© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die Resonanz, auf die Thilo Sarrazin stößt, hat selbstverständlich damit zu tun, daß er ein Teil der politischen Klasse war. Es gibt eben die begründete Annahme des Publikums, daß nur der, der „dazugehörte“, weiß, was hinter den Kulissen vorgeht, und es gibt einen Rest an Legitimitätsglauben. So nimmt man Sarrazin ab, was die Verfemten des öffentlichen Diskurses seit Jahr und Tag, aber ungehört, gesagt haben: daß die Masseneinwanderung ein Fehler war, daß die Integration der Eingewanderten nicht gelingt, daß die Migranten nur im Ausnahmefall eine Bereicherung darstellen, daß die Einführung des Euro auf falschen Annahmen und falschen Begründungen beruhte, daß die Deutschen zu Gefangenen ihrer Geschichte gemacht werden, daß die Sakralisierung der Massenverbrechen Hitlers nur dem Zweck dient, sie politisch gefügig zu halten, daß sie nicht die politische Klasse haben, die sie verdienen.

Die Teilnahme von Trittin an der Bilderberger-Konferenz ist vor allem eins: ein weiterer Beweis dafür, daß es keine Opposition mehr gibt. Man muß das als Folge von Entpolitisierung, Geschlossenheit der Führungsschicht und kultischer Verehrung des „Konsens“ betrachten. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Solche Zustände haben Konservative im Grunde immer ersehnt, wenn auch die Vorzeichen nicht nach unserem Geschmack sind.

Zu schön, um wahr zu sein: das Titelblatt des Economist, darauf ein sinkender Riesenfrachter mit der Aufschrift „The world economy“, dazu eine Sprechblase mit dem Satz: „Please can we start the engines now, Mrs. Merkel“.

Eckhard Fuhr ist etwas Eigentümliches: Korrespondent für Kultur und Gesellschaft der Springer-Gruppe. Wenn wir den Begriff richtig deuten, dann liegt seine Aufgabe darin, eine Meinung zu Grundsätzlichem zu äußern. Das tut er auch: in den Zeitungen Welt und Welt am Sonntag. Der Sachverhalt wäre weniger interessant, wenn Fuhr – abgesehen von seiner leidenschaftlichen Parteinahme für die Jagd – so etwas wie eine Generallinie seiner Stellungnahmen erkennen ließe. Statt dessen hat man das Gefühl, daß er das Meinen-Müssen als eine lästige Pflicht betrachtet, so daß seinen Kommentaren eine gewisse Beliebigkeit anhaftet. Etwa wenn er jetzt die mißlungene „Italianisierung“ der Deutschen beklagt, die in den achtziger Jahren so hoffnungsvoll begonnen habe, als wir endlich lässiger, smarter, weltläufiger wurden. Nun habe Frau Merkel wieder den häßlichen Germanen in uns geweckt, der dem Rest auf die Nerven geht mit seiner Kritik an Korruption, Verschwendung und Unpünktlichkeit. Es ließe sich unschwer nachweisen, daß Fuhr auch ziemlich das Gegenteil hätte schreiben können.

Man kann so fußballignorant sein wie man will, man wird den Beschwörungen von „Respect“ nicht entgehen. Dabei ist die englische Schreibweise kein Zufall, und jedesmal, wenn der Begriff fällt, tritt vor mein inneres Auge das Bild eines Ghettofürsten, inmitten seiner Gang, der irgendeinem armen Würmchen zu seinen Knien „Respect“ abverlangt, oder die sinnlose Gewalttat damit erklärt, das Opfer habe keinen „Respect“ gezeigt. Daß das Wort einmal wieder so an Kurswert gewinnen würde, war nicht zu erwarten, nachdem jahrzehntelang alles getan worden war, den Leuten jeden „Respekt“ abzugewöhnen. Die Renaissance hat allerdings nichts zu tun mit dem ursprünglichen deutschen Gehalt oder gar der antiken Bedeutung, denn „respect“ wird heute grundlos eingefordert, als Menschenrecht, während „Respekt“ nur dem entgegenzubringen war, was als Person oder als Institution einen Anspruch darauf erworben hatte. Es ist bezeichnend, wie nahe der Gehalt des Begriffs bei dem von „Ehrfurcht“ lag und daß heute niemand auf die Idee käme, eine solche Nähe zu behaupten

Nils Minkmar lieferte unlängst eine Analyse der amerikanischen Kollektivverfassung und führte – erwartungsgemäß – den Verlust jedes „Gemeinsinns“ auf das wilde Wuchern des Kapitalismus zurück, der alles, was bis dahin als sakrosankt galt, käuflich gemacht habe. Es soll dieser Einschätzung gar nicht widersprochen, aber doch darauf hingewiesen werden, daß die von Minkmar gleichzeitig gefeierte Pluralisierung der amerikanischen Bevölkerung eine wesentlichere Ursache dieses Prozesses ist. Ohne Gemeinsamkeit keine Gemeinschaft, ohne Gemeinschaft kein Gemeinsinn. Ein multirassisches, multireligiöses, multikulturelles Gebilde wie die USA kann Gemeinsinn nicht, oder genauer: nicht mehr, hervorbringen. Was an Selbstverständlichkeiten und Homogenität verlorenging, ist durch Appelle nicht zurückzugewinnen. Die Folgen trägt der common man. Der Führungsschicht bleibt immer, wenn weder Gewaltanwendung noch Manipulation Wirkung zeigen, als dritte Option der Rückzug und die möglichst komfortable, weil kapitalgestützte, Ausstattung des Privatlebens.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 6. Juli in der JF-Ausgabe 28/12.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen