© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

Das Kind als Parasit
Werbeagentur Publicis: Wie eine französische Feministin Ideologie mit privater Gewinnmaximierung verbindet
Birgit Kelle

Wenn feministischer Eifer und Millionengewinne aufeinandertreffen, wird es unappetitlich. Die französische Vorzeigefeministin Elisabeth Badinter lebt auf hohem Niveau. Nein, nicht durch ihre Publikationen, sondern durch ihr Haupteinkommen aus der Werbeagentur ihres Vaters.

Dieser war Gründer der französischen Werbeagentur Publicis. Badinter ist Verwaltungsratsvorsitzende und Großaktionärin der Agentur, die jährlich mit 48.000 Mitarbeitern weltweit einen Umsatz von über 4,5 Milliarden und einen Gewinn von 526 Millionen einfährt.

Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Schwierig wird es, wenn sich ihre feministischen Forderungen mit ihren Kundenaufträgen decken und sie für das, was sie inhaltlich als Frauenpolitik fordert, auf der anderen Seite von der Industrie bezahlt wird.

Elisabeth Badinter ist gegen das Stillen von Kindern. In ihrem letzten Buch „Der Konflikt. Die Frau und die Mutter“ wettert sie ein ganzes Kapitel lang gegen das Stillen als angeblich gesellschaftliche Fessel für Mütter.

Die internationale Stillgesellschaft „La Leche Liga“ wird bei ihr zu einer krakenhaften Organisation, die Mütter indoktriniert, um sie weiterhin an den Herd zu fesseln. Sie spricht von einer Versklavung der Frauen, die angeblich durch öffentlichen Druck gezwungen werden, quasi als Milchkühe herzuhalten.

Nun, die Diskussion über das Stillen ist – leider – nach wie vor ein brisantes Thema, wie kürzlich die aufsehenerregende Titelgeschichte des Time Magazine zeigte. Unter dem Titel: „Are you Mom enough?“ (dt. „Bist du Mutter genug?“) lichtete die Redaktion dort eine Mutter ab, die ihren fast vierjährigen Sohn in einer Uniformhose stillt. Die Diskussion wird in den USA seither hitzig geführt. Deutsche Medien haben es ebenfalls aufgegriffen: Wie lange und soll man überhaupt ein Kind stillen? Wie viel Mütterlichkeit darf sein, ab wann schadet es den Kindern gar? Eine öffentliche Debatte über ein recht privates Thema.

Für Badinter ist die Sache klar. So kritisiert sie all die Ratgeberliteratur, die in ihren Augen nur ein „naives Klischee“ über das Muttersein verbreite „ohne mit einem Wort die Kehrseite der Medaille zu erwähnen: die verlorene Freiheit und ein gefräßiges, despotisches Baby, das seine Mutter verschlingt.“ Die stillende Mutter also als naives Klischee, das Kind auf einer Stufe mit einem Parasiten.

Natürlich vergißt sie in ihrem Buch auch nicht, darauf hinzuweisen, daß die Ersatznahrung für Babys in den vergangenen Jahren massiv an Qualität gewonnen habe – und fast könnte man glauben, es ginge ihr tatsächlich um die Freiheit der Mütter. Doch ihre Worte könnten auch aus einem Werbeflyer des Babynahrungsherstellers Nestlé stammen, der weltweit Milliarden umsetzt mit seinen Produkten. Wie praktisch, daß Badinters Agentur schon seit zig Jahren den Werbeetat von Nestlé und zwei weiteren Babynahrungsproduzenten in der Hand hält und damit recht gut verdient.

Würden wir einen Lobbyisten der Fleischindustrie für voll nehmen, wenn er vegetarische Ernährung geißelt? Es kratzt an der Glaubwürdigkeit, wenn jemand sich für seine Meinung bezahlen läßt. Und so bekommt es ebenfalls einen schalen Beigeschmack, wenn Badinter in ihren feministischen Texten künstliche Nahrung für Kinder propagiert.

In ihrem Buch findet sich kein Hinweis auf ihre Geschäftsbeziehungen und ihre, sagen wir mal, Befangenheit in dem Thema. Wie praktisch, daß sie ihren Kunden Nestlé nicht nur durch Werbeanzeigen, sondern auch durch den Feminismus bei seinen Geschäften unterstützen kann.

Ein weiteres Argument Badinters gegen das Stillen ist übrigens, daß es Mütter vom Arbeiten abhält. Daß sie nicht früh ins Erwerbsleben zurückkehren können wegen der lästigen Kleinen. Und auch hier vermischen sich Agenturinteressen mit feministischen Forderungen. Denn der Geschäftsführer ihres Unternehmens, Maurice Lévy, ist zusätzlich Präsident der einflußreichen Arbeitgebervereinigung Afep. Diese hat wirklich überhaupt kein Interesse daran, daß ihnen die Mütter im Arbeitsprozeß durch langwieriges Stillen wegfallen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Hinzu kommt, daß Nestlé immer wieder öffentlich in der Kritik steht wegen massiver Werbung für Babynahrung gerade in Ländern der Dritten Welt. Bereits 1974 kam es zu einem handfesten Skandal, als internationale Entwicklungshilfegruppen die Broschüre „Nestlé tötet Babys“ veröffentlichten. Afrikanische Mütter, die durch irreführende Werbung des Unternehmens vom Stillen auf Flaschennahrung umgestellt hatten, riskierten tausendfach das Leben ihrer Babys. Das Milchpulver konnte in den mangelhaften hygienischen Bedingungen nicht richtig zubereitet werden, hohe Energiekosten vereitelten die Sterilisation der Flaschen, arme Mütter versuchten zu sparen, indem sie das Milchpulver verdünnten. In der Folge erkrankten unzählige Babys an Durchfall und anderen bakteriellen Infekten, andere litten an Unterernährung, viele starben an den Folgen.

Das Ausmaß war so groß, daß sich die WHO im Jahr 1981 veranlaßt sah, die internationale Vermarktung von Babynahrung durch starke Restriktionen zu regeln, die den Anbietern von Babynahrung Marketingmaßnahmen und irreführende Werbung verbietet. Selbstlose Frauenpolitik sieht anders aus, Frau Badinter.

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