© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Herbes Erbe
Neue Hopfenzüchtungen und die Rückkehr zum Qualitätsbier revolutionieren den Markt
Joachim Feyerabend

Pro Jahr trinken die Deutschen nur noch rund 107 Liter Bier, vor 20 Jahren waren es noch 35 Liter mehr. Neue Geschmacksrichtungen sollen den lahmenden Absatz des schäumenden Gerstensaftes ankurbeln. Der herbe Teutonentrunk kommt daher seit geraumer Zeit als süßlich-fruchtiges Biermischgetränk daher, schimpft sich „Green Lemon“, „Chilled Orange“ oder „Becks Lime“, das etwa zehn Prozent Limettensaft enthält. Warsteiner bietet unter anderem etwa „Premium Radler Grapefruit“ an und betont, daß es sich dabei um natürliche Zusätze handele und das Getränk auch frei von künstlichen Aromastoffen oder Süßungsmitteln sei. Jever punktet mit „Lime“ und „Friesland plus Sonne“.

Doch das alles ist erst ein Anfang zum geschmacklich variierten, trendigen Bier durch Züchtung neuer Hopfensorten. Führend auf diesem Gebiet ist das Hopfenforschungszentrum im oberbayerischen Hüll, das mit sogenannten „Flavor-Hops“ experimentiert. Der Name stammt aus den USA, aus denen der neue Trend zu neuen Geschmacksvarianten kommt. Sie sollen als Alternative zu den aufkommenden Mischgetränken dienen und so auch das althergebrachte Reinheitsgebot erfüllen.

Für seine Neuzüchtungen mit Geschmacksvarianten von Wassermelone bis zitrusfrüchteartig sorgt in Hüll die Gesellschaft für Hopfenforschung e.V., eine Vereinigung verschiedener Brauer und des Freistaats Bayern, die zum Beispiel auch einen niedrigwachsenden Hopfen (Zwerghopfen) für den Niedergerüstbau kreiert. Die hohen Stangen und Drahtverspannungen für die würzige Kletterpflanze aus der Familie der Hanfgewächse in den traditionellen Anbaugebieten etwa bei Tettnang am Bodensee, in der Hallertau bei Ingolstadt oder im mitteldeutsche Anbaugebiet Elbe-Saale wären dann passé. Möglich wurden die Kreationen in den Gewächshäusern von Hüll durch Kreuzungen mit amerikanischem Wildhopfen. Die Amerikaner wiederum profitierten von den deutschen Züchtungen, die beispielsweise mehr Schädlingsresistenz gegen Mehltau aufweisen.

Schon bei den ersten Ankündigungen über den Aromahopfen rannten den bayerischen Züchtern experimentierfreudige Brauereien die Tür ein. Sie suchen einen Ausweg aus der Bierkrise, die nicht nur auf die gesättigte Marktlage, den hohen Konkurrenzdruck und den demographischen Schwund der Biertrinkernation zurückzuführen ist. Der Verband Deutscher Hopfenpflanzer verzeichnet aktuell einen Rückgang der Anbauflächen um 86 auf 18.386 Hektar. Das hat auch etwas mit dem Siegeszug der Brauereikonzerne und dem Verschwinden kleiner, lokaler Brautradition zu tun.

Ein Bier gleiche dem anderen, unken die Kritiker. „Ihr braut immer das gleiche Bier – immer weniger Hopfen, immer weniger Aroma, immer weniger Malz, alle Biere schmecken gleich“, wirft Ken Brossman von der Sierra-Nevada-Brauerei den deutschen Brauern im ZDF mangelnde Innovationsfähigkeit vor. Er hat ein Pils gebraut, das bei einem internationalen Wettbewerb den Weltmeistertitel gewann. Sein Erfolgsrezept: individuelles Qualitätsbier statt industrielles Billigbier. Dazu gehört der Verzicht auf Färbemittel, Hopfenpellets, Schnellgärverfahren, die laut Lebensmittelchemiker Udo Pollmer in Großbrauereien Standard sind. Vielleicht ist das der Grund, warum sich in den USA regionale Brauereien vervierfachten, während in Deutschland die Zahl der Privatbrauereien von 670 auf 400 sank.

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