© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

Der Weg in den Superstaat
„Zukunftsgruppe“: Die Außenminister mehrerer EU-Staaten wollen aus dem Staatenbund Europa einen europäischen Bundesstaat machen
Michael Paulwitz

George Soros fordert sie, Wolfgang Schäuble und Angela Merkel wollen sie vorantreiben, und Sigmar Gabriel, die Polit-Pensionäre Helmut Kohl, Joschka Fischer und Theo Waigel waren sowieso schon immer dafür: Die „Vereinigten Staaten von Europa“, die „politische Union“, der „europäische Bundesstaat“ sind auf die Tagesordnung zurückgekehrt. Eine von Bundesaußenminister Guido Westerwelle initiierte „Zukunftsgruppe“ von zehn europäischen Außenministern bastelt am europäischen Superstaat und an der handstreichartigen Entmachtung der Nationalstaaten im Namen der Euro-Rettung.

Man solle doch endlich den „Konstruktionsfehler“ der Währungsunion überwinden und sie um eine „Wirtschaftsunion“ ergänzen, fordert der Mitte Juni vorgestellte Zwischenbericht der „Zukunftsgruppe“, der die Euro-Krise als „Chance für historische Schritte zu mehr Integration“ nutzen will. Keine Währungsunion ohne umfassende „politische Union“ war schon Helmut Kohls Idee, mit der er im Frühjahr 1990 am Widerstand Großbritanniens und Frankreichs scheiterte, das zwar als Preis für die Wiedervereinigung die Auslieferung der Deutschen Mark verlangte, aber nicht im Traum daran dachte, dafür seine eigene Souveränität zu opfern. Die „postnationale Konstellation“, in der Jürgen Habermas damals Europa wähnte, existierte schließlich nur in den Köpfen einiger deutscher Intellektueller.

Die Dauerkrise der scheiternden Währungsunion gibt den Phantasien der „Vereinigten Staaten von Europa“ neue Nahrung: Weil Europa als Staatenbund „in einer Krise nicht ausreichend handlungsfähig“ sei (Joschka Fischer), soll mit der Drohkulisse eines „Zerfalls der EU“ und der „Renationalisierung“ auch noch die Entmachtung der Nationalstaaten erpreßt werden. Gegen die Krise helfe nur „mehr Europa“, lautet das Mantra; Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der letzte Veteran der Kohlschen Europapolitik, der noch in Amt und Würden ist, bekannte vor einem halben Jahr freimütig, die Euro-Krise sei die letzte und beste Chance für die politische Union, die man nur in Krisenzeiten hinbekommen könne. Ende 2012, Anfang 2013 werde man die Zutaten dafür beisammen haben.

Schäuble hat seine Überlegungen wenige Tage vor dem Gipfel im Spiegel-Interview präzisiert: Die Mitgliedsstaaten sollen nicht mehr das letzte Wort haben, die Kommission soll eine „echte Regierung“ werden, am besten mit einem direkt gewählten Präsidenten, mit einem europäischen Finanzminister, der Haushalte und Schulden der Staaten genehmigen müsse, und auch das Parlament soll durch ein Gesetzesinitiativrecht gestärkt und um eine Länderkammer „nach dem Vorbild des Bundesrats oder des US-Senats“ ergänzt werden. Und weil das Bundesverfassungsgericht bei so weitreichenden Kompetenzübertragungen nach Brüssel vielleicht doch nicht mitspielen könnte, schließt Schäuble selbst eine Volksabstimmung nicht aus, natürlich erst, wenn seine Pläne „wirklich alle umgesetzt“ wären.

Westerwelles „Zukunftsgruppe“ besteht aus den Außenministern Belgiens, Dänemarks, Italiens, Luxemburgs, Österreichs, der Niederlande, Polens, Portugals und Spaniens. Frankreich, das zu den seit März stattfindenden Treffen der Gruppe bisher nur einen Beobachter entsandt hatte, wird bei der nächsten Runde in einem Monat mit dem neuen sozialistischen Amtsinhaber Laurent Fabius vertreten sein. Im September soll dann der Abschlußbericht mit allen EU-Staaten erörtert werden.

Der am 19. Juni vorgelegte „Zwischenbericht“ der Außenminister-Gruppe richtet sich an Kommissionspräsident Barroso, EU-Ratspräsident Van Rompuy, EZB-Präsident Mario Draghi und den Chef der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker; sie waren Anfang Juni auf maßgebliches Betreiben der Bundeskanzlerin, die sich das Ziel einer „politischen Union“ inzwischen selbst zu eigen gemacht hat, beauftragt worden, bis zum EU-Gipfel am 28. und 29. Juni einen „Integrationsplan“ für das „neue Europa“ zu entwerfen. Weitere Adressaten sind der Präsident und die Fraktionsführer des EU-Parlaments.

Grundlage des EU-Umbaus soll der „Fiskalpakt“ sein. Die „Zukunftsgruppe“ fordert „mehr europäische Durchgriffsrechte“ in der Wirtschafts- und Steuerpolitik, sprich den Verzicht auf wesentliche nationale Souveränitätsrechte; im Mittelpunkt der Überlegungen der vier Präsidenten steht die Vergemeinschaftung der Staatsschulden und eine „Bankenunion“, die unter dem Deckmantel der Herstellung eines integrierten Bankenmarktes in der Eurozone faktisch auf eine Gesamthaftung deutscher Anleger und Steuerzahler für Spareinlagen und marode Banken in ganz Europa hinausliefe. In der Außenminister-Gruppe einigte man sich auf „Projektbonds“, gemeinsame europäische Schuldscheine für große Infrastrukturprojekte als Einstieg in die kollektive Staatsschuldenhaftung. Der „Rettungsschirm“ ESM soll zum „Europäischen Währungsfonds“ werden.

Die politischen Reformvorschläge der „Zukunftsgruppe“ laufen auf die Beschneidung des Einflusses der Staats- und Regierungschefs hinaus; der geringe Enthusiasmus der Bundeskanzlerin für die Profilierungsübung ihres Vizekanzlers verwundert kaum. In der Sache strebt Westerwelles Gruppe einen europäischen Bundesstaat an, wie er auch Wolfgang Schäuble vorschwebt: Direktwahl des Kommissionspräsidenten und Aufwertung zum europäischen „Regierungschef“, der die Kommissionsmitglieder selbst auswählen können und in Personalunion auch Ratspräsident sein soll; die Stärkung des EU-Parlaments und die Einrichtung einer zweiten Länderkammer, die faktisch an die Stelle des Ministerrats träte, findet sich bereits im Papier der Außenminister.

Auch andere Vorschläge sind schon länger – bisher erfolglos – in der Diskussion, wie die Verkleinerung der Kommission und die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen; mittel- und langfristig können sich die Außenminister auch eine gemeinsame europäische Armee und gemeinsame europäische Sitze in internationalen Organisationen vorstellen. Die Schaffung eines „Europäischen Grenzschutzes“ zur besseren Kontrolle der Schengen-Außengrenzen und europäischer statt nationaler Visa soll den Nationalstaaten die Kontrolle über ihre Grenzen weiter entwinden.

Populär ist ein europäischer Superstaat bei den betroffenen Völkern nicht, wie Umfragen belegen. Besser also gar nicht erst fragen; die meisten Vorschläge könnten ohne Änderung der EU-Verträge umgesetzt werden, beschwören die zehn Außenminister. Auch die Bundeskanzlerin will von einer Volksabstimmung so schnell nichts wissen. Tatsächlich aber wäre eine weitergehende politische Union mit dem Grundgesetz unvereinbar.

Nur hartgesottene Euromanen können allerdings ernsthaft glauben, daß die Abschaffung der Nationalstaaten per Notverordnung im permanenten Euro-Ausnahmezustand eine Krise löst, die die Einführung der Gemeinschaftswährung selbst erst verursacht hat. Für deutsche Politiker ist der europäische Bundesstaat entweder Selbstzweck oder letzte Zuflucht, um im Gegenzug für das Eingehen unbeschränkter Zahlungs- und Haftungsverpflichtungen wenigstens einen Rest an Einfluß zu behalten; im übrigen Europa dagegen ist man vor allem an der deutschen Generalhaftung interessiert und will über Frau Merkels „verbesserte Kontrollmöglichkeiten und Standards“ allenfalls später mal reden. Krise hin, Zukunftsvision her, am Ende wollen alle nur das eine: unser Geld. Der Euro war nur ein Einstieg.

Foto: Aktentasche mit EU-Geheimdokument: Mehr europäische Durchgriffsrechte

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