© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Wider den Wahnsinn
Appell: 172 Wirtschaftswissenschaftler protestieren gegen europäische Bankenunion
Michael von Prollius

Entscheidungen und Entwicklungen von historischer Tragweite, unter denen die Bevölkerung leiden wird, erfordern ungewöhnliche Taten. Zuweilen geht es nur noch darum, ein Zeichen zu setzen: Nicht alle machen mit, es gibt andersdenkende Menschen.

Der öffentliche Protest von 172 Wirtschaftsprofessoren aus deutschsprachigen Ländern gegen die Beschlüsse des jüngsten Eurogipfels ist ein solches Zeichen. Zwar wird noch darum gestritten, was eigentlich beschlossen wurde, im Grunde geht es jedoch um Sprachregelungen. Schließlich ist vernunftbegabten Beobachtern klar, daß die Weichen in Richtung Bankenunion und Vergemeinschaftung von Haftung und Schulden gestellt wurden. Allein der Aufbau einer dafür vorgesehenen zentralen Bankenaufsicht, die mehr als ein halbes Jahr benötigen wird, bringt ein wenig Aufschub mit sich.

Ihren allgemeinverständlichen Aufruf haben die Euro-Realisten folgerichtig an die Bevölkerung gerichtet; er endet mit dem Appell, die zuvor von ihnen geäußerten Sorgen den Abgeordneten im Wahlkreis vorzutragen. Die Wirtschaftswissenschaftler betrachten den auf dem Gipfel beschlossenen „Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge“. Das gilt um so mehr, als die Bankschulden fast das Dreifache der Staatsschulden betragen. Die Wirtschaftsprofessoren plädieren dafür, statt Steuerzahler, Sparer und Rentner nun die Gläubiger das Risiko tragen zu lassen. Sie weisen darauf hin, daß eine gemeinsame Bankenaufsicht weder eine beabsichtigte Begrenzung der Haftungssummen noch Mißbrauch verhindern kann.

Die Argumentation der Ökonomen fußt auf den erkannten systematischen Defiziten der bisher praktizierten „Rettungspolitik“: Die Krisenursachen – zu hohe Verschuldung, zuviel billiges Geld, Regulierungsversagen – werden vermehrt. Ohne Frage, die Schuldenkrise der Staaten und Banken besitzt ein existentielles Ausmaß. Deshalb propagiert die Politik eine Alternativlosigkeit von EU-Zentralismus und Euro-System. Aber sind die kontinuierlichen Verstöße gegen die Prinzipien der Marktwirtschaft, die Belohnung verfehlter Wirtschafts- und Unternehmenspolitik, ferner Fehlleitung von Kapital und eine überbordende Belastung Deutschlands alternativlos?

Die Euro-Realisten sind anderer Ansicht. Sie wissen, was den Deutschen allen neuerlichen Beteuerungen zum Trotz bevorsteht. Einen Bail-out für Griechenland sollte es ursprünglich nicht geben, auch kein europäisches Rettungspaket und keine Schuldenunion, keine Finanzhilfen ohne strikte Ausgabensenkungen für Griechenland und Spanien, und die Einhaltung der Maastricht-Kriterien sollte einen stabilen Euro garantieren.

Bereits im Juni 1992 wandten sich über 60 deutsche Ökonomieprofessoren anläßlich der Unterzeichnung des Maastricht-Vertrags in einem Manifest gegen die Europäische Währungsunion: „Die überhastete Einführung einer Europäischen Währungsunion wird Westeuropa starken ökonomischen Spannungen aussetzen, die in absehbarer Zeit zu einer politischen Zerreißprobe führen können und damit das Integrationsziel gefährden.“ 1998 protestierten sogar mehr als 160 von ihnen.

Wußten Sie, daß Deutschland seit der Wiedervereinigung bis 2008 für 45,1 Prozent aller Wohlfahrtstransfers in die Volkswirtschaften der Nettoempfänger aufgekommen ist? Wußten Sie, daß die sogenannten PIGS-Staaten von 1976 bis 2008 bereits 430,5 Milliarden Euro als Nettoleistungen erhalten haben und der deutsche Steuerzahler von der Wiedervereinigung bis 2008 mit 130 Milliarden Euro für 51,6 Prozent der EU-Nettoleistungen aufgekommen ist? Franz-Ulrich Willeke hat das in „Deutschland, Zahlmeister der EU“ herausgearbeitet. Nun soll Deutschland mit einer offiziellen Schuldenquote von über 80 Prozent und einer staatlichen Gesamtverschuldung von 5,7 Billionen Euro (Nachhaltigkeitslücke eingeschlossen) systemrelevante Banken und Staaten maßgeblich finanzieren.

Gute Wirtschaftspolitik unterscheidet sich von schlechter durch zwei Merkmale: Sie ist langfristig ausgerichtet und begünstigt nicht einzelne Gruppen. Die beschlossene Bankenunion erfüllt diese Kriterien nicht. Überschuldung ist nicht durch Umverteilung lösbar, die systemischen Risiken der Banken im Euro verschwinden nicht durch Heben auf eine übergeordnete Ebene. Eine Regulierung auf europäischer Ebene kann der Regulierung freier Märkte nicht das Wasser reichen. Zugleich liegt ein mit Marktwirtschaft und Recht vereinbares Konzept für eine Abwicklung des Bankensystems vor (Tofall-Schäffler-Entwurf).

Politik ist geprägt durch Irrationalität – das ist nicht polemisch gemeint, sondern akademisch gut begründet. Ein wesentlicher Grund liegt in der Irrationalität der Wähler, die Politiker ermuntern, den Pfad der Überschuldung zu beschreiten. Schon bald wird die Rechnung präsentiert in Form von höheren Steuern und Zwangsabgaben. Aus dieser Irrationalität gibt es nur einen Ausweg: auf einen Meinungswechsel hinwirken und den Politikern diesen leichtmachen. Die 172 Ökonomen durchbrechen diese Irrationalität für einen Moment, indem sie zur Umkehr aufrufen. Ihr Appell ist nicht mehr als ein Zeichen – Ausdruck eines Aufstands des Wissens und Gewissens.

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