© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

Originalität als Gefahr
Philosophie: P. Sloterdijk wird fünfundsechzig
Erik Lehnert

Wenn ein deutscher Philosophieprofessor seinen 65. Geburtstag begeht, wird er Emeritus und hat dann Zeit für die während der Lehrtätigkeit ungeschrieben gebliebenen Bücher. Bei Peter Sloterdijk dürfte sich das in vielerlei Hinsicht anders gestalten. Denn Sloterdijk war im Gegensatz zu vielen Fachkollegen nicht nur sehr produktiv, sondern hat es auch verstanden, als Philosoph öffentliche Debatten auszulösen.

Der Grund für Sloterdijks besondere Stellung in der deutschen Gegenwartsphilosophie liegt in seinem Lebensweg, der ihn nicht direkt zur Professur führte, sondern nach der Promotion erst einmal nach Indien zum berühmt-berüchtigten Guru Osho und seiner Kommune. Nach seiner Rückkehr lebte Sloterdijk als freier Schriftsteller in München und hatte gleich mit seinem ersten Werk großen Erfolg. Die „Kritik der zynischen Vernunft“ ist mit etwa 120.000 verkauften Exemplaren das erfolgreichste philosophische Buch der Nachkriegszeit. Sloterdijks Abrechnung mit dem Selbstbetrug der menschlichen Vernunft wurde von rechts (Armin Mohler) und von links (Jürgen Habermas) zwiespältig beurteilt. Während der eine Halbheiten bemängelte, störte den anderen, daß Sloterdijk kein Weltverbesserungsprogramm entwarf.

Obwohl Sloterdijk seine geistige Herkunft aus der Kritischen Theorie nie verleugnet hat, wurde er im Laufe der Jahre zu ihrem schärfsten Kritiker. Mit ihren Vertretern streitet er sich bis heute besonders gern. Das war nach der Wiedervereinigung, die Sloterdijk begrüßte, nicht anders als anläßlich der Debatte um Sloterdijks biopolitische Thesen „Regeln für den Menschenpark“ oder, zuletzt, bei seinem Eintreten für ein Umdenken in der Steuerpolitik („Revolution der gebenden Hand“).

Sloterdijk ließ es aber nicht bei diesen zugespitzten Essays bewenden. Insbesondere das dreibändige Projekt „Sphären“ zeugt von seinem Anspruch, den Dingen auf den Grund zu gehen und gewohnte Blickwinkel zu meiden. Zuletzt haben seine Bestseller „Zorn und Zeit“ sowie „Du mußt dein Leben ändern“ in diesem Sinne versucht, die Geistesgeschichte neu zu interpretieren. Die Gefahr für Sloterdijk liegt in der damit notwendig einhergehenden Originalitätssucht, die schnell als mangelnde Ernsthaftigkeit ausgelegt wird. Insofern hat Sloterdijk vielleicht selbst die Geister heraufbeschworen, die ihm jetzt seinen Platz im Fernsehen („Philosophisches Quartett“) genommen haben. Daß ihn ausgerechnet Richard David Precht, der die Probleme, die Sloterdijk behandelt, noch nicht einmal sieht, ersetzen soll, ist dann allerdings eine zu harte Konsequenz.

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