© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Aiwangers Widerstand
Henning Hoffgaard

Freie Wähler? Freie Wähler! Bevor es losgeht, müssen sich einige Hauptstadtjournalisten erst einmal informieren, über was für eine Veranstaltung sie eigentlich berichten sollen. „Widerstand gegen den ESM“, nuschelt ein besser Informierter seinen Kollegen zu. Das Ziel des Parteichefs der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, ist damit bestens zusammengefaßt. Etwa 50 Reporter, Kameraleute und Fotografen drängen sich in einem kleinen Raum im Haus der Bundespressekonferenz. In Sichtweite von Bundestag und Kanzleramt fühlt Aiwanger sich merklich wohl. Ja, er unterstütze die Verfassungsbeschwerde von Karl Albrecht Schachtschneider, Wilhelm Hankel, Bruno Bandulet und Wilhelm Nölling gegen den ESM und Fiskalpakt. Was derzeit stattfinde, sagt Aiwanger in einem urigen bayerischen Dialekt, sei schlicht ein „Putsch gegen das Grundgesetz“. Die Kameras klicken. Für die ganze Euro-Rettungspolitik gäbe es doch längst keine Mehrheit in der Bevölkerung mehr. Die Freien Wähler seien die einzige Kraft der „politischen Mitte“, die einen klaren Kurs gegen die Vergemeinschaftung von Schulden fahren würde.

Und wo er gerade schon bei Seefahrtsanspielungen ist, gibt er der Piratenpartei gleich auch noch eins mit. „Politik muß immer auch Realpolitik sein.“ Die Freien Wähler kämen aus den Kommunen, „von unten“, und seien deswegen wesentlich glaubwürdiger als dieser „Piratenspuk“. Der, gibt sich Aiwanger sicher, ist ohnehin bald vorbei. In die Fußstapfen der Aufsteigerpartei sollen dann die Freien Wähler treten. Die Alternativen, die Aiwanger zeichnet, sind klar. Entweder ein „Europa der Regionen“ oder ein „Europa der Großbanken und Zentralisten“. Neben ihm sitzen Hankel, Schachtschneider und der Adenauer-Enkel und Finanzexperte der Freien Wähler, Stephan Werhahn. Niemand von ihnen läßt einen Zweifel daran aufkommen, welche Möglichkeit die bessere ist. „Der Euro ist ein Unglück für Europa“, sagt Schachtschneider. Aiwanger lächelt. Das Bild paßt. Hier die Veteranen im Kampf gegen Euro, Euro-Rettung und ESM, dort der ambitionierte Parteichef. Mit seiner eurokritischen Politik versucht Aiwanger sich deutschlandweit zu profilieren und sich von den anderen Parteien abzusetzen. Dabei kämpft er nicht nur mit bundespolitischem Gegenwind, auch in den eigenen Reihen sind nicht alle mit diesem Vorgehen einverstanden.

An diesem Tag will er alle Querelen vergessen machen. Daran ändert auch ein ZDF-Reporter nichts, der darauf beharrt, daß die vorangegangenen Klagen von Hankel und Schachtschneider eigentlich nichts geändert hätten. Und überhaupt, es gehe doch gar nicht um die Abtretung von Souveränitätsrechten. Der Konter Schachtschneiders ist präzise. Daß Griechenland unter der Troika noch ein souveräner Staat sei, könne doch wohl kaum noch jemand glauben. Und falls die Klagen doch scheitern, meint Aiwanger, werde der politische Widerstand dennoch fortgesetzt. „Die Menschen fangen an, sich zu politisieren. Überall bilden sich Gesprächskreise.“ Wer diesen Leuten ein Wort geben will, ist keine Frage. Er selbst.

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