belegen und Appetit auf ökologisch bewußtes Essen machen sollen. Eine Dame knetet schlichte Gartenerde in die Form von Goldbarren, um damit das Geldsystem des herrschenden Finanzkapitalismus anzuklagen. Über allem waltet ein derart ranziger Pädagogismus und Gutmenschenton, daß einem richtig übel wird.

Nicht einmal ein Gag, der von dem einst hochberühmten Moskauer Zirkusclown und Manegendirektor Popow stammen könnte, vermag einen da noch aufzuheitern. Aus einer Hecke, an der das Besucherhäuflein gerade vorbeizieht, bricht plötzlich eine gutgelaunte Hundemeute hervor, bellt, wedelt mit den Schwänzen und fordert die Besucher sichtlich dazu auf, ihr zu folgen und sich etwas zeigen zu lassen. Es geht einen kleinen Hügel hinauf – und da liegt die Statue eines hübschen nackten Mädchens, um dessen Gesicht herum sich ein lebendiger Bienenschwarm eingerichtet hat.

„Die Statue stammt aus der Nazizeit“, wird einem von Hilfskräften der Kuratorin sogleich eifrig versichert. Sie sieht nicht schlecht aus, erinnert ein wenig an Georg Kolbes „Kleine Tänzerin“ aus der Nationalgalerie. Aber sie ist natürlich nie und nimmer ein Kunstwerk! Sie liegt hier nicht als simples Ausstellungsobjekt, sondern als Symbol des „collaps“, den die Kunst erlitten hat und der nun – dem Himmel (oder Frau Carolyn Christov-Bakargiev) sei Dank – endlich von dem Bienenschwarm (pure Natur!) recovert wird.

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