© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

Vorwiegend Skurrilitäten
Piraten: Die politische Richtung der vier Landtagsfraktionen ist noch immer unklar
Ronald Gläser

Seit dieser Woche wissen die Deutschen, was ein Theaterpädagoge genau ist. Die Berufsbezeichnung lud bislang viele zu Spekulationen ein, ob ein Theaterpädagoge gefrustete Operndiven therapiert oder aber Nachwuchsschauspieler auf den richtigen Weg bugsiert.

Er tut nichts davon. Deutschlands bekanntester Theaterpädagoge, Johannes Ponader, bringt Jugendlichen in Brennpunktvierteln bei, wie Essen gekocht und Servietten gefaltet werden. Ein Theaterpädagoge ist in Wirklichkeit ein Sozialarbeiter, ein staatliches Kindermädchen für Schwererziehbare.

Die Entlarvung des Geschäftsführers der Piratenpartei Ponader als Sozialbetrüger durch den Spiegel hat hohe Wellen geschlagen und seiner Partei, den Piraten einmal mehr vor Augen geführt, daß die Flauschphase (Szenejargon) für sie zu Ende geht. Ponader wird vorgeworfen, zu hohe Hartz-IV-Leistungen zu beziehen. Er tingelt nämlich durch Talkshows, wo er dann mit seinen Sandalen wie ein Pausenclown auf dem Schulhof aussieht, was ihm aber teilweise dreistellige Honorare einbringt. Dieses Geld müßte von seiner Stütze abgezogen werden. Ponader findet, das sei ein „entartetes System“. Vor allem steuerehrliche Bürger werden sich fragen, warum sie jemanden wie ihn bezahlen müssen – und ob das mit der Piraten-Forderung nach einem Grundeinkommen für jedermann wirklich so eine gute Idee ist. Immer öfter zeigt sich, daß die Piraten doch nur eine Partei wie alle anderen sind, die nur hemdsärmeliger daherkommt.

In vier Landtage sind die Piraten bereits eingezogen. Berlin, Saarland, Schleswig-Holstein und zuletzt Nord-rhein-Westfalen. Die neu entstandenen Landtagsfraktionen bilden den Kern der neuen Führungsriege der Partei. Das, was die Wähler von diesen Volksvertretern an echter politischer Arbeit serviert bekommen haben, fällt – bislang zumindest – eher in die Kategorie Abstiegskampf.

Saarbrücken, März 2012: Die Piraten rücken mit 7,4 Prozent in den Landtag ein. Spitzenkandatin Jasmin Maurer ist in Jubelstimmung. „Jetzt beginnt die Arbeit erst richtig“, verkündet die 22jährige. In Wirklichkeit legt sie eine Ruhepause ein, zumindest twittert sie nichts Politisches mehr. Dafür bekräftigt sie zur konstituierenden Sitzung im Mai noch einmal: „Heute hab ich den ersten richtigen Arbeitstag als Abgeordnete. Soll heißen, ich kann mich aufs Arbeiten konzentrieren.“

Jedoch erfahren ihre Twitterfollower vor allem von den Veränderungen in ihrem Privatleben: Ende Mai beginnt sie mit der Renovierung ihrer neuen Wohnung. Zwei Wochen später fragt sie ihre Freundin Barbara: „Wenn der ganze Streß mit meinem Umzug rum ist, machen wir dann mal ne Shoppingtour?“ Maurers Abgeordnetenbezüge betragen 5.712 Euro, vorher hatte sie nur ihr Auszubildendensalär. Gut für Maurer. Aber die politische Arbeit droht dabei auf der Strecke zu bleiben. Politische Akzente konnte die Piratenpartei im Saarland seit ihrer Wahl nicht setzen.

Berlin, Mai 2012: Die 15 Berliner Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus gibt es schon seit einem halben Jahr. Partei und Fraktion hatten nach der Wahl Vorsitzende gewählt, die aber schon wieder zurückgetreten sind. Zudem haben die Abgeordneten vorwiegend mit Skurrilitäten wie vorgetäuschtem Kokain-Konsum, Palästinensertüchern im Plenum und einem Antrag zur Abschaffung von Opernhäusern auf sich aufmerksam gemacht.

Und mit der angekündigten Transparenz war es schnell vorbei: Die bestand aus ein paar Videostreams pro Woche von Fraktionssitzungen. Alibiveranstaltungen. „Das war’s im wesentlichen“, schimpft ein Pirat bei Twitter. Jetzt tagen Gremien schon mal geheim, sogar die Vorstände.

Der große Star der Berliner Fraktion ist Christopher Lauer, der unlängst auch zum Vorsitzenden gewählt worden ist. Lauer hat auch schon (vergeblich) versucht, Parteivorsitzender zu werden. Er gehört zumindest zu den Piraten, die sich mit Politik befassen. Per Twitter fragt er, warum die Staatsschulden nicht einfach durch Enteignung der Sparer beglichen werden sollten. Er spricht sich für ein Bündnis mit SPD und Grünen im Bund aus und kündigt an, Klaus Wowereit zu fragen, ob der ihn heiraten wolle. Und manchmal twittert er einfach nur „Pferd“.

Fazit: Ernstzunehmende politische Ansätze sind da. Entschieden ist noch nichts. Weder im positiven noch im negativen Sinne. Armin Fuhrer und Stefan Appelius kommen in ihrem neuen Buch über die Piraten „Das Betriebssystem erneuern“ zu dem Schluß: „2013 wird es nicht mehr ausreichen, neu und spannend zu sein, dann wollen die Menschen wissen, für welche Inhalte die Piraten stehen.“

Bleibt also nur der Blick auf die Köpfe. Ponader, Maurer, Lauer: Alle drei stehen für die Elite der neuen Partei. Ihnen geht es um ein Leben auf Staatskosten (Maurer, Ponarder) oder um Macht (Lauer). Die Themen wie Bürgerrechte und Transparenz bleiben dabei auf der Strecke – oder werden aus opportunistischen Erwägungen ad acta gelegt wie Abschaffung des Schulzwangs, Widerstand gegen den ESM und Ablehnung der Frauenquote.

Der frühere Schatzmeister René Brosig hat Anfang Juni in einem Interview mit der Berliner Zeitung die Partei aufgefordert, „normal“, also wie die anderen Parteien, zu werden. Es sei an der Zeit zu erkennen, „daß nicht alles schlecht ist an diesem System und daß es gewisse Notwendigkeiten gibt, denen wir folgen müssen, sonst gehen wir unter“.

Die Piraten sind schon auf dem besten Weg, so zu werden wie die anderen auch.

Stefan Appelius, Armin Fuhrer: Das Betriebssystem erneuern - alles über die Piratenpartei.Berlin Story Verlag, Berlin 2012, broschürt, 336 Seiten, 19,80 Euro

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