© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Als der Teufel die Gitarre stimmte
Und ewig lockt der Rock’n’Roll: Seit fünfzig Jahren behaupten sich die Rolling Stones in der Musikwelt
Silke Lührmann

Das englische Volk, von der periodisch kriselnden Koalitionsregierung auf Sparzwang getrimmt und durch regelmäßige Hiobsbotschaften und Horrorprognosen aus der Euro-Zone eingeschüchtert, läßt sich mit Brot und Spielen – Olympischen zumal – halbwegs bei Laune halten. Die britische Monarchie feiert sich und ihre Königin mit einem viertägigen Spektakel zu deren diamantenem Thronjubiläum. In den Feuilletons wird gestritten, wo denn nun die Wiege der längst nicht nur als Konsumgut, sondern als Kulturerbe vereinnahmten Punk-Musik gestanden habe – in London oder in New York?

Die Leveson-Kommission zur Neuordnung des britischen Pressekodex – benannt nach dem Richter Brian Leveson – fördert beinahe täglich neue unappetitliche Einzelheiten über die undemokratischen Verflechtungen zwischen Medien und Politik zutage – daß Premierminister David Cameron sich mit den Feinheiten der SMS-Etikette nicht auskennt und „laugh out loud“ schreibt, wenn er „lots of love“ meint, zählte dabei noch zu den harmloseren Offenbarungen, die der staunenden Öffentlichkeit zu Ohren kommen.

Ein anderer Jahrestag, den es in diesem verregneten Sommer ebenfalls zu begehen gäbe, droht über soviel Jubel und Trubel und sowenig Heiterkeit ins Hintertreffen zu geraten. Daß die Steine, die – so will es zumindest die Legende – durch eine Zufallsbegegnung zwischen zwei einstigen Grundschulfreunden auf dem Bahnhof einer südenglischen Provinzstadt im Jahr 1961 ins Rollen kamen, im Laufe der nächsten fünf Jahrzehnte den Status einer, fast möchte man höhnisch sagen: staatstragenden, Institution erringen würden, war seinerzeit freilich auch nicht unbedingt abzusehen.

Keith Richards war auf dem Weg zur Kunsthochschule, Mick Jagger zur ehrwürdigen London School of Economics, man kam ins Gespräch über die gemeinsame Begeisterung für eine exotische Musikrichtung aus den fernen USA – „unbedarfte picklige Siebzehnjährige aus Dartford, die davon träumten, Muddy Waters zu sein“, wie Richards später sagte.

Der Rest ist Rock‘n‘Roll-Geschichte: vom ersten Konzert im Londoner Marquee Club am 12. Juli 1962 unter dem, wie auch sonst, von einem Muddy-Waters-Titel abgekupferten Namen „The Rollin’ Stones“ bis zur laut Guinness-Buch der Rekorde kommerziell erfolgreichsten Tournee aller Zeiten im Jahr 2007; von den „Swinging Sixties“ bis zum Milliardengeschäft mit der Weltmarke Rolling Stones. In ihrer heutigen Besetzung – Jagger, Richards, Charlie Watts und Ronnie Wood – spielt die Band bereits seit 1976; der langjährige Baßgitarrist Bill Wyman ging 1993 in den Vorruhestand und tourt inzwischen in sehr viel kleinerem Rahmen mit seinen Rhythm Kings.

Dazwischen lagen Höhen und Tiefen, die ihrerseits längst in die kollektiven Mythen der Nachkriegs- und Wohlstandsgenerationen eingegangen sind: die Hit-Singles und Hit-Alben; die British Invasion, die Mitte der sechziger Jahre die US-Charts stürmte und die uramerikanische Tradition des Blues und R&B mit jugendfrischem Antlitz und kessen Haarschnitten für ein breites Publikum kaufkräftiger Teenager attraktiv machte; die Drogen und wilden Parties; die Polizeirazzien und Gerichtsprozesse; die zunehmend stürmischen Beziehungen zwischen den Bandmitgliedern; der Tod des gerade gefeuerten Gründungsmitglieds und Gitarristen Brian Jones, der am 3. Juli 1969 tot im eigenen Swimmingpool aufgefunden wurde; die Tötung eines Fans durch Mitglieder der Hell‘s Angels bei einem Konzert im kalifornischen Altamont; die Flucht ins südfranzösische „Exil“, das in Wahrheit eher ein Steuerasyl war; der Schädelbruch, den sich Keith Richards zuzog, als er 2006 auf Fidschi von einem Baum fiel.

Nicht zuletzt die Frauen, die – wie bei soviel Eroberungsdrang und rebellischem Gehabe kaum anders zu erwarten – auf der Strecke blieben. Marianne Faithfull und Anita Pallenberg kommen bestenfalls in den Fußnoten der offiziellen Chroniken vor; Bianca Jagger ist vor allem für ihre gescheiterte Ehe und erst an zweiter Stelle für ihren Menschenrechtsaktivismus bekannt, während Jerry Hall wenigstens der Ruhm zukommt, Mick Jagger um geschätzte 15 bis 25 Millionen Dollar ärmer gemacht zu haben, als sie sich 1999 von ihm trennte.

Das Böse-Buben-Image der Stones im Gegensatz zu den braven Beatles war wohl – ähnlich wie dreißig Jahre später die Rivalität zwischen Blur und Oasis um die popkulturelle Deutungshoheit in Tony Blairs „Cool Britannia“ – ursprünglich von den Medien und dem Management der Band inszeniert, entwickelte aber bald ein eher unerfreuliches Eigenleben, als zunächst die Boulevardpresse und dann auch die Ordnungshüter die frischgebackenen Megastars Anfang 1967 ins Visier zu nehmen begannen. Jagger, Richards und Jones mußten sich wegen Drogenbesitz vor Gericht verantworten und verloren nebenbei ihren Produzenten Andrew Oldham, der die Sperenzchen satt hatte. Das im Dezember 1967 erschienene Album „Their Satanic Majesties Request“ war das erste, das die Stones in Eigenregie produzierten – und zugleich ihr erster und letzter Ausflug in die psychedelischen Gefilde der Blumenkinder.

Allen Ablenkungen zum Trotz blieben sie über die Jahre und Jahrzehnte hinweg sowohl ihren frühen Einflüssen – Musikern wie Chuck Berry, Muddy Waters, Robert Johnson, Bo Diddley, Willie Dixon – als auch sich selber bemerkenswert treu. Nach den ersten Erfolgen mit Cover-Versionen von Blues- und R&B-Klassikern reüssieren die Stones seit 1965 mit Eigenkompositionen von Jagger und Richards, die das Genre aus der intimen Atmosphäre rauchiger Kneipen, Clubs und Kellerräume auf die Bühnen gigantischer Sportstadien katapultieren sollten.

Das Alleinstellungsmerkmal der Rolling Stones – so unverwechselbar wie Jaggers Stimme oder ihr leicht laszives Logo – sind nicht die internen Querelen und Reibereien, die Frauen- und Drogengeschichten, sondern der Sound: zügellos schmutziger Rhythm & Blues mit wuchtigen E-Gitarren, verbrämt als gefällige Popsongs für den Massenkonsum. Die Sympathie für den Teufel war stets mehr als nur eine Rockstar-Pose: jenen Teufel nämlich, dem Robert Johnson einst seine Seele verkauft haben soll und der ihm dafür die Gitarre stimmte und damit die Blues-Musik begründete.

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