© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

„Reif werden und rein bleiben“
Wanderer zwischen beiden Welten: Vor 125 Jahren wurde der Schriftsteller Walter Flex geboren
Ulrich Sauer

Oswald Spengler ausgenommen, hat der Münchner Verlag C. H. Beck, der heute mit seinen Haushistorikern Hans-Ulrich Wehler und Heinrich August Winkler voranstürmt auf dem „Weg nach Westen“, mit keinem anderen Autor mehr Geld verdient als mit dem von „Antideutschen“ gern so geschmähten „präfaschistischen Kriegsverherrlicher“ Walter Flex.

Allein die Gesamtauflage der für eine „Generation im Gleichschritt“ (Werner Klose) zum „Kultbuch“ gewordenen schmalen Kriegserzählung „Der Wanderer zwischen beiden Welten“ erreichte 1937, zum 50. Geburtstag ihres im Oktober 1917 auf der Insel Ösel gefallenen Verfassers, das 752. Tausend. Damit reiht sich Flex unter die zehn erfolgreichsten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts ein. Die Geschichte seines Ruhms endet jedoch jäh mit dem Schicksalsdatum 1945. Danach erscheinen keine Neuausgaben mehr und auch das rege akademische Interesse an dieser „reinsten Stimme der Kriegsbegeisterung“ (Norbert Langer, 1938) erlosch für lange Zeit.

Erst nach 1990 belebte es sich wieder, im Kontext volkspädagogisch konditionierter Nationalismusforschung, die mit den „Ideen von 1914“ zwangsläufig auch den Poeten neu entdeckte, der vom „Weltbrand“ die „Wiedergeburt des deutsches Geistes“ erhoffte. Überdies boten sich Vergleiche an mit dem älteren, nationalliberalen Patriotismus eines Felix Dahn oder mit der Kriegsliteratur Ernst Jüngers, so wie sie Hans Rudolf Wahl („Die Religion des deutschen Nationalismus“, 2002) und Lars Koch („Der Erste Weltkrieg als Medium der Gegenmoderne“, 2006) in ihren Dissertationen präsentierten.

Bis heute ist es bei diesen literarhistorischen Relektüren geblieben. Einem breiteren Lesepublikum ist ein Schriftsteller nicht mehr vermittelbar, der im Gemeinschaftserlebnis der Jugendbewegung, das sich im Schützengraben bewährte, sein soziales Ideal fand, das die wilhelminische Klassengesellschaft ersetzen sollte. Aber Verse wie „Wir sanken hin für Deutschlands Glanz./Blüh Deutschland uns als Totenkranz!“ stoßen einen auf „Überwindung des Nationalstaates“ fixierten Zeitgeist zutiefst ab, der Vaterland, Volk, Gemeinschaft, Opfer reflexartig mit „Nazi“ assoziiert.

Aber nicht nur aus dem Politischen erwachsen für Flex unüberwindliche Rezeptionshürden. Der Autor ist auch deshalb passé, weil das überschaubare, nur zwei Bände füllende Werk des 1912 in Erlangen promovierten Germanisten Walter Flex als typische Studienrats-Dichtung an seine Entstehungszeit gebunden bleibt. Schon die ersten lyrischen und dramatischen Versuche, während der Vorkriegsjahre als Erzieher der Enkel Bismarcks auf Schloß Varzin und in Friedrichsruh, bewegen sich epigonal im tradierten nachklassischen Formenkanon, aus dem sich zuletzt die hymnischen Deklamationen Emanuel Geibels bedienten, mit denen er die Reichsgründung von 1871 feierte.

Als Sohn eines Eisenacher Gymnasialprofessors, der Bismarck-Festspiele und Bismarck-Gedichte produzierte, hat Flex Geist und Ästhetik dieser Gründungsära früh verinnerlicht und gegen moderne Wirklichkeiten abgeschottet. Daraus resultiert dann der Rangunterschied zwischen dem literarischen „Kriegserlebnis“ seines „Wanderers“ von 1916 und den „Stahlgewittern“ Ernst Jüngers.

Werner Klose, 1987 tödlich verunglückter Fachmann für die „Lebensformen deutscher Jugend zwischen Wandervogel und Popgeneration“, hat Flex als lauteren Charakter gewürdigt, dessen Devise „Reif werden und rein bleiben“ einst so bekannt war wie die Verse „Wildgänse rauschen durch die Nacht…“ Aber zugleich sah Klose im Leutnant Flex, der mit gezogenem Säbel zu Pferde saß, als ihn eine russische Kugel traf, einen anachronistischen Repräsentanten des bürgerlichen Zeitalters, den „Jüngling des deutschen Idealismus im Stahlhelm des technischen Krieges“, die Leitfigur eines verhängnisvollen Widerspruchs, den seine Generation nicht erkannt habe.

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