© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Mark Greif. Der US-Modephilosoph wird auch in Deutschland immer bekannter
Herr der Hipster
Felix Dirsch

Rousseau, Rap, Realityfernsehen und die Zukunft der Demokratie: ein Strauß bunter Gegenwartsdiagnosen vom kommenden Großmeister der Popkritik.“ So charakterisierte die Frankfurter Rundschau unlängst die vielfältigen Interessen des amerikanischen Jung- und Modephilosophen Mark Greif. Bringt man die Veröffentlichungen des 1975 geborenen Literaturwissenschaftlers auf den Punkt, so bestehen diese aus einer gelungenen Verbindung von Alltagsphänomenologie, Ideologiekritik und scharfsinnigen Analysen. Noch beschränkt sich seine Popularität weitgehend auf die USA, wenngleich der Stern des 37jährigen nach vielbejubelten „Occupy“-Auftritten in Deutschland und nach der Übersetzung einiger aussagekräftiger Schriften bald auch hierzulande aufgehen dürfte. Insbesondere als Essayist erregt der Mitbegründer des New Yorker Literatur- und Kulturmagazins n+1 großes Aufsehen.

Die Aufmerksamkeit, die Greif in den USA auf sich zieht, hängt nicht zuletzt mit der Modefigur des „Hipsters“ zusammen. Über diese Kultgestalt veröffentlichte der an der New Yorker Eugene Lang-Hochschule for Liberal Arts Lehrende mit Tobias Rapp, Thomas Meinecke und anderen eine „transatlantische Diskussion“. Sehr vereinfacht wird als „Hipster“ jemand bezeichnet, der über alles Moderne auf dem laufenden ist. Er exemplifiziert den Lebensstil der Mittelschichten, insbesondere der weißen, wenn dieser auf Vergnügungen und Komfort ausgerichtet ist.

Wo der französische Schriftsteller Roland Barthes in den fünfziger Jahren die „Ikonographie Abbé Pierres“, das „Gesicht der Garbo“ und vieles mehr als „Mythen des Alltags“ ausmachte, lebt sein heutiger Erbe Greif in einer Welt, in der alles beliebig geworden ist. Die Zukunft unserer Gesellschaft, so sein pessimistisches Fazit, liege irgendwo zwischen Ratten und Schimpansen.

In Deutschland veröffentlichte Greif bisher vier Bände bei Suhrkamp, darunter „Hipster“, „Occupy. Eine Dokumentation“ und „Bluescreen. Ein Argument vor sechs Hintergründen“. Der Mix an Themen über unsere durch und durch ästhetisierte Lebenswelt besticht. Die Welt des „Reality-TV“ wird ebenso reflektiert wie die „Sexkinder“, deren „sexueller Wert rückwärts auf den Status des Kindes verweist“, man denke etwa an Britney Spears. Natürlich werden auch Rappen, Hip-Hop oder der bisher beliebteste YouTube-Clip „Evolution of Dance“ untersucht. Die Reizerfahrungen unserer Lebenswelt, so Greif, sind so intensiv, daß sie von vielen Zeitgenossen nicht ohne „anästhetische Ideologien“ ausgehalten werden können. Drogen- und Alkoholkonsum seien nur zwei Ausdrucksformen verbreiteter Verweigerungshaltungen.

Greif gibt wichtige Einblicke in die Aufgaben, die Philosophie und Kultursoziologie in der „Erlebnisgesellschaft“ (Gerhard Schulze) zu erfüllen haben. Man darf gespannt sein auf Debatten, die er künftig auslösen wird.

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