© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

„Die Karre steckt tief im Dreck“
Entsetzen über die Lage in der EU mit ihrer Euro-Währungsunion: Ein Symposium der Hayek-Gesellschaft
Klaus Peter Krause

Euro-Schuldenkrise, die gewaltigen Rettungsmilliarden für Banken und Euro-Staaten sowie die vor allem für Deutschland ruinösen ESM-Zahlungsverpflichtungen enthalten ein Konfliktpotential, das zumindest die Euro-Währungsunion zu sprengen droht. Deshalb drängt sich die Frage auf: „Wohin treibt die europäische Einigung?“ Mit ihr befaßte sich ein Symposium der Hayek-Gesellschaft (siehe Infokasten) auf deren Jahrestagung, die diesmal in Bayreuth stattfand.

Werner Mussler (46), Diplom-Volkswirt und Wirtschaftskorrespondent der FAZ in Brüssel, machte aus seinem Entsetzen über die Lage gleich eingangs keinen Hehl: „Die Karre steckt so tief im Dreck, daß wir zunächst gar nichts mehr machen können, um auf ordnungspolitisch saubere Weise herauszukommen.“ Die Frage, wohin die europäische Einigung treibt, ist für ihn kurz- bis mittelfristig identisch mit der Frage, wohin der Euro treibt. Die Euro-Einführung habe ökonomisch wie politisch eine sogenannte Pfadabhängigkeit geschaffen.

Gemeint ist damit, daß die EU mit der gemeinsamen Währung einen Weg eingeschlagen hat, auf dem es für sie nur sehr schwer ein Zurück gibt. Daher hält Mussler einen Rückzug auf den Zustand „vor Maastricht“ für unrealistisch. Wer die Währungsunion geändert, verkleinert oder beendet sehen wolle, müsse deshalb sagen, wie er sich das vorstelle, und erläutern, wie eine Rückabwicklung funktionieren könne.

Denkbar sind für Mussler drei Möglichkeiten, aber allesamt unerfreulich, wie er sagte. Die erste: Die Währungsunion bricht zusammen. Die zweite: Vorläufig geht es weiter wie bisher, also auch mit dem Retten (Status quo). Die Europäische Zentralbank (EZB) pumpt also noch mehr Geld in den Markt. Die staatlichen und anderen Schulden werden vergemeinschaftet, die „Brandmauern“ noch höher gezogen, „bis alle Euro-Staaten überschuldet sind“. Die dritte Möglichkeit: Die Schuldenunion wird ergänzt durch eine „politische Union“, wie sie sich Bundeskanzlerin Merkel vorstellt. Es kommt zur Fiskal- und Bankenunion.

Beim weiteren Nachdenken über diese drei Möglichkeiten und mit seiner Antwort auf die dem Symposium gestellte Frage kommt Mussler zu einem, wie er sagte, „sehr defätistischen Ergebnis“: Es bleibe die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die Pest sei der Zusammenbruch der Währungsunion, die Cholera das Fortschreiben des Status quo.

Der Wirtschaftsprofessor Martin Leschke (50) von der Universität Bayreuth pflichtete ihm bei. „Hoffnung geben kann auch ich nicht.“ In Deutschland zwar merkten die Bürger bei sich selbst die Folgen der Krise noch nicht, denn: „Die Sonne scheint, das Einfamilienhaus ist noch da, der Hund bellt, das Geld ist noch auf dem Konto.“ Aber bei den Bürgern in anderen Euro-Ländern seien sie schon spürbar. Leschkes Antwort auf die Frage, wohin die Europäische Einigung treibe, lautet, die Stabilitätsmechanismen würden „Papiertiger“ bleiben, es werde weiterhin an ihrer wirksamen Durchsetzung durch die EU mangeln, auch wenn Worte wie Stabilitäts-, Fiskal- und Bankenunion anders klängen. Daher werde der jetzige Weg zu einem Auseinanderbrechen der Währungsunion führen und auch zu herben Einschränkungen bei anderen Errungenschaften der Integration, so beim Binnenmarkt und der Freizügigkeit. „Fragen Sie mich nicht, wie lange das dauert, aber zum Crash kommt es. Helfen Sie mit, daß dies schneller geht.“

Wolf Schäfer (70), seit 1981 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität der Bundeswehr Hamburg, sagte unter anderem: „Der Ausstieg Griechenlands aus der Währungsunion muß kommen, ob wir es wollen oder nicht.“ Er hält es für sinnvoll, Griechenland zurück in die eigene Währung zu entlassen. Ein eigener Wechselkurs würde dort eine gewaltige Abwertung ermöglichen und mit der Zeit in einem dynamischen Prozeß zum eignen Wohl die gesamte griechische Exportstruktur verändern. Das Land würde sich dann über die bestehende Wirtschafts- und Exportstruktur hinaus ganz anders als jetzt in die internationale Arbeitsteilung integrieren.

Frank Schäffler (43), ESM-Gegner und „Euro-Rebell“ in der FDP-Bundestagsfraktion, ergänzte: „Wir brauchen Regeln dafür, wie man aus dem Euro aussteigen kann – sowohl Nehmer- wie auch Geberstaaten. Sonst werden wir von den Nehmerstaaten und Banken weiter erpreßt.“ Man habe zwei Jahre verschlafen, um einen Exit durchzuspielen. Schäfer stimmte zu: „Es ist gar nicht so kompliziert, auszutreten. Aber wir müssen regeln, wie wir das machen und wie es funktionieren soll.“

Für Schäffler wollen die „Euro-Retter“ die Krise nutzen, um die Europäische Union in eine neue Rechtsform zu führen. „Wir sind auf dem Weg in den Zentralismus. Der kommt aber nicht über den rechtsstaatlichen Weg, sondern durch die kalte Küche. Wir schleifen fortwährend das Recht. Deutschland muß darauf drängen, daß das Recht durchgesetzt wird und das Haftungsprinzip zur Geltung kommt.“ Jetzt werde Europa auseinanderdividiert, also das Gegenteil dessen erreicht, was die Retter wollten. Dem freilich steht entgegen, was Leschke so formulierte: „Mit unserem deutschen Rechtsverständnis haben wir es schwer, die anderen ans Recht zu binden. Das schaffen wir doch schon im eigenen Land kaum.“

Anders als Schäfer erwartet der Mannheimer Wirtschaftsprofessor Roland Vaubel (64) nicht, daß die neue griechische Regierung aus der Währungsunion austritt und abwertet. In seinem Thesenpapier begründet er das so: „Die Mehrheit der Griechen ist nicht daran interessiert, durch Wiedereinführung und Abwertung der Drachme den Realwert ihrer Löhne und ihres Geldvermögens zu reduzieren. Stattdessen werden die Gläubigerstaaten ihre Auflagen lockern.“

Während der weiteren Diskussion setzte sich Vaubel dafür ein, der EU-Kommission das Gesetzgebungsrecht zu entziehen. Es müsse hin zum EU-Parlament und zum EU-Ministerrat verlagert werden. Um das hinzukriegen, müsse man als Hebel dafür die EU-Budget-Verhandlungen nutzen. Über die Finanz­interessen der EU-Mitglieder könne man alle möglichen Vertragsänderungen aushandeln. Widerspruch dazu kam von Mussler: Wenn die Gesetzgebung beim EU-Parlament liege, führe das zu noch mehr Zentralisierung. „Wenn man eins verhindern muß, dann dies: dem Parlament mehr Kompetenzen zu geben.“

Als zum Schluß Gesprächsleiter Michael Wohlgemuth (47), Wirtschaftsprofessor an der Universität Bayreuth, die Frage stellte, wie lange es den Euro mit 17 Ländern noch geben werde, und um ganz kurze Antwort bat, fiel die der fünf Teilnehmer unterschiedlich aus. Leschke: „Vier Jahre.“ Mussler: „Ich wette nicht.“ Schäfer: „Drei Jahre.“ Schäffler: „Den Euro mit 17 gibt’s kein Jahr mehr, den Euro als Währung sehr, sehr lange.“ Vaubel: „Solange es die EU gibt.“ Das trug Vaubel den Kommentar ein: „Wie das Orakel von Delphi.“

 

Hayek-Gesellschaft

Die Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft, gegründet 1998, setzt sich dafür ein, im deutschsprachigen Raum die individuelle Freiheit zu sichern, indem sie die Ideen im Sinne des Wirtschaftswissenschaftlers und Philosophen Hayek verbreitet. Sie wendet sich besonders an Meinungsbildner in Unternehmerwirtschaft, Politik, Wissenschaft und Publizistik. Mit der Hayek-Medaille geehrt wurden diesmal der Psychologe, Politikwissenschaftler und Soziologie-Professor Erich Weede sowie der slowakische Ökonom, Unternehmer, Politiker und Euro-Rebell Richard Sulik, der seit 2009 Vorsitzender der liberalen slowakischen Partei „Freiheit und Fortschritt“ ist und von Juli 2010 bis Oktober 2011 Vorsitzender des slowakischen Parlaments war. Weede sprach zum Thema „Wahrheit und Gewißheit. Klimaschutz und Politik“. Suliks Vortrag lautete „Der Weg der Slowakei zur Knechtschaft – Kompetenzverlust durch EFSF und ESM“. Die „Hayek-Vorlesung“ hielt der Professor für Politik und Politische Ökonomie Mark Pennington vom King’s College London zum Thema „A Hayekian View of Rawlsian Justice“. Tischreden hielten der Volkswirt Jan Pfannkuche, Universität Potsdam, und die CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld. Den „Nachwuchs-Workshop“ bestritten mit Vorträgen Clemens Schneider, Stefan Kolev, Philipp Bagus und Gérard Bökenkamp.

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