© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

„Es wird tiefgreifende Folgen haben“
Der Beschluß des Euro-Rettungsschirms ESM am Freitag bedeutet unwiderruflich den Einstieg in den EU-Bundesstaat. Lange hat die Politik das verschwiegen. Nun spricht sie offen von einer „politischen Union“ und einer Volksabstimmung zur Überwindung des Grundgesetzes
Moritz Schwarz

Herr Dr. Ehlers, ist das eine Revolution?

Ehlers: Das ist eher eine Evolution, die in eine falsche Richtung gelaufen ist. Aber ja, das wird tiefgreifende Folgen für unsere Gesellschaft haben.

Die Bundeskanzlerin äußerte erstmals offen: „Wir brauchen vor allen Dingen eine politische Union. Schritt für Schritt müssen wir Kompetenzen an Europa abgeben.“

Ehlers: Manchmal, kommentierte eine Zeitung richtig, sind es „winzige verbale Verschiebungen, die andeuten, daß Großes passiert“. Tatsächlich aber gab es in der politischen Klasse schon immer den Wunsch nach einem vereinten Europa.

Bis zu Ihrem Parteiaustritt 2004 waren Sie über ein Jahrzehnt in Fachausschüssen der FDP tätig. Welche Haltung zeigte die etablierte Politik in Sachen EU gegenüber den Interessen der Bürger?

Ehlers: Ich spreche jetzt nicht aus einer Erfahrung speziell mit der FDP, sondern mit der Politik allgemein: Es war klar, daß die Bürger ein vereintes Europa mehrheitlich nicht wollen, und daher wurde der zweite Schritt – die Einführung einer gemeinsamen Währung – vor dem ersten gemacht, nämlich der Schaffung einer politischen Union. Mit dem Ergebnis der Krise, in der wir jetzt stecken. Für den ersten Schritt hätte man gemäß unserem Grundgesetz schließlich auch das Volk befragen müssen. Da man aber ahnte, wie das ausgehen würde, verzichtete man darauf und verlegte sich auf die Strategie, Fakten zu schaffen und das Volk im Lauf der Zeit in die „richtige“ , das heißt von den politischen Europhantasten gewünschte Richtung zu lenken.

Finanzminister Schäuble gibt das inzwischen offen zu: „Wir wollten schon damals die politische Union, das war aber nicht möglich“, rechtfertigt er sich jetzt in einem Interview mit dem „Spiegel“.

Ehlers: Das überrascht mich nicht.

Gibt er damit nicht zu, aus weltanschaulichen Gründen und sehenden Auges eine falsche Politik gemacht zu haben?

Ehlers: Politiker wie Herr Schäuble wissen entweder nicht, was sie tun, oder sie führen das Volk bewußt in die Irre – ich unterstelle letzteres. Aber ich bin sicher, kritisch darauf angesprochen, würde er Ihnen erwidern, daß genau das Zeichen politischen Verantwortungsbewußtseins und politischer Weitsicht sei. Dabei hat der Euro völlig absehbar kein besseres Europa geschaffen, sondern ein Europa der Krisen und der Animositäten. Meine Prognose: Die ganze Konstruktion wird eher früher als später zusammenbrechen. Laut Frau Lagarde fällt die Entscheidung über den Euro in den nächsten drei Monaten.

Deshalb tritt die Politik ja jetzt aufs Gaspedal und bringt offen die politische Union und eine Volksabstimmung ins Spiel.

Ehlers: Für mich ist das eher ein Zeichen dafür, wie hilflos die Politik inzwischen ist. Und da die Politik nun mal den falschen Kurs eingeschlagen hat, landet sie nur um so schneller im Abgrund, wenn sie jetzt auch noch aufs Gas tritt.

Was soll man sich unter einer politischen Union eigentlich konkret vorstellen?

Ehlers: Nun, die Politik hat meist gezielt im unklaren darüber gelassen, was sie damit eigentlich genau meint, einen Bundesstaat oder einen Staatenbund.

In genanntem Interview fragt der „Spiegel“ Herrn Schäuble immerhin danach.

Ehlers: Und was antwortet er?

„Weder wie die USA noch wie die Bundesrepublik, sondern eine eigene Struktur.“

Ehlers: Also keine Antwort. Und damit lassen die Interviewer des Spiegel sich abspeisen?

Leider ja.

Ehlers: Der deutsche Michel ist schon erstaunlich duldsam.

Selbst deutet das Magazin das Vorhaben der Kanzlerin so: „Eine Jahrhundertentscheidung ... Die Nationalstaaten müßten wesentliche Teile ihrer Souveränität abgeben. Es wäre ein völlig anderes Europa, das am Ende dieses Prozesses stehen würde.“

Ehlers: Im Klartext, wir würden von Brüssel und Straßburg aus regiert werden. Es ist schon faszinierend, daß es keine politische Kraft im Land gibt, die da gegensteuert. Obwohl ich aus zahlreichen Gesprächen weiß, daß dafür ein echtes Interesse besteht. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß diese nicht eines Tages doch auftaucht.

Warum?

Ehlers: Ich glaube, vor die Wahl gestellt will der deutsche Wähler lieber eine Rückkehr zu historisch erprobten und wieder stabilen Verhältnissen, als von Brüssel regiert zu werden.

In der Debatte im Zuge einer Volksabstimmung würde die Frage aber wohl nicht „EU oder Deutschland?“ formuliert werden, sondern eher so zugespitzt: „Frieden und Wohlstand oder Krieg, Rückschritt und Nationalismus?“

Ehlers: Vergessen Sie nicht, noch ist im allgemeinen Bewußtsein, daß wir mit dem Nationalstaat Deutschland die letzten sechzig Jahre gar nicht so schlecht gefahren sind. Ich weiß zwar, daß die Phantasie unserer Politiker fast unerschöpflich ist, wenn es darum geht, einer politischen Union näher zu kommen, aber keine Sorge: Das hat das Bundesverfassungsgericht klargemacht, solange das Grundgesetz gilt, können sie das nicht.

 

Dr. Wolfram Ehlers, der ehemalige FDP-Politiker leistete seiner Partei 26 Jahre lang treue Dienste, bevor er sie 2004 verließ. Über fünfzehn Jahre lang war er Mitglied im Bundesfachausschuß der Partei für Friedens- und Sicherheitspolitik und leitete außerdem ebenso lang den gleichnamigen Landesfachausschuß der Liberalen in Bayern. Geboren wurde der Münchner Rechtsanwalt 1944 in Bünde bei Herford in Nordrhein-Westfalen.

 

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