© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

Experte für Gefühlswelten
Deutschunterricht: Ein Heft zu Alexander Kluge
Ulrich Sauer

Viele feuilletonistische Gratulanten, die im Februar dieses Jahres den Schriftsteller, Kulturtheoretiker und Filmemacher Alexander Kluge zum 80. Geburtstag würdigten (JF 7/12), erhoben ihn in den Rang eines modernen Klassikers. Und Klassiker gehören bekanntlich in die Schule. Dieser alten Devise folgend, nach der Generationen von Pennälern mit Homer und Horaz, mit Lessing, Goethe, Schiller traktiert worden sind, verfuhr die Fachzeitschrift Der Deutschunterricht, als sie beschloß, ein ganzes Heft mit Beiträgen über den „enzyklopädischen Schreiber kleiner Geschichten“ zu füllen und den „Experten auch für die Gefühlswelten des 20. Jahrhunderts“ damit „endlich als Schulautor stark zu machen“.

Kluge, promovierter Jurist, debütierte 1962 mit dem Erzählband „Lebensläufe“, der bereits alle Elemente seines poetischen Zugriffs auf die Realität enthält. Vielfach ist diese Darstellungsmethode, die Collage von Faktischem und Fingiertem, der „Machart“ von Walter Kempowskis „Deutscher Chronik“ und dessen „Echolot“ verwandt, als deren Vorläufer vor allem „Schlachtbeschreibung“ (1964) gilt, Kluges multiperspektivische Vergegenwärtigung des Untergangs der 6. Armee in Stalingrad.

Seit diesen Anfängen vor fünfzig Jahren hat der Büchner-Preisträger ein mittlerweile schwer überschaubares Œuvre geschaffen, in das inzwischen viel Routiniertes und Langweilendes eingeflossen ist, das nicht mehr auf der Höhe von tatsächlich klassischen Montagen wie „Der Luftangriff auf Halberstadt am 8. April 1945“ (1977) und der „Chronik der Gefühle“ (2000) steht. Es stellen sich Ermüdungseffekte ein, weil der Aufklärer den Poeten zu erdrücken droht.

Denn hierin, in der moralischen Absicht, unterscheidet sich Kluge von Kempowski. Diese pädagogische Substanz seines Werkes ist den Didaktikern von Der Deutschunterricht aber gerade die beste Empfehlung. Schreibe Kluge doch eine „Aufklärungsliteratur, die nicht belehrt, sondern das selbständige Denken des Lesers fordert“. Um dieses kantische Selbstdenkertum zu trainieren, sollte man frühzeitig in der Schule üben. Zumal es in der unübersichtlichen Ära der Globalisierung „lebensnotwendig“ sei, sich in pluralistischen Wirklichkeiten orientieren zu können.

Der Deutschunterricht, Heft 3/2012. Die Zeitschrift erscheint sechsmal jährlich im Friedrich Verlag, Im Brande 17, 30926 Seelze, Telefon: 05 11 / 4 00 04-0. Das Einzelheft kostet 17,90 Euro.

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