© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

Insel der Aphrodite in der Bredouille
Zypern: Mit Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft sorgt die geteilte Insel für Negativschlagzeilen / Finanzkrise und Ankaras EU-Boykott
Günther Deschner

Daß der in einen türkischen Norden und einen griechischen Süden gespaltene Problemstaat Zypern am 1. Juli von Dänemark turnusmäßig für ein halbes Jahr den EU-Ratsvorsitz übernimmt, ist von starker Symbolkraft. Zypern soll „dazu beitragen“, so der offizielle Mitteilungstext, „Probleme der EU zu lösen“, bringt aber selbst einen Berg eigener Probleme mit. Beide, das EU-Konstrukt und seine „Insel der Aphrodite“, deren Wirtschaft und Bankwesen eng mit Griechenland verflochten sind, befinden sich in maroder Verfassung. Neben seinen andauernden politischen Reibungen im Spannungsfeld mit der Türkei kämpft Zypern inzwischen auch mit einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise.

Das neue EU-Präsidentschaftsland, mit einem Bruttoinlandsprodukt von rund 17,5 Milliarden Euro eine der kleinsten Volkswirtschaften des Euro-Raums braucht selbst dringend Soforthilfen, hauptsächlich für die Rettung und Rekapitalisierung seiner angeschlagenen Banken, die so gut wie bankrott sind.

Gerade erst hat sich die zypriotische Regierung – bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate – von Rußland mit einem Fünf-Milliarden-Euro-Kredit zu niedrigen Zinsen unter die Arme greifen lassen. Doch das ist nicht genug: Kurz vor Übernahme der Ratspräsidentschaft hat Zypern auch Hilfe bei der EU beantragt. Zypern ist damit das fünfte Land, das unter den Rettungsschirm kriecht – und gleichzeitig die erste EU-Ratspräsidentschaft, die unter dem „Rettungsschirm“ arbeiten muß.

Um so befremdlicher wirkt, daß Zypern in den letzten Wochen seine EU-Botschaft in Brüssel von 80 auf 230 Personen verstärkt hat.

Die Tatsache, daß „die Finanzmärkte“ jetzt sogar schon ein so kleines Land wie Zypern im Visier haben, hat den US-Ökonomen und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz veranlaßt, die Hilfsprogramme der EU erneut als „Voodoo-Ökonomie“ zu bezeichnen.

Auch politisch ist die Insel ein Dauerkonfliktherd im östlichen Mittelmeer. Ungelöst ist die Frage der Teilung seit der türkischen Invasion 1973. Im Norden gibt es die abtrünnige „Türkische Republik Nordzypern“, die nur von der Türkei anerkannt wird, die umgekehrt keine Beziehungen zur „Republik Zypern“ im griechischen Südteil unterhält. Viele griechische Zyprioten empfinden die Stationierung von rund 40.000 türkischen Soldaten und die Siedlungspolitik Ankaras als bedrohlich. Offen wird auch über das zunehmende Engagement radikaler Islamisten im Norden gesprochen.

Die diplomatischen Beziehungen der Republik Zypern zum riesigen Nachbarn und Erzfeind Türkei sind permanenter Zündstoff. Nikosia blockiert die Beitrittsverhandlungen mit Ankara. Umgekehrt will die Türkei alle Treffen mit der EU boykottieren, bei denen „Südzypern den Vorsitz hat“, wie Ankaras Außenminister Ahmet Davutoğlu jetzt mitteilte. Der neue Ratsvorsitz wird also keine Chance für „Tauwetter“ in der ungelösten Zypernfrage bedeuten, sondern eine weitere Belastung und diplomatische Herausforderung für das Dreieck Brüssel, Nikosia und Ankara.

Dabei könnte die Außenpolitik Zyperns in der Region gerade jetzt gefordert sein: Als Folge des syrischen Bürgerkriegs könnte es zu einem Ansturm von Flüchtlingen auf die Insel und auf andere Länder der EU kommen. Krisenmanagement im Rahmen der diplomatischen Beziehungen und der regionalen Möglichkeiten der Republik Zypern wäre dann gefragt.

Eine wichtige Rolle für die angeschlagene Wirtschaft Zyperns könnten auch diplomatische Bemühungen um die Ausbeutung der reichen Erdgasvorkommen spielen, die südlich der Insel unter dem Meeresboden entdeckt worden sind. Doch auch darüber gibt es Streit, der sich durch die Verstimmung Ankaras über die EU-Ratspräsidentschaft Zyperns nun noch weiter zu verschärfen droht.

Selbst der jahrelange Streit zwischen der EU und der Türkei über die Sicherung der EU-Außengrenze zu Griechenland in Thrakien – ein Haupteinfallstor für illegale Masseneinwanderung aus Afrika, dem Nahen Osten und Asien – hatte sich in den letzten Wochen eine gütliche Beilegung angedeutet. Ankara erklärte sich bereit, ein sogenanntes Rückübernahmeabkommen mit der EU zu schließen, illegale Einwanderer zu übernehmen und seine Grenze zu Griechenland besser zu kontrollieren. Im Gegenzug sollte die EU der Türkei die Tür für die Aufhebung der Visumspflicht öffnen. Das werde voraussichtlich nun erst 2014 oder 2015 der Fall sein, berichtete das Onlinemedium EUobserver. Im diplomatischen Duell mit der Türkei werde es erst mal eine Pause geben, da Ankara keinen zyprischen Diplomaten oder Minister der aktuellen EU-Ratspräsidentschaft empfangen will.

Foto: Präsidialgarde auf einem Militärfriedhof nahe der zypriotischen Hauptstadt Nikosia: Gedenken an die Toten der türkischen Invasion 1973

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen