© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

Jede ideologische Blindheit ist ihm zuwider
Zum 85. Geburtstag des Politikwissenschaftlers Klaus Hornung
Harald Seubert

Die heimatliche Landschaft um Crailsheim und Preußen als geistige Lebensform, dies sind die Pole, zwischen denen Klaus Hornungs Leben angesiedelt ist. Zum schwäbischen Erbe gehört der Pietismus, als eine tiefe christliche Orientierung, die sich selbst in Gottes Händen, aber auch unter seinem Gericht weiß, davon aber nicht viel Aufhebens macht. Man muß mit Hornung in der Landschaft seiner Jugend um die Langenburg und im Jagstttal unterwegs sein, um seine Prägungen und seine Humanität besser zu verstehen.

Seine frühen Jahre sind exemplarisch für seine Generation in den Strudel der Tragödie Deutschlands und der europäischen Katastrophe gerissen worden. Das Abitur kann der 1927 in Heilbronn geborene Hornung nicht mehr abschließen, der Stellungsbefehl erreicht ihn im Dezember 1944. Die Front erlebt er in Thüringen, im Sudetenland kommt er in amerikanische Gefangenschaft. 1946 holt er das Abitur nach; 1947 beginnt er sein Studium der Geschichte, Politischen Wissenschaft, Germanistik und Anglistik in München; später wechselt er nach Tübingen.

Jahrzehntelang war Hornung als akademischer Lehrer tätig. Die Skepsis gegenüber der jüngeren Generation machte er sich, trotz vieler menschlicher Enttäuschungen, niemals zu eigen. Seit Anfang der sechziger Jahre lehrte er an der pädagogischen Hochschule in Reutlingen, die letzten fünf Jahre seiner aktiven Professorenlaufbahn an der Universität Hohenheim. Gastprofessuren führen ihn nach Südafrika und nach Kairo; vor diesem Hintergrund wird er schon Anfang der achtziger Jahre zu einem präzisen Kenner der Nahostpolitik und des politisierten Islam. Wenn er auf die Gefährdungen des „historischen Analphabetismus“ (A. Heuss) hinweist, dann immer mit dem Blick auf Enkel und Urenkel. Geschichte und Überlieferung haben bei allen Katastrophen, die sie mit sich gebracht haben, orientierende und integrierende Kraft.

In den zwei Jahren, die er als Präsident dem Studienzentrum Weikersheim vorstand, hat Hornung diesen pädagogischen Impuls noch einmal mit jugendlichem Elan realisiert: unvergeßlich ist die Hingabe, mit der er bis in die Nächte hinein in Gesprächen formend wirkte; und dies keineswegs nur gegenüber den deutschen Kommilitonen, sondern auch gegenüber den Gästen aus Ost- und Mitteleuropa. Hornung verfügt nicht nur über die Kraft von Rede und Schrift, sondern auch über die Glaubwürdigkeit des Habitus. Ein junger Teilnehmer der Weikersheimer Studientage traf das Wesentliche, als er ihm die selbstverständliche Autorität der Würde attestierte. Hornung ist dabei stets ein aufmerksamer Zuhörer, fragend, lernbereit bis in sein Alter geblieben. Allein durch seinen Habitus dementiert er die lächerlichen Phrasen der Emanzipationsideologen.

Hornung kann auf ein beachtliches Lebenswerk zurückschauen – und noch immer ist er forschend, schreibend und publizierend tätig. Drei Akzente treten im Rückblick besonders ans Licht: Zum einen der Zusammenhang von Staat, Demokratie und Armee. Mit einer bis heute grundlegenden Studie über „Staat und Armee“ hat er sich Anfang der siebziger Jahre habilitiert. Ursprünglich sollte der allzu früh verstorbene Waldemar Besson die Verantwortung übernehmen, nach seinem plötzlichen Tod vertraten Hennis und Oberndörfer die Studie vor der Fakultät. Es war seinerzeit keineswegs ohne Risiko, die maßgebliche Qualifikationsschrift einem militärischen Thema zu widmen.

Hornung bezog den Impuls zu seinem Entschluß keineswegs aus einer deutschen Binnenperspektive. Er wollte vielmehr das Äquivalent zu Huntingtons Standardwerk: „The Soldier and the State“ schreiben. Die Lehre der preußischen Armeereform ist, vermittelt über den Widerstand des 20. Juli, in Hornungs Sicht ein wesentliches Erbe an die Bundeswehr. Seine Lebensfreundschaft mit Brigadegeneral Heinz Karst hielt ihn immer in enger Verbindung mit der demokratischen Armee. Hornung weiß, daß Armeen nur dann in Form sein können, „wenn sie die Struktur des Ganzen widerspiegelt und wenn sie von dem gleichen Geist beseelt sind, der das Ganze trägt.“

In diesen thematischen Zusammenhang gehört auch sein brillantes Buch über Scharnhorst. Immer wieder kam er, wovon das glänzende Scharnhorst-Buch auch einen Eindruck gibt, auf Preußen zurück, namentlich die preußische Reformära, mit Stein, Hardenberg – und eben Scharnhorst. Von hier her erschloß er sich die Welt des deutschen Idealismus. Der Zusammenhang von Preußen und Deutschland ist ein Leitthema seines Nachdenkens. Dabei schlägt das Erbe seines wohl prägendsten akademischen Lehrers durch: des großen Historikers Preußens und des deutschen Widerstandes, Hans Rothfels. In fundierten Studien hat Hornung ungerechtfertigten Desavouierungen des einstigen Mentors in den letzten Jahren begründet widersprochen.

Ein Zeichen dafür, daß Hornungs Fähigkeit zur Freundschaft, die jeder hochschätzen wird, der sie erfahren durfte, mit dem Tod nicht endet. Er weiß, daß Geschichte sich den Ideologien entzieht, daß sie sich nur im Wechselverhältnis der großen Mächte erschließt. Jede ideologische Blindheit ist ihm deshalb zu Recht zuwider. Neben Rothfels hatte er andere große Gelehrte zu akademischen Lehrern: den alten Eduard Spranger, Gerhard Krüger in der Philosophie, Paul Kluckhohn, er hört den Althistoriker Joseph Vogt und den legendären Rudolf Stadelmann. Hans Rothfels ist der Betreuer und Erstgutachter der Promotionsschrift, das Zweitgutachten übernimmt Theodor Eschenburg, dessen Umtriebigkeit aber wird ihm keineswegs zum Vorbild.

Der dritte und komplexeste Schwerpunkt von Hornungs Lebenswerk kreist um das Erbe des totalitären Zeitalters. Sein Opus magnum „Das totalitäre Zeitalter. Bilanz des zwanzigsten Jahrhunderts“ (1993) muß den Vergleich mit den ganz großen Würfen der Historiographie der jüngsten Vergangenheit, Nolte oder Furet, nicht scheuen. Hornung erkennt in der Französischen Revolution die Ur-szene; von ihr gehe eine Freiheitslinie und eine Linie der totalitären Destruktion aus. Viele frühere Arbeiten hatten auf dieses Hauptwerk vorbereitet. Über die spezifische Faszination des Marxismus und seinen Weg in den Totalitarismus hat er 1978 ein lesenswertes Buch vorgelegt: „Der faszinierende Irrtum. Karl Marx und die Folgen“ – es gehört zu den wenigen profilierten Auseinandersetzungen über die geistigen Hintergründe der Kulturrevolution von 1968 und ihrer Folgen im Terror der RAF.

Schon 1967 hat Hornung das Lebensthema des Totalitarismus aufgegriffen: in einer inspirierten Studie über „Totalitäre Herrschaft im 20. Jahrhundert“. Burke, Tocqueville, aber auch die antike politische Philosophie sind seine Klassiker. Man würde Hornung verkennen, wenn man nicht die zentrale Bedeutung sähe, die die europäische Überlieferung, griechisch, römisch, christlich, die insbesondere Italien für ihn hat: von hier her und weil ihm Europa nicht ökonomische Phrase ist, konnte er hochkompetent den Plänen zu einem EU-Beitritt der Türkei widersprechen. Die totalitäre Bedrohung hat Hornung nicht nur theoretisch und als Historiker, sondern auch als politischer Kommentator ins Visier genommen. Besonders nachdrücklich waren die Warnungen vor einem „antifaschistischen Ideologiestaat“ seit 2001 und ein jedweden freien Geist unterdrückenden „Political Correctness“, die den unter Verdacht stellt, der die üblichen Tabus nicht unbefragt hinnimmt. Leser der JUNGEN FREIHEIT schätzen Hornung als geistreichen, prägnant formulierenden Kommentator: Seine Beiträge lesen sich wie eine fortlaufende Geschichte der Gegenwart.

Von Anfeindungen hat er sich nicht abschrecken lassen, und im Kern haben sie ihm auch nichts anhaben können. Er lebt im Kreis einer wunderbaren Familie, gehalten von seinem christlichen Glauben. In den letzten Jahren war die Biographie des Generals Groener sein Thema. Die einschlägige Monographie erschien 2008 unter dem prägnanten Titel: „Alternativen zu Hitler“. Nach der großen Synthese der Geschichte des 20. Jahrhunderts ist es noch einmal fesselnde historiographische Detailarbeit, mit dem großen philosophischen Interesse, den schleichenden Sturz in Deutschlands Tragödie, zu dem Mann aus dem Abgrund, wie Hornung Hitler nennt, erkennbar zu machen. Sein geradezu existentieller Abscheu gegenüber nazistischen, auch faschistischen Tendenzen aller Art steht demgegenüber der sozialistischen Spielart des Totalitären in nichts nach.

Klaus Hornung ist ein christlicher Konservativer und deutscher Patriot, der um die Unhintergehbarkeit der Nation weiß. Deutsche Politik sieht er, wie ein Titel von ihm heißt, „in der Verantwortung vor der Geschichte“. Er, der in seiner politischen Orientierung von dem ethischen und geistigen Aufbruch in der Nachkriegszeit geprägt ist, und bis in die letzten Jahre auch von dessen Hoffnungen, hat immer wieder auf die Bedeutung Deutschlands für die Weltpolitik hingewiesen. Humboldts Formulierungen aus der Verfassungsdenkschrift von 1813 bleiben aktuell: „Deutschland muß frei und stark sein, um die wohltätige Stellung, die es in der Mitte der europäischen Nationen einnimmt, behaupten zu können.“

Als einer der wichtigen konservativen Intellektuellen hat sich Klaus Hornung stets deutlich gegen eine Anknüpfung an die Konservative Revolution der zwanziger Jahre gewandt. Für den christlichen liberalen Konservativen war der okkasionalistische Weg, wie ihn etwa Armin Mohler beschritt, nicht gangbar. Der moderne Konservativismus und nicht zuletzt die junge Generation brauchen einen Geist wie ihn weiterhin: So ist ihm in höchster Wertschätzung zu danken für ein Lebenswerk, das unsere geistigen Grundlagen tradiert hat, auch gegen den Zeitgeist. Der Wahlspruch des Hauses Hohenzollern, der wie ein Motiv über seinem bisherigen Leben steht, soll ihn weiter tragen: „Nihil sine deo!“

 

Prof. Dr. Harald Seubert ist Ordinarius für Kulturphilosophie und Ideengeschichte des deutschen Sprachraums an der Universität Posen. Seit Juni 2011 ist er Vorsitzender der konservativen Denkfabrik „Studienzentrum Weikersheim“.

www.studienzentrum-weikersheim.de

Foto: Klaus Hornung: „Deutschland muß frei und stark sein, um die wohltätige Stellung, die es in der Mitte der europäischen Nationen einnimmt, behaupten zu können.“

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