© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

„Die Politik des Umsturzes beenden“
Karlsruhe: ESM und Fiskalpakt auf dem Prüfstand
Taras Maygutiak

Gedränge von Medienvertretern aus dem In- und Ausland, restlos vergebene Besucherplätze und vor den Toren Mahnwachen des Aktionsbündnisses Direkte Demokratie, der libertären Partei der Vernunft und der Piraten: Wie im Taubenschlag geht es am Dienstag am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu. Die Brisanz und die historische Bedeutung sind greifbar.

Auf der Tagesordnung steht die mündliche Verhandlung in Sachen „ESM/Fiskalpakt“. Geklagt haben unter anderem der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, die Euro-Kritiker Bruno Bandulet, Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Joachim Starbatty und Karl Albrecht Schachtschneider. Ebenfalls Verfassungsbeschwerde eingelegt haben zudem die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, Christoph Degenhart und der Verein „Mehr Demokratie“. Angeschlossen haben sich der Beschwerde laut Vorlage 12.000 Bürger. Bis zur Verhandlung am Dienstag sind es allerdings laut dem Verein bereits 23.000. Klage hat außerdem die Linkspartei eingereicht. 

Ob der von Bundestag und Bundesrat am 29. Juni mit breiter Mehrheit verabschiedete ESM sowie der Fiskalpakt verfassungsgemäß sind, wird zwar erst im sogenannten Hauptsacheverfahren geklärt werden, dennoch sind in der Angelegenheit die Anträge der Kläger auf eine einstweilige Anordnung  im Grunde von derselben Bedeutung wie das Hauptsacheverfahren. Mit der beantragten einstweiligen Anordnung wollen die Kläger verhindern, daß Bundespräsident Joachim Gauck die Verträge unterschreibt, bis das Verfassungsgericht ESM und Fiskalpakt auf Herz und Niere geprüft hat. Hat der Bundespräsident die Verträge nämlich erst einmal unterschrieben, sind wegen der völkerrechtlichen Bindung vollendete Tatsachen geschaffen. Der vom Grundgesetz vorgesehene Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren könnte in der vorliegenden Konstellation dann „möglicherweise leer laufen“, so Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Gleichwohl müsse das Gericht berücksichtigen, daß es um die Verfassungsmäßigkeit von Zustimmungsgesetzen zu völkerrechtlichen Verträgen „mit großer politischer Bedeutung“ gehe, die mit jeweils zwei Dritteln der Stimmen im Bundestag und Bundesrat beschlossen worden seien. Voßkuhle macht aber klar, daß das Gericht nicht einfach sein „Herz über die eine oder andere Hürde“ werfen werde. Ein Seitenhieb in Richtung Altkanzler Helmut Schmidt, der kürzlich vom Gericht mit Blick auf Europa gefordert hatte, „das Herz über die Hürde“ zu werfen. Man werde „mit beiden Füßen auf dem Grundgesetz stehend“ über die Anträge entscheiden, bekräftigte der Gerichtspräsident.

In ihren einführenden Stellungnahmen greifen die Kläger ESM und  Fiskalpakt scharf an. Staatsrechtler Dietrich Murswiek, Bevollmächtigter der Gauweiler-Klage, mahnt eindringlich: Man begebe sich in eine Transfer-union, in die man nur dürfte, wenn das Volk zuvor entschieden habe: „Die Euro-Rettung macht Europa ein weites Stück undemokratischer“, stellt er fest. Schachtschneider ist sich sicher, daß es nur „vordergründig“ um die Rettung des Euro geht: „Die Grenzen zum Bundesstaat sollen endgültig überschritten werden.“ Und dabei solle das Königsrecht des Parlaments, das Haushaltsrecht, geopfert werden, empört sich Schachtschneider: „Die Politik will den neuen Staat, ohne es zuzugeben. Die Währungsunion ist in Wirklichkeit der Hebel zum Unionsstaat.“ Das Scheitern des Euro rechtfertige nun wirklich nicht die Aufgabe der Souveränität, warnt er. Sein Appell: „Das Bundesverfassungsgericht ist aufgerufen, die Politik des Umsturzes zu beenden. Der Senat steht in historischer Verantwortung für das Recht.“ Staatsrechtler Christoph Degenhart schießt sich ebenfalls auf die Inhalte des ESM ein: „Der Grundsatz des No-Bail-out ist der tragende Pfeiler der Währungsunion.“ Die erwartbare Reaktion der Vertreter der Bundesregierung nimmt Degenhart vorneweg: „Ich bin mir sicher, es werden apokalyptische Szenarien dargelegt werden, wenn es zu einer Verzögerung kommt – diese sind aber nicht belegt.“ Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) reagiert dann auch, wie Degenhart es prophezeit hat. Er spricht von „erheblichen Auswirkungen auf die Märkte“, von Vertrauensverlust und sieht „wirtschaftliche Verwerfungen mit nicht überschaubaren Folgen“.

Im Anschluß beharken sich die Parteien, wie wichtig eine einstweilige Anordnung ist oder nicht. Voßkuhle will die Verträge richtig geprüft wissen. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. Um die Verträge aber überhaupt noch wirksam als nicht verfassungsgemäß  stoppen zu können, käme das Gericht zu diesem Schluß, dürfte der Bundespräsident jedoch noch nicht unterschrieben haben. Die Gefahr, daß die ausländische Presse bei einer einstweiligen Anordnung „Eurorettung gestoppt“ title, sehe das Gericht auch, warnt der Präsident. Laut denkt er über ein „Zwischenverfahren“ nach, das dem Eilantrag und dem Hauptsacheverfahren gerecht werden könnte. Vor Ende des Monats wird es vermutlich keine Entscheidung des Gerichts geben. Bernhard Seitz vom Aktionsbündnis Direkte Demokratie, der vor den Toren des Gerichts demonstriert, sagt denn auch deutlich, was er und seine Mitstreiter denken: „Wir erwarten ein klares Signal vom Bundesverfassungsgericht, daß der ESM verfassungswidrig ist.“

Die Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dauerte bei Redaktionsschluß noch an.

Foto: Protest vor dem Sitz des Bundesverfassungsgericht: Das Gericht nimmt sich Zeit

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