© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

Sozialpolitik
Willkommen an Bord
Rolf Dressler

Ein gottlob rüstiger Altersgeldbezieher – nennen wir ihn schlicht Friedrich Mustermann – hat einmal die folgende, verblüffend alltagsnahe Vergleichsrechnung aufgemacht, allerdings unter der persönlichen Beschlußlage: „Ich will nie ins Altersheim, wenn es sich auch ganz anders gestalten läßt!“

Für ein Zimmer im Altenstift müßte Herr Mustermann mindestens 200 Euro pro Tag berappen. Eine Langzeitreise auf einem Kreuzfahrtschiff hingegen könnte er schon für 140 Euro pro Tag buchen. Mindestens zehn freie Mahlzeiten gibt es dort, wenn er die Speisen in einem der Bordrestaurants einnimmt oder vom „Room Service“ in die Kabine bringen läßt. Frei im Angebot enthalten sind zudem diverse Swimmingpools, Fitneßräume, die Benutzung von Waschmachine und Trockner und jeden Abend Showveranstaltungen. Kostenlos gibt’s Seife, Shampoo, Zahnpasta, Rasierer, Föhn.

Das Bordpersonal behandelt unseren Beispielrentner wie einen Kunden, nicht etwa wie einen Patienten. Die Stewards lesen dem Langzeitgast jeden Wunsch von den Augen ab – für ein Trinkgeld von 15 Euro pro Tag. Fernseher defekt? Glühbirne kaputt? Die Matratze zu hart oder zu weich? Kein Problem, gute Bordgeister sorgen für Abhilfe und bitten sogar noch um Nachsicht für die kleine vorübergehende Unbill.

Fortwährend frische Bettwäsche und Handtücher sind selbstverständlich, extra nachzufragen erübrigt sich. Der kühle Rechner Friedrich Mustermann denkt aber noch weiter: „Wenn ich im Altersheim stürze und mir eine Rippe oder gar ein Bein breche, bringt man mich sofort in ein Krankenhaus – und gemäß der soundsovielten Gesundheitsreform muß ich dafür womöglich noch kräftig draufzahlen. Auf dem Kreuzfahrtschiff hingegen würde man mich im Falle eines Falles wahrscheinlich vom Bordarzt kostenlos behandeln lassen.“ Und das Allerbeste, so fügt er hinzu: Auf Kreuzfahrtschiffen könne er nach Herzenslust die ganze Welt bereisen, Nord- und Südamerika, Afrika, Asien, Australien, die Antarktis und das Nordpolarmeer sogar.

Friedrich Mustermanns Vergleichsrechenkunststück mag märchenhaft anmuten. Und doch ist es sehr nah an der deutschen Wirklichkeit. So oder so aber wirft es ein Schlaglicht auf die Irrungen und Wirrungen unserer Sozialpolitik.

 

Rolf Dressler war langjähriger Chefredakteur beim „West­falen-Blatt“ in Bielefeld und ist nun freier Journalist.

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