© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

„Ohne uns hätten wir schon Eurobonds“
Am 10. Juli ist die mündliche Anhörung der ESM-Klagen. Entweder der Vertrag scheitert juristisch oder wirtschaftlich
Moritz Schwarz

Herr Professor Hankel, seit zwanzig Jahren wird immer wieder gegen EU-Verträge geklagt – ohne durchschlagenden Erfolg.

Hankel: Einspruch! Erstens: Unsere früheren Klagen – übrigens die allerersten in dieser Sache – haben dem Bundesverfassungsgericht zu neuen Einsichten verholfen. Es konnte tiefer in die Materie eindringen. Auf dieser Grundlage können wir jetzt aufbauen. IWF-Chefin Christine Lagarde – eine routinierte Rechtsbrecherin – soll in einer der letzten Sitzungen gestöhnt haben: „Wenn noch mal das Wort Bundesverfassungsgericht fällt, verlasse ich den Raum!“ Ohne unsere Klagen würde Deutschland noch weit tiefer im Schlamassel stecken.

Bitte ein konkretes Beispiel?

Hankel: Etwa hätten wir mit Sicherheit schon Eurobonds. Mit der zweiten Klage gegen die Griechenland-Hilfe haben wir einen der Öffentlichkeit weitgehend verschwiegenen großen Teilerfolg errungen: Karlsruhe hat der Politik untersagt, in Sachen Euro-Rettung pauschale Zusagen zu machen. Jede Zusage muß durch das Parlament bewilligt werden. Und es darf keinen Automatismus in der Übertragung deutscher Staatseinnahmen an das Ausland geben, also keine Eurobonds.

Allerdings selbst Wolfgang Bosbach, der am Freitag im Bundestag als einer von wenigen CDU-Abgeordneten gegen den ESM gestimmt hat, glaubt nicht an einen Erfolg der Klagen: Die Richter wüßten, welche politischen Auswirkungen ein striktes Nein hätte, daher rechne er damit, „daß sie allenfalls partiell Kritik üben werden“.

Hankel: Unverständlich, warum er sein Nein zu den Brüsseler Beschlüssen so entwertet. Es besteht kein Grund, Panikmachern und Verkündern von Horror-Szenarien auf den Leim zu kriechen. Das Ende der Euro-Rettung – in Wahrheit läuft sie doch nur auf eine Konkursverschleppung für überschuldete Banken hinaus – kostet in jedem Fall weniger als seine Endlos-Fortsetzung. Das sagt einem der gesunde Menschenverstand.

Außer Ihnen klagen auch Peter Gauweiler, Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin und die Linkspartei. Warum tun Sie sich nicht alle zusammen?

Hankel: Das frage ich mich auch. Aber Politikern geht es wohl mehr um Selbstdarstellung, Profilierung und Karriere, der Wähler soll beeindruckt werden. Wir haben andere Motive. Uns geht es ums Gemeinwohl und die Zukunft Deutschlands und unserer Mitbürger. Wir fühlen uns darin um so mehr bestätigt, weil sich auch die Freien Wähler, die sich für 2013 auf Bundesebene zur Wahl stellen, unserer Klage angeschlossen haben. Sie vertreten die Mitte unserer Gesellschaft.

Selbst wenn Karlsruhe ihn nicht stoppt, wird der ESM scheitern, sagen Sie voraus.

Hankel: Ja, weil weder Politik noch Rechtsentscheide eherne ökonomische Gesetze aushebeln können.

Und die wären?

Hankel: Erstens, das „Greshamsche Gesetz“, das der Schatzkanzler von Queen Elisabeth I. vor 500 Jahren so formulierte: „Das schlechte Geld vertreibt das gute“, nämlich sowohl aus den Sparstrümpfen der Menschen wie aus den Grenzen des Landes. Genau das geschieht jetzt. Die Menschen fliehen mit ihren Ersparnissen aus dem schlechten Euro: in Gold, Immobilien, fremde Währungen, letztlich jedoch in „totes Kapital“. Europa verliert das Kapital, das es für seinen Fortschritt, seine Arbeitsplätze, seine Jugend dringender braucht denn je. Gegen diese verhängnisvolle Flucht ins tote Kapital ist der ESM machtlos. Und zweitens: Der ESM, ein wahrer Leviathan, was Größe und Gefräßigkeit betrifft, er läßt am Kapitalmarkt wenig übrig, was dort noch für andere wächst.

Inwiefern?

Hankel: Allein durch seine Dimensionen: Er ist mit seiner Kapitalausstattung 140mal größer als die EZB, siebzigmal größer als die Bundesbank und über fünfzigmal größer als Europas größte Privatbank, die Deutsche Bank. Aber diese 700 Milliarden Stammkapital muß er sich erst einmal beschaffen. Und wie und wo? Zu zwanzig Prozent aus den öffentlichen Haushalten der Euroländer, zu achtzig Prozent am Kapitalmarkt. Zusammen mit seinem geplanten Ausleihvolumen von 500 Milliarden Euro sind das 1,2 Billionen Euro. Damit ist erstens die feierlich beschworene Staatsschuldengrenze in Frage gestellt, die für Deutschland ab 2016 greifen soll. Und zweitens die Ergiebigkeit des europäischen Kapitalmarktes für seine traditionellen Nutzer: Unternehmen, Staaten und Kommunen. Denn wenn der ESM dort 620 Milliarden Euro abschöpft, bleibt für die anderen wenig übrig. Der EU-Leviathan frißt diese Märkte leer. Sie werden zu Geldlieferanten der EU, Abteilung Euro-Zone. Deutschland ist an diesem Kahlfraß mit 190 Milliarden Euro beteiligt: fast drei Vierteln seines Jahressteueraufkommens; zwanzig Milliarden Euro belasten die Haushaltskasse direkt und bar; der Rest kommt über Staatsgarantien, die der Geldbeschaffung dienen. Aber es könnte noch weit schlimmer kommen, nämlich dann, wenn immer mehr Einzahler ausfallen.

Wie schlimm?

Hankel: Nicht auszurechnen! Zur Zeit sind es „nur“ die Mittelmeerstaaten plus Irland. Aber Belgien und Frankreich könnten dazukommen. Das wären dann sieben Euroländer von 17 mit einer Wirtschaftsleistung von über fünfzig Prozent der Euro-Zone. Deutschlands Euro-Rettungs-Hypotheken könnten sich verdoppeln bis verdreifachen – bis an den Rand unserer eigenen Zahlungsfähigkeit. In jedem Fall verlöre Deutschland sein bislang unangefochtenes Erste-Klasse-Rating an den Finanzmärkten.

Warum hat der ESM bei all dem dann ein Volumen von „nur“ 700 Milliarden?

Hankel: Jeder Leviathan untertreibt seine Gefräßigkeit, jeder Wolf frißt Kreide. Nur so gelangen sie ans Ziel. Aber eine „Auflösung der Bundesrepublik wie ein Stück Zucker im Glas Tee“, vor der Karl Schiller einst seine Genossen warnte, ist auch auf dem Umweg über ESM, Fiskalpakt und Bankenunion nicht zu machen.

Die Oldenburger „Nordwest-Zeitung“ prophezeit mit Blick auf den ESM, die Deutschen würden sich „eines Tages verwundert fragen, was denn aus ihren Rentenansprüchen und Sozialkassen geworden ist“.

Hankel: Um das zu verhindern, klagen wir in Karlsruhe.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel Der Wirtschaftswissenschaftler (83) lehrte in Frankfurt, Berlin, Washington und Harvard.

 

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